Kokochanel
22.05.2017, 10:52
Schatten (lyr. Kurzprosa)
Im Haus der alten Nachbarin war lange kein Licht in der Küche zu sehen. Fast drei Wochen lang nicht. Das Gras wuchs bis an die Koniferen. Niemand mähte es.
Sie lebte zurückgezogen, wie auch ihr Sohn, der sechshundert Kilometer weit weg wohnte und der sie regelmäßig besuchen kam. Seit dreißig Jahren Nachbarschaft sah ich in ihm immer noch den jungen Studenten, obwohl er längst Geschäftmann war.
An diesem Sonntag, als die Sonne am Himmel brillierte, die Vögel zwitscherten und ich meinen kleinen Enkel zum ungezählten Male auf die neue Rutsche gesetzt hatte, öffnete sich vorsichtig die hintere Kellertür.
Geschäftig schob der Sohn den Rasenmäher heraus und begann, zu mähen.
Mein Enkel kreischte und warf einen Ball die Rutsche hinauf.
Der Sohn grüßte nicht, er schaute stur auf den Rasen. Wie ein Gehetzter lief er hin und her.
Einen Moment lang überlegte ich, ihn anzusprechen, schaute verstohlen auf den ungewöhnlich zarten Körper, die rote Sporthose, die er immer trug, wenn er im Garten war. Sie stammte noch aus der Zeit seiner Jugend. So verletzlich wirkte er. So verletzt.
Sein Körper war nach vorne gebeugt. Der Rasenmäher brummte angestrengt, fast, als würde ihm die Arbeit zu viel.
Ich schwieg und setzte mich mit meinem Enkel auf den Gartenstuhl, las ihm leise eine Geschichte vor. Direkt hinter mir rumorte der Mäher vorbei. Meine Gedanken waren jedoch woanders und ich tat so, als bemerkte ich es nicht.
Ich dachte an die vielen Weihnachten, an denen ich ein kleines Geschenk zur Nachbarin brachte. An ihre schüchterne Überraschung, fast, als wäre es ihr unangenehm.
Ich erinnerte mich an die Plätzchen in einer sternbedruckten Tüte mit Goldband, die sie meiner damals kleinen Tochter dann unbeholfen in die Hand drückte. Sie waren immer hart wie Stein. Meine eigenen wären viel besser, sagte meine Tochter mir leise und dennoch bedankten wir uns freundlich. Ich musste lächeln.
Ich erinnerte mich, als wir den jungen Boxer bekamen, wie sie auf der Terrasse saß und jede meiner Erziehungsübungen verfolgte. Dennoch fühlte ich mich nie beobachtet oder kritisch bemustert. Sie war einfach da. Sie saß auf ihrem weißen Gartenstuhl, der niemals vergilbte so wie meiner. Still und schweigsam und vertiefte sich in ihre Zeitung, wenn man hinsah. Oftmals schmunzelte sie, wenn ich in Unterhose und Shirt in den Garten kam. Gesagt hat sie nie etwas dazu.
Manchmal sprachen wir. Sie war neugierig, erzählte aber wenig von sich. Nur einmal verriet sie mir stolz, dass sie für ihren Sohn zu Hauptversammlungen von Dax-Unternehmen führe, und dass sie das jedes Mal genösse. Da war sie schon fünfundsiebzig. Ich wusste, dass ihr Mann früh verstorben war und sie das Kind alleine groß ziehen musste.
Selten bekam sie Besuch. Ab und an. Wo sie selbst hinfuhr, wusste niemand. Immer wenn wir jedoch Besuch hatten, lichtete sich die Gardine des Küchenfensters. Doch dann setzte sie sich nicht auf die Terrasse, gerade so, als wolle sie uns nicht stören. Wir schmunzelten über beides.
Vor einigen Jahren schon hatte ich ihr meine Hilfe angeboten. Sie lächelte und sagte, dass sie es alleine schaffen will. Ich konnte sie gut verstehen und sie wusste das.
An diesem Sonntagabend brannte Licht in der Küche. Schemenhaft gaben die Rolladenschlitze die Umrisse des Sohnes frei. Er sortierte Tassen aus dem Schrank und stellte sie in einen Karton. Lange, bis tief in die Nacht warf die grelle, alte Küchenlampe dünne Streifen durch die Schlitze. Sie zogen sich über den Rasen, als ob sie eine Grenze suchten, hauchten die Blüten des fensterhohen Rosenstammes goldig an und versickerten, als wäre nichts selbstverständlicher als das, in seiner schwarzen Erde.
Im Haus der alten Nachbarin war lange kein Licht in der Küche zu sehen. Fast drei Wochen lang nicht. Das Gras wuchs bis an die Koniferen. Niemand mähte es.
Sie lebte zurückgezogen, wie auch ihr Sohn, der sechshundert Kilometer weit weg wohnte und der sie regelmäßig besuchen kam. Seit dreißig Jahren Nachbarschaft sah ich in ihm immer noch den jungen Studenten, obwohl er längst Geschäftmann war.
An diesem Sonntag, als die Sonne am Himmel brillierte, die Vögel zwitscherten und ich meinen kleinen Enkel zum ungezählten Male auf die neue Rutsche gesetzt hatte, öffnete sich vorsichtig die hintere Kellertür.
Geschäftig schob der Sohn den Rasenmäher heraus und begann, zu mähen.
Mein Enkel kreischte und warf einen Ball die Rutsche hinauf.
Der Sohn grüßte nicht, er schaute stur auf den Rasen. Wie ein Gehetzter lief er hin und her.
Einen Moment lang überlegte ich, ihn anzusprechen, schaute verstohlen auf den ungewöhnlich zarten Körper, die rote Sporthose, die er immer trug, wenn er im Garten war. Sie stammte noch aus der Zeit seiner Jugend. So verletzlich wirkte er. So verletzt.
Sein Körper war nach vorne gebeugt. Der Rasenmäher brummte angestrengt, fast, als würde ihm die Arbeit zu viel.
Ich schwieg und setzte mich mit meinem Enkel auf den Gartenstuhl, las ihm leise eine Geschichte vor. Direkt hinter mir rumorte der Mäher vorbei. Meine Gedanken waren jedoch woanders und ich tat so, als bemerkte ich es nicht.
Ich dachte an die vielen Weihnachten, an denen ich ein kleines Geschenk zur Nachbarin brachte. An ihre schüchterne Überraschung, fast, als wäre es ihr unangenehm.
Ich erinnerte mich an die Plätzchen in einer sternbedruckten Tüte mit Goldband, die sie meiner damals kleinen Tochter dann unbeholfen in die Hand drückte. Sie waren immer hart wie Stein. Meine eigenen wären viel besser, sagte meine Tochter mir leise und dennoch bedankten wir uns freundlich. Ich musste lächeln.
Ich erinnerte mich, als wir den jungen Boxer bekamen, wie sie auf der Terrasse saß und jede meiner Erziehungsübungen verfolgte. Dennoch fühlte ich mich nie beobachtet oder kritisch bemustert. Sie war einfach da. Sie saß auf ihrem weißen Gartenstuhl, der niemals vergilbte so wie meiner. Still und schweigsam und vertiefte sich in ihre Zeitung, wenn man hinsah. Oftmals schmunzelte sie, wenn ich in Unterhose und Shirt in den Garten kam. Gesagt hat sie nie etwas dazu.
Manchmal sprachen wir. Sie war neugierig, erzählte aber wenig von sich. Nur einmal verriet sie mir stolz, dass sie für ihren Sohn zu Hauptversammlungen von Dax-Unternehmen führe, und dass sie das jedes Mal genösse. Da war sie schon fünfundsiebzig. Ich wusste, dass ihr Mann früh verstorben war und sie das Kind alleine groß ziehen musste.
Selten bekam sie Besuch. Ab und an. Wo sie selbst hinfuhr, wusste niemand. Immer wenn wir jedoch Besuch hatten, lichtete sich die Gardine des Küchenfensters. Doch dann setzte sie sich nicht auf die Terrasse, gerade so, als wolle sie uns nicht stören. Wir schmunzelten über beides.
Vor einigen Jahren schon hatte ich ihr meine Hilfe angeboten. Sie lächelte und sagte, dass sie es alleine schaffen will. Ich konnte sie gut verstehen und sie wusste das.
An diesem Sonntagabend brannte Licht in der Küche. Schemenhaft gaben die Rolladenschlitze die Umrisse des Sohnes frei. Er sortierte Tassen aus dem Schrank und stellte sie in einen Karton. Lange, bis tief in die Nacht warf die grelle, alte Küchenlampe dünne Streifen durch die Schlitze. Sie zogen sich über den Rasen, als ob sie eine Grenze suchten, hauchten die Blüten des fensterhohen Rosenstammes goldig an und versickerten, als wäre nichts selbstverständlicher als das, in seiner schwarzen Erde.