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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Quasimodo spricht mit den Gargylen


Erich Kykal
27.01.2017, 17:37
Ihr Fratzen wie aus Fieberträumen spiegelt
mein wundes In-die-Welt-Geworfensein.
Erstarrte, die ihr die Erkenntnis siegelt:
Ach wäre ich wie ihr doch nur von Stein!

Der stumme Schrei aus euren Regenmündern -
ein nie gehörter Chor verworfner Seelen,
die unter Qualen uns, den armen Sündern
Dämonen speien, die sie nächtens quälen!

Der ich tagtäglich eure Mienen schaue
und euch umarme in der Einsamkeit,
bin nur ein Schatten hinter jener Klaue,
mit der ihr deutet nach der Ewigkeit.

Wer euer Antlitz schnitzte in die Steine,
gedachte meiner ungeschlachten Züge,
als strafte er die Schönheit und das Reine
der Menschen unten jeden Morgen Lüge.

Ich bin euch näher als den Gotteskindern
in ihrer Welt aus Niedertracht und Drang.
Ich liebte, um den Schmerz darum zu lindern -
vergeblich zwar, doch rein wie Glockenklang.

So tragt mich heim in euer hohes Schweigen,
darin nicht mehr liegt als Erinnerungen
an böse Träume, die dem Weisen zeigen,
wie falsch die Welt ist und von Weh durchdrungen.

Ihr Fratzen wie aus Fieberträumen spiegelt
mein wundes In-die-Welt-Geworfensein.
Erstarrte, die ihr die Erkenntnis siegelt:
Ach wäre ich wie ihr doch nur von Stein!

Dana
27.01.2017, 18:51
Lieber eKy,
ein erschütterndes "Gebet" des armen Quasimodo an steinerne Köpfe, die ihm näher sind als die Menschen. Aufgrund seiner "Häßlichkeit" fühlt er sich zu den "Ähnlichen" hingezogen.
Für mich ein wunderbares Gleichnis zu den Menschen, die sich einen Gott erdacht haben, von dem sie nach "seinem Bilde" geschaffen worden sind.;)
Die Strophen 4 und 6 unterstreichen es besonders gut.
Der "schöne Mensch" steht der gesamten "Häßlichkeit" in nichts nach.
Als Gedicht wunderschön: lyrisch, düster und klar in der Aussage.:Blume:

Sehr gern gelesen.

Liebe Grüße
Dana

Erich Kykal
27.01.2017, 19:14
Hi Dana!

Vielen Dank für die prompte Reaktion! :)

Nachdem sich Chavilein so sehnlich etwas "Nicht-Sonettiges" mit Kreuzreim von mir gewünscht hat, konnte ich nicht anders ... ;):)

Die Idee basiert auf dem Schwarz-Weiß-Klassiker mit dem genial spielenden Charles Laughton, aus dem auch der Schlusssatz des Gedichtes stammt - es ist auch Quasimodos letzter Satz in dieser Verfilmung, an einen der Wasserspeier gerichtet.

LG, eKy

Chavali
27.01.2017, 21:46
Nachdem sich Chavilein so sehnlich etwas "Nicht-Sonettiges" mit Kreuzeim von mir gewünscht hat,
konnte ich nicht anders ... ;):)
Lieber Erich,

ich fass es nicht *freu* :o
Und es ist eine tolle Geschichte geworden, ich meine, es kommt einer Ballade gleich oder einer Moritat?

Sehr gern gelesen!

Lieben Gruß,
Chavi :Kuss

Erich Kykal
27.01.2017, 22:27
Hi Chavi!

Eine Ballade wäre länger, eine Moritat gruseliger oder "pädagogischer" - es ist einfach nur ein lyrischer Gedanke darüber, was Quasimodo zu den Steingesichtern gesagt haben könnte, als die Geschichte zu Ende war und er wieder allein mit seinen Glocken auf dem Turm war ...

Schön, dass es dir gefallen hat! :)

LG, eKy

juli
28.01.2017, 15:56
Hallo eKy,

Ich bin schwer beindruckt, das ist eine gute Geschichte, sie könnte auch bei Vollmond stehen. Ich habe vor langer langer Zeit den Film gesehen und fand ihn klasse. Du hast hier Quasimodos wehmütige Gedankengänge erzählt.

Ganz nach meinem Geschmack;)

Liebe Grüße sy

Erich Kykal
28.01.2017, 16:48
Hi Sy!

Die Puristen mögen mir vorwerfen, dass der von Laughton gespielte Quasimodo nicht sehr gebildet oder intelligent war - meiner lyrischen Sprache würde er sich also wohl kaum bedient haben.
Ich habe mir erlaubt, seine Gedanken in klare Sprache zu fassen, auch wenn dieser Quasimodo das nicht so hätte tun können - die zugrunde liegenden Emotionen und Rückschlüsse sind dieselben.

Vielen Dank für deine Freude damit! :)

LG, eKy