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Stimme der Zeit
17.08.2011, 17:43
Reflexion

Du bist nicht ich und ich bin nicht du.
Dennoch, wir sehen uns.
Kenne ich dich, dann kennst du auch mich.
Ich bin dein Du und du bist mein Ich.
Du bist dein Ich und ich bin mein Du.
Dennoch, wir sehen nicht.
Kenne ich dich?
Kennst du denn mich?
Kennen wir uns?

________________________________________________


?snu riw nenneK
?hcim nned ud tsnneK
?hcid hci enneK
.thcin nehes riw ,hconneD
.uD niem nib hci dnu hcI nied tsib uD
.hcI neim tsib ud dnu uD nied nib hcI
.hcim hcua tsnnek nnad ,hcid hci enneK
.snu nehes riw ,hconneD
.ud thcin nib hci dnu hci thcin tsib uD

noixelfeR




(Leider kann ich es nicht wirklich "umdrehen" ...)

Falderwald
18.08.2011, 22:55
Moin Stimme,

erst mal vorweg will ich dir sagen, daß es dir durchaus gelungen ist, denn Text um 180° exakt zu verdrehen, aber eben nur um die horizontale Achse.
Ich gehe davon aus, daß du an eine Spiegelung gedacht hast, wozu dann noch die gleichzeitige vertikale Drehung gehört hätte.
Bedingt durch deinen Nachsatz gehen wir aber im Folgenden von einer Spiegelung aus, ähnlich der Spiegelung eines Berges in einem vor uns liegenden See.

Kommen wir zum Inhalt, der ja ein philosophisches Thema anspricht.

Wir haben hier ein LyrIch und ein LyrDu.
Auf den ersten Blick erscheint es, als sei das LyrIch bei der Betrachtung seines Spiegelbilds in einen Monolog mit demselben getreteten.
Doch halt, womöglich will die Autorin uns aufs Glatteis führen, der Titel spricht von einer Reflexion, die physikalisch zwar eine Spiegelung sein kann, aber philosophisch auch das prüfende und vergleichende Nachdenken, besonders über eigene Handlungen, Gefühle und Gedanken.
Ein Besinnen, ein Nachdenken also, was ja nun doch wieder das Spiegelbild nicht ausschließt, zumal der Text selbst ja auch gespiegelt (s.o.) wird.
Doch ich bleibe skeptisch, denn die erste Zeile "Du bist nicht ich und ich bin nicht du." leitet den Text ein, so daß ich davon ausgehen sollte, daß es sich u. U. doch um zwei gänzlich verschiedene Individuen handelt, von denen eines eine These aufstellt.
Nun, dies schließt das Spiegelbild wieder nicht aus, so daß mir wohl nichts anderes übrigbleibt, als mich dem Thema von zwei Betrachtungsweisen aus zu nähern.

Variante 1

Das LyrIch ist das vernunftbegabte Subjekt und übermittelt seine Reflexionen an ein Objekt, welches sich seinen sinnlichen Wahrnehmungen und Vorstellungen erschließt, hier: ein anderes vernunftbegabtes Individuum.
Ich, das Objekt und als Empfänger dieser Überlegungen und nun selbst Subjekt, nehme diese Aussage auf. Wir sitzen und gegenüber und ich antworte Zeile für Zeile:

Du bist nicht ich und ich bin nicht du.
Ich bin ich und du bist du. Somit kann ich nicht du und du kannst nicht ich sein.
Es schließt sich aus.
Dennoch, wir sehen uns.
Wir befinden uns im Bereich der Sensibilität unserer Sinne. Ich sehe dich. Wenn du mich auch siehst, dann sehen wir uns. Das schließt sich ein.
Kenne ich dich, dann kennst du auch mich.
Ich habe meine eigene subjektive Vorstellung von dir als Objekt und das gilt auch umgekehrt, weshalb ich diese Aussage nur aus der daraus entstehenden negativen Schlussfolgerung heraus bejahen könnte: Weil ich dich nicht kenne, sondern nur meine Vorstellung von dir, so kannst du mich auch nicht kennen.
Es ist nicht schlüssig, denn es schließt nicht aus, daß du mich besser kennst, als ich dich oder umgekehrt oder wir beide wissen mehr, als wir voneinander annehmen, es bleibt eine Glaubensfrage.
Ich bin dein Du und du bist mein Ich.
Nein. Du bist zwar mein Du, aber Ich bin nicht dein Ich, sondern Ich bin dein Du. Auch wenn ich als dein Objekt von mir als "Ich" spreche.
Du bist dein Ich und ich bin mein Du.
Das bezweifle ich. Ich bin mein Ich, doch Du bist nicht dein Du, Du bist mein Du. Und trotzdem wird es stimmig, wenn... (s.u.)
Dennoch, wir sehen nicht.
Wir sehen nur unsere Vorstellung voneinander.
Kenne ich dich?
Kannst Du mein Ich kennen?
Kennst du denn mich?
Kann Ich denn dein Ich kennen?
Kennen wir uns?
Ich kenne mein Du von dir aus meiner Vorstellung und du kennst dein Du von mir aus deiner.
Wir kennen uns nicht, denn dein Ich und mein Du von dir sind zwei völlig verschiedene Wesen.
Ich bin mir nicht mal sicher, ob Du nicht nur in meiner Vorstellung existierst.


Variante 2

Das LyrIch ist das vernunftbegabte Subjekt und übermittelt seine Reflexionen an ein Objekt, welches sich seinen sinnlichen Wahrnehmungen und Vorstellungen erschließt, hier: sein Spiegelbild, selbst eine Reflexion.
Da ein Spiegelbild nicht antworten kann, gebe ich als ein die Szene betrachtender Geist und Subjekt nun meinen Kommentar zu den Reflexionen der von mir beobachteten Objekte LyrIch und LyrDu.

Du bist nicht ich und ich bin nicht du.
Das stimmt. Ich sehe ein Objekt und sein Spiegelbild.
Dennoch, wir sehen uns.
Ich gehe davon aus, daß das Objekt sein Spiegelbild sieht, aber umgekehrt?
Es sei denn, man betrachtet das Zurückwerfen von elektromagnetischen Wellen, in diesem Falle das Licht, als "sehen".
Kenne ich dich, dann kennst du auch mich.
Das Objekt schaut in einen Spiegel und kennt somit sein Spiegelbild. Umgekehrt ist das Spiegelbild ein virtuelles Abbild des Objekts. Also ist diese Aussage, auf die Äußerlichkeiten bezogen, wahr.
Ich bin dein Du und du bist mein Ich.
Auf die Spiegelung bezogen stimmt das, es wäre wirklich spiegelverkehrt.
Du bist dein Ich und ich bin mein Du.
Das wäre im Falle einer Spiegelung der Umkehrschluss.
Dennoch, wir sehen nicht.
Auch diese Aussage aus dem Munde des Objektes "Ich" ist wahr, denn es selbst sieht, sein Spiegelbild "Du", unser gemeinsames Objekt seiner virtuellen Abbildung. Das aber sieht nicht, zumindest nicht im eigentlichen Sinne (s.o.).
Kenne ich dich?
Das Ich kennt sein Spiegelbild, davon ist auszugehen.
Kennst du denn mich?
Das Du bildet, zwar spiegelverkehrt, doch ansonsten ein Originalbild des Ich.
In diesem Sinne ist das Du kein eigenständiges Individuum, aber es kennt das Ich besser, als das Ich sich selbst, was sich ja nur mit Hilfe der Spiegelung selbst sehen kann, was natürlich wieder nur auf das Äußere bezogen ist.
Kennen wir uns?
Da das Du vom Ich abhängig ist, also das virtuelle Spiegelbild meines Objektes nur durch mein beobachtetes Objekt selbst bedingt wird, stehen beide in Wechselwirkung miteinander.
Äußerlich kennen Sie sich also.

Fazit:

Irgendwie fühle ich mich jetzt selbst horizontal und vertikal gedreht, also gespiegelt, aber ich könnte mir vorstellen, die ein oder andere Intention dieses Textes entschlüsselt zu haben. :rolleyes:
Er ist, wie dargelegt, auf zwei Ebenen interpretierbar, wobei beide allerdings nicht ganz widerspruchsfrei ausgehen.
Auf jeden Fall ist er durchdacht und in sich, auch durch den gesamten Aufbau, eine in sich geschlossene Spiegelung.
Zum Teil in den einzelnen Versen selbst, wie auch untereinander.
Vielleicht ist es auch die Reflexion einer Reflexion.
Wer weiß das schon zu sagen? ;)


Gerne gelesen, darüber nachgedacht und kommentiert...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald

Stimme der Zeit
19.08.2011, 12:54
Guten Morgen, Faldi:),

ich habe zwei "Spiegelgedichte" geschrieben, die beide "Ich und Du" enthalten. Das Problem hier ist der verflixte Texteditor, die vertikale Achse konnte ich leider nicht optisch darstellen, deshalb auch mein Nachsatz. Auf die Idee brachte mich ein Spiegelgedicht von Friederike Kempner.

Zwei Achsen und zwei Betrachtungsweisen. Warum wundert es mich nicht, dass gerade du die Fähigkeit besitzt, das zu "durchschauen"? :D

Wir haben hier ein LyrIch und ein LyrDu.

Ganz genau. Hier die "Innenwelt", im anderen Werk die "Außenwelt".

Auf den ersten Blick erscheint es, als sei das LyrIch bei der Betrachtung seines Spiegelbilds in einen Monolog mit demselben getreteten.
Doch halt, womöglich will die Autorin uns aufs Glatteis führen, der Titel spricht von einer Reflexion, die physikalisch zwar eine Spiegelung sein kann, aber philosophisch auch das prüfende und vergleichende Nachdenken, besonders über eigene Handlungen, Gefühle und Gedanken.
Ein Besinnen, ein Nachdenken also, was ja nun doch wieder das Spiegelbild nicht ausschließt, zumal der Text selbst ja auch gespiegelt (s.o.) wird.
Doch ich bleibe skeptisch, denn die erste Zeile "Du bist nicht ich und ich bin nicht du." leitet den Text ein, so daß ich davon ausgehen sollte, daß es sich u. U. doch um zwei gänzlich verschiedene Individuen handelt, von denen eines eine These aufstellt.
Nun, dies schließt das Spiegelbild wieder nicht aus, so daß mir wohl nichts anderes übrigbleibt, als mich dem Thema von zwei Betrachtungsweisen aus zu nähern.

Vollkommen richtig. Das Spiegelbild ist eben nicht "Ich", sondern nur meine Vorstellung von mir (bzw. dem, was ich im Spiegel sehe - oder sehen will). Jedenfalls ist es irgendwie auch eine Art "Du" ...

Außerdem: Mit Sicherheit ist auch meine geistige Vorstellung dessen, was ich als mein "Ich" betrachte, das, was ich mir darunter vorstellen will. *Lächel* Kann ich mir mein "Ich" überhaupt vorstellen oder ergibt sich daraus automatisch bereits im Moment der Vorstellung ein Abbild meines "Ichs" - also ein "Du"? Jedenfalls kann ich unmöglich Betrachter und Betrachteter gleichzeitig sein - oder?

Ja, ein bisschen philosophisch, stimmt. ;)

In deinen beiden Varianten stößt du jeweils auf eine "Unstimmigkeit". Nun ja, die Vorstellungswelt ist nicht identisch mit der objektiven Wirklichkeit (wobei man sich darüber streiten könnte, was sie ist oder ob es sie überhaupt gibt), sondern nur eine subjektive Wirklichkeit. Eine Mischung aus dem, was wir sehen und hinzugefügten Bestandteilen, die unser Gehirn der Erinnerung "entnimmt". Wahrnehmung ist nie ein reiner, augenblicklicher Sinnesvorgang, sondern immer beides. So entstehen auch die sogenannten "Déjà-vu - Erlebnisse", denn die Erinnerung kann trügen. Daher dürfen wir auch getrost bezweifeln, dass wir tatsächlich sehen was wir sehen ...

Ich bin mir nicht mal sicher, ob Du nicht nur in meiner Vorstellung existierst.

Können wir uns sicher sein, ob Du nicht nur in deiner Vorstellung existierst? Oder in meiner? Bin ich "wirklich" oder eine Vorstellung? Deine, meine, unsere? :confused:

Was sehe ich im Spiegel?

Irgendwie fühle ich mich jetzt selbst horizontal und vertikal gedreht, also gespiegelt, aber ich könnte mir vorstellen, die ein oder andere Intention dieses Textes entschlüsselt zu haben.

Mich hat das Nachdenken beim Schreiben auch ein wenig "ge- bzw. verdreht". :p Aber deine Vorstellung bezüglich der einen oder anderen Intention stelle ich mir als richtige Entschlüsselung vor. :)

Er ist, wie dargelegt, auf zwei Ebenen interpretierbar, wobei beide allerdings nicht ganz widerspruchsfrei ausgehen.
Auf jeden Fall ist er durchdacht und in sich, auch durch den gesamten Aufbau, eine in sich geschlossene Spiegelung.
Zum Teil in den einzelnen Versen selbst, wie auch untereinander.
Vielleicht ist es auch die Reflexion einer Reflexion.
Wer weiß das schon zu sagen?

Zum einen Teil: Dankeschön! :)
Und zum anderen Teil: Ich weiß es jedenfalls nicht zu sagen ...

Das ist das Problem. Je weiter ich eine Thematik durchdenke, desto weniger verstehe ich, was ich da eigentlich denke. Oder was ich mir eigentlich dabei gedacht habe, mir so etwas Verwirrendes auszudenken. :D

Gerne gelesen, darüber nachgedacht und kommentiert...

Herzlichen Dank dafür!

Liebe Grüße :)

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