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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Der Rausch


Sidgrani
24.04.2016, 09:07
Wer brettert so spät durch dunkelste Nacht?
Es ist ein Raser in lederner Pracht.
Er hält es sicher, sein Ross BMW,
„Nicht der schon wieder“, stöhnt ängstlich ein Reh.

„Mein Kumpel, schalt runter, mein Kolben läuft heiß,
riskier keine Panne, was soll dieser Scheiß?“
„Nun mach dir, du Feigling, doch nicht gleich ins Hemd,
bei mir hat noch niemals der Kolben geklemmt.“

"Mein Rösschen, ich brauche den Wind im Gesicht.“
„Siehst Kumpel, du die Rehe denn nicht?
Die Rehe dort drüben so nahe am Rand,
fahr doch vernünftig mit Sinn und Verstand.“

„Mein Rösschen, bleib ruhig, die Bremsen sind neu,
nur mutig nach vorne und bloß keine Scheu.“
"Mein Kumpel, mein Kumpel, die Straße ist nass,
und es wird kälter, wir sind gleich am Pass.“

"Mein Rösschen, die Reifen krallen sich fest,
drum Vollgas und in den Sattel gepresst,
dein ängstlich Gehabe ist doch ein Witz.“
Da blendet die beiden ein grellweißer Blitz.

„Mein Herr, wenn Sie meinen, nur Rasen macht frei,
dann schenkt Ihnen jetzt die Verkehrs-Polizei
von Herzen zwei Punkte, na ist das nicht fein,
und zieht für zwölf Wochen den Führerschein ein.“

„Mein Raser, nun hast du’s, das gibt dir den Rest,
du darfst nur noch fahren, bestehst du den Test.
Du willst ja nicht hören, so oft ich auch mahn,
drum hast du dir selber dies Leid angetan."

Dem Raser, dem graust es, er heult wie ein Kind,
aus dürren Blättern verlacht ihn der Wind.
Er tritt die Maschine, ihr Auspuff glüht rot,
sie schaukelt bedrohlich, kippt um, er ist tot.

Chavali
24.04.2016, 12:13
Lieber Sid,

fein aufs Korn genommen, wenn die Fahrt auch - wie so oft, vor allem im Frühjahr und beim Wildwechsel -
tödlich endet.

Du hast das drauf - ich könnte das nicht, so eine ernsthafte Ballade wie den Erlkönig vom Altmeister Goethe
in Satire umzudichten :D;):D

Aber toll gelungen!
Besonders gut gefällt mir das Zwiegespräch zwischen Kumpel und Rösschen :o


Lieben Gruß,
Chavali

Nachteule
24.04.2016, 22:21
Hallo Sidgrani,

Als du schriebst, dass du eine alte Ballade umgeschrieben hast, hätte ich ziemlich viel auf den Erlkönig gesetzt. Ich bin also jetzt wirklich reich. Danke! :)

Das wichtigste zuerst: Ein paar Anführungszeichen fehlen.

Mein Kumpel, mein Kumpel, die Straße ist nass,
und es wird kälter, wir sind gleich am Pass.“
Hier ganz vorne müssten Anführungszeichen sein.
Mein Rösschen, die Reifen krallen sich fest,
drum Vollgas und in den Sattel gepresst,
dein ängstlich Gehabe ist doch ein Witz.
Dito.

„Mein Raser, nun hast du’s, das gibt dir den Rest,
du darfst nur noch fahren, bestehst du den Test.
Du willst ja nicht hören, so oft ich auch mahn,
drum hast du dir selber dies Leid angetan.
Hier fehlen sie hinten.

So viel dazu. :)

[QUOTE]„Nun mach dir, du Feigling, doch nicht gleich ins Hemd,
bei mir hat noch niemals der Kolben geklemmt.“
Im zweiten der beiden Verse wäre "bei dir hat noch niemals ein Kolben geklemmt" in meinen Augen besser.

Schade finde ich, dass du dich nicht ganz an das Original hältst, indem du bspw. die erste Erlkönig-Strophe streichst. Da könntest du, analog zur Polizei, das Gewissen einbringen. Das könnte gerne auch durch Tiere dargestellt werden. Ich meine: Wir sind ja im Wald. :) Also Motorrad=Kind, Fahrer=Vater (Auch phonetisch schön nah beieinander. ;D) Und der Erlkönig wäre dann das Gute Gewissen. Allerdings müsstest du dann etwas mehr rumwerkeln und eigentlich gefällt mir dein Gedicht ja. :)

„Mein Herr, wenn Sie meinen, nur Rasen macht frei,
Hier würde mir, glaube ich, ", Rasen mache frei," besser gefallen.

Er tritt die Maschine, ihr Auspuff glüht rot,
dann kippt sie zur Seite, auf ihn, er ist tot.
Für mich ist das unlogisch. Wenn er auf das Ding tritt, fällt es in die andere Richtung und nicht auf ihn. Und wenn doch, kann sie ihn nicht so dämlich erwischen... Wenn die Maschine umfällt und kaputt ist, wäre das in in meinen Augen logischer und näher am Original. Und die Moral wäre: Sei gut zu allem was du hast, sonst gehts kaputt.
"Dann kippt sie zur Seite, ins Tal, und ist tot." (Ist ja in der Nähe eines Passes...)

nächtlicher Gruß, gutes nächtle und carpe noctem
Nachteule

Falderwald
10.05.2016, 18:44
Moin Sid,

hier gilt der alte Spruch wohl nicht, wer sein Krad liebt, der schiebt...;)

Na da hast du den Erlkönig aber gekonnt aufs Korn genommen.

Lustig ist auch die Kommunikation zwischen dem Fahrer und seinem Motorrad.
Das finde ich äußerst kurzweilig und jede Zeile passt wie die Faust aufs Auge, ich habe mich köstlich amüsiert.

Was soll ich sonst noch dazu schreiben, die Zeilen sprechen für sich selbst, da ist dir eine witzige Idee gelungen.

Allerdings unterscheidet sich der Text auch in einem wesentlich anderen Detail vom Original.

Bei Goethes Erlkönig ist es ja das Kind, das klagt und anschließend stirbt, weil der Vater nicht auf die Klagen gehört hat, sondern seine Weltsicht rationeller war.

Hier ist es genau umgekehrt, hier warnt "die Maschine" ihren Fahrer ganz rationell und als dieser nicht hört, muss er den Preis dafür zahlen.

Auf jeden Fall habe ich sehr über diese Persiflage lachen müssen, äußerst gelungen...:)


Gern gelesen, gelacht und kommentiert...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald

plotzn
15.05.2016, 08:31
Wie kommt man denn auf ein so abgefahrene Idee, Sid, den Erlkönig in eine Bikerstory umzuwandeln? :D
Ich kann mir das nur so erklären, dass die Maschine das neueste BMW-Modell war, dessen Optik vor der Konkurrenz noch geschützt werden musste. :Aua

Witzige Persiflage, die viel Drive hat und dadurch trotz der Länge kurzweilig zu lesen ist.

Liebe Grüße, Stefan

Dana
16.05.2016, 16:43
Hallo Sid,
mir ist, als wärst Du die Wiedergeburt von Goethe. Nach dieser Ballade glaube ich wieder daran.:Blume::D
Als besonders gelungen fällt die Kurzweiligkeit in der Länge auf. Des Bikers Geheule könnte sich noch in vielen Strophen ausweiten und man hätte es nicht gemerkt. :Blume:
Eine Super-Ballade!!!:D

Liebe Grüße
Dana

Sidgrani
08.06.2016, 10:26
Hallo ihr Lieben,

tut mir leid, dass ich so viel langsamer als der Biker bin und erst heute antworte.
Ihr habt so schön kommentiert, ich freue mich. :) Ja, der Erlkönig hat ja schon öfter herhalten müssen.

@ Eule Die fehlenden Anführungszeichen werde ich noch setzen und auch noch einen logischen Tod des Bikers durch seine Maschine finden. "Bei mir hat noch niemals der Kolben geklemmt" bezieht sich auf den Biker, der schon etliche Maschinen ohne Kolbenklemmer durch die Straßen gejagt hat.

Ich danke euch und schicke liebe Grüße :Blume:
Sid