Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : sag es mir
wer ich bin / das weiß ich nicht
du kannst es mir / nicht sagen
wo ich hin will / darf ich nicht
mag diese last / nicht tragen
wie ich lebe / soll ich nicht
was muss ich / noch wagen
wann ich sterbe / weiß ich nicht
niemand kann / das sagen
sprich mit mir / und sieh mich an
sag wer dieses / leid ersann
ein spannender titel, liebe chavali,
und ein spannendes text-experiment.
ich gestehe, ich bin, was die / angeht, etwas skeptisch. sie haben schon von der optik her für mein empfinden etwas abweisendes, agressives. zerstückeln sie doch durch ihre diagonalen und machen das schriftbild, das sich in erster linie an waagrecht-senkrecht orientiert, unruhig.
trotzdem ist eine zäsur ein spannendes mittel zum zweck. sie zwingt zum "arbeiten" beim lesen. etwas, das ich nicht schlecht finde. und sie erzwingt sinnzusammenhänge, die man sich selbst bilden muss als leser, weil die zäsur zerteilt, worüber man ansonsten hinweggleiten würde.
du siehst also - ich bin zwar skeptisch, aber nicht abgeneigt.
was mir auffällt, sind jene "fragmente", die für sich allein als abgetrennte einheit aber dann nicht so ganz sicher stehen wie ihre fragment-kollegen.
...
du kannst es mir /
...
sag wer dieses /
da die jeweils zweiten fragmente der zeilen durch den reim "gehalten" werden, sind sie weniger problematisch als die zeilen-ersten. und dort gibt es einige, die durch enjambement "gehalten" sind. doch die zwei angemerkten wirken ein wenig isoliert und dem zwang der form geschuldet.
was letztlich auch der grund dafür ist, dass ich den texten mit / skeptisch gegenüber stehe. nicht dem inhalt. ich finde dein gedicht, die worte, den klang, wunderschön! hätte aber die mehrfach-bezüge auch ohne die /-geschichte hergestellt. ganz einfach, weil ich ohnehin so lese, wenn ich lyrik lese. und dann auch finde, wenn etwas da ist.
einen text hinzubekommen, der reimt und flüssig zu lesen ist UND völlig dem sinn der /-setzung gerecht wird, halte ich persönlich für eine nicht-leistbare sache.
dafür bist du aber hier definitiv schon so nah dran, dass ich mich mit dieser form glatt anfreunden könnte. :)
der titel "sag es mir" könnte allerdings auch die entstandenen "wortfetzen" ohne eigene aussage rechtfertigen. insofern also - du siehst, ich überlege hier grad laut - hast du das elegant gelöst, komm ich grad zu der persönlichen überzeugung. :D
dennoch - ich fühle mich als leser optisch nicht wohl mit den /
hier geht es noch, weil pro zeile nur zwei "einheiten" gebildet werden dadurch. aber da, wo textwürste mit vielen / zwischendurch eher / zerstückeln als zu / dienen, frage ich / mich eben, wozu das / wirklich gut sein soll....
sehr gerne gelesen und mich damit beschäftigt!
lieber gruß,
fee
Stimme der Zeit
16.12.2011, 11:08
Hallo, liebe Chavi,
ein Gedicht voller Fragen. Fragen, die wir uns wohl alle von Zeit zu Zeit stellen, über die wir mit anderen Menschen reden - und aufgrund derer wir uns (höchstwahrscheinlich) Götter schufen.
Ein anderer Mensch kann diese Fragen nicht beantworten - er stellt sie sich selbst. Aber es ist nun einmal so, dass vieles auf dieser Welt für unser "Empfinden" nicht "richtig" läuft. Gerade in der heutigen Zeit werden diese Fragen brennender, und unsere Sehnsucht nach Antworten immer größer, denn durch die modernen Medien ist das "Leid" ständig "präsent" - es kommt zum eigenen also noch das andere hinzu. Das macht es um so schwerer, sich mit den fehlenden Antworten abzufinden.
Würde es uns helfen, wenn wir uns wenigstens "selbst" finden und verstehen könnten? Vielleicht, das weiß ich auch nicht.
Warum ist alles so, wie es ist - warum ist es nicht anders? Das "Nichtwissen" ist eine Last, und wir können sie leider nicht ablegen ...
sag wer dieses / leid ersann
Die "Frage hinter der Frage" lautet: Würde es uns helfen, wenn es ein "höheres Wesen" gäbe, das sich "dieses Leid ersann"? Ich persönlich könnte so ein Wesen weder lieben noch verehren - nein, für mich wäre das nicht hilfreich, ganz im Gegenteil. Ich werde mit meiner Vorstellung, dass es keines gibt und sich daher "niemand" dieses Leid ersann, besser fertig. Aber das ist natürlich nur meine persönliche Überzeugung. ;)
Das Gedicht ist gut gelungen, liebe Chavi, es passt hervorragend in die Denkerklause; mich jedenfalls hat es ordentlich zum Nachdenken gebracht. :)
Mir gefällt auch die gewollte Widerholung:
das weiß ich nicht
... darf ich nicht
... soll ich nicht
... weiß ich nicht
Ratlosigkeit, entstanden aus dem Gefühl der "Unwissenheit" und dem "Nichtverstehen".
Das Gefühl kennen wir alle, glaube ich. :o
Interessant ist die Wirkung der Pausenstriche, das lässt kurz "innehalten" - und gibt "Zeit zum Nachdenken", denn man liest unwillkürlich langsamer. Das passt hier schön zur inhaltlichen Thematik.
Es sind keine freien Verse, sondern jeweils saubere Jamben und Trochäen; wobei hier auch die "optische Gestaltung" durch die Kleinschreibung mit dem Inhalt kohärent ist. Das trifft auch dahingehend zu, dass sich die "linke Seite" des Gedichts hier wie eine "gerade Linie" betrachten lässt, während "rechts" die Verse dann "unordentlich auslaufen". Gut gemacht.
Ich lasse also gerne ein Lob hier! :)
Sehr gerne gelesen und kommentiert.
Liebe Grüße
Stimme http://www.smilies.4-user.de/include/Teufel/smilie_devil_006.gif
Hallo Chavali,
ich möchte mich 'Stimme der Zeit' anschließen. Sie analysiert so genau, dass man oft nicht mehr weiß was man noch hinzufügen soll.
Vielleicht kann ich etwas dazu beitragen, die Bedenken, welche 'fee' äußert, zu entkräften. Rein optisch sticht der Schrägstrich / etwas aus dem Schriftbild hervor, das stimmt. Der Vorteil dieses Zeichens ist jedoch, dass es einen klar definierten Sinn hat, den man in alten Büchern (z.B. eine alten Ausgabe der Lutherbibel) sehen kann. Es markiert eine Sprechpause, die etwa dem Komma entspricht. Also trotz seines Aussehen weniger als ein Gedankenstrich oder Semikolon ist. Der Unterschied zum Komma liegt darin, dass es nicht nach grammatikalischen Regeln gesetzt werden muss, sondern die Phrasierung festlegt. Es gibt gute Gründe, dieses zu tun, welche ich jetzt nicht klar genug darlegen kann. Aber vielleicht wird es an folgendem Beispiel deutlich.
Die ersten beiden Zeilen von 'sag es mir' sind:
wer ich bin / das weiß ich nicht
du kannst es mir / nicht sagen
Was geschieht nun, wenn man das Folgende laut spricht?
wer ich bin das / weiß ich nicht
du / kannst es mir nicht / sagen
Ist nicht die ebenmäßig schwingende Phrasierung allein durch die Umsetzung der 'Schrägstriche' zu einer drängende Unruhe geworden?
Vielleicht lohnt es sich ja doch, mit den 'Schrägstrichen' zu experimentieren, vielleicht sogar in Kombination mit Komma, Punkt, etc.
Chavali, dein Experiment macht mir Freude und ich bin gespannt, was noch daraus wird.
Viele Grüße
Thomas
hallo chavilein,,
ich muss thomas zustimmen, wie sollte ich auch anders, dies sind haargenau die Worte bzw. ähnliche, welche ich in anderen Foren auch verwendete, um meine Schrägstriche zu erläutern:
Der Vorteil dieses Zeichens ist jedoch, dass es einen klar definierten Sinn hat, den man in alten Büchern (z.B. eine alten Ausgabe der Lutherbibel) sehen kann. Es markiert eine Sprechpause, die etwa dem Komma entspricht. Also trotz seines Aussehen weniger als ein Gedankenstrich oder Semikolon ist. Der Unterschied zum Komma liegt darin, dass es nicht nach grammatikalischen Regeln gesetzt werden muss, sondern die Phrasierung festlegt. Es gibt gute Gründe, dieses zu tun, welche ich jetzt nicht klar genug darlegen kann. Aber vielleicht wird es an folgendem Beispiel deutlich.
Rein sprachlich hätte ich einige Zäsuren weggelassen und käme zu diesem Ergebnis:
wer ich bin / das weiß ich nicht
du kannst es mir nicht sagen
wo ich hin will / darf ich nicht
mag diese last nicht tragen
wie ich lebe / soll ich nicht
was muss ich denn noch wagen
wann ich sterbe / weiß ich nicht
niemand kann das sagen
sprich mit mir und sieh mich an
sag / wer dieses leid ersann
Inhaltlich ist dies ein sehr nachdenklich/philosophischer Text, wobei gerade dieses "wer ich bin" mir irgendwoher sehr bekannt vorkommt. Ich würde mich denke ich stark täuschen, es nicht schon einmal gehört zu haben, kann es aber nicht genau zuordnen...insgesamt schürft der Text an der Oberfläche an Fragen, die jeder Menschen sich irgendwann einmal gestellt hat oder stellen wird...gerne mit beschäftigt :):)...liebe Grüße ginnie
Hallo ihr Lieben,
ich bin begeistert!
Mit soviel Zuspruch habe ich gar nicht grerechnet :)
Liebe fee,
ich kann gut nachvollziehen, dass du die Teilungsstriche skeptisch siehst.
Das ging mir auch so am Anfang und es geht mir immer noch so.
Es ist auch erst der zweite Text, den ich ich in dieser Form entworfen habe. frage ich / mich eben, wozu das / wirklich gut sein soll....
Es sind Lesepausen und sie erzetzen das Komma oder andere Satzzeichen.
Nun das wirst du gewusst haben ;) aber du fragst dich, warum eben die Striche und keine Satzzeichen.
Es soll moderne Lyrik verkörpern. Mittlerweile finde ich das gar nicht schlecht.
Lesepausen macht man an den Stellen sowieso; ich meine, es soll wohl optisch eine neuer Eindruck des Textes entstehen.
Früher habe ich mich gegen die generelle Kleinschreibung gewehrt und sie als Unsinn abgetan.
Heute kann ich mich auch damit anfreunden :)ich finde dein gedicht, die worte, den klang, wunderschön! Das ist mir das wichtigste! Hab lieben Dank, darüber freu ich mich sehr.
Und auch diese lobenden Worte gefallen mir:einen text hinzubekommen, der reimt und flüssig zu lesen ist
UND völlig dem sinn der /-setzung gerecht wird, halte ich persönlich für eine
nicht-leistbare sache.
dafür bist du aber hier definitiv schon so nah dran,
dass ich mich mit dieser form glatt anfreunden könnte. :)
Lass es uns probieren!
Und auch Dank für deine Interpretation des Textes, feelein.
Liebe Stimme,
du bist jetzt vor allem auf den Inhalt eingegangen.
Es ist ja so, dass wir von Zeit zu Zeit voller Zweifel sind, ob unsere Wege auch die richtigen sind
- der eine mehr, der andere weniger.
Und was ist überhaupt richtig? Das ist ja auch für jeden verschieden und ein gegangener Weg ist nicht
auf einen anderen Menschen übertragbar.
Jeder muss seinen Weg, muss sich selbst finden.
Das dauert manchmal ein Leben lang....
Und: Nein, ein höheres Wesen würde nicht helfen können.
Und Hilfe ist hier auch gar nicht nötig; es ist einfach der Gedanke des Zweifelns dahinter.Das Gedicht ist gut gelungen, liebe Chavi, es passt hervorragend in die Denkerklause;
mich jedenfalls hat es ordentlich zum Nachdenken gebracht. :)Freut mich. Das soweit zum Inhalt.
Zum Formalen:Es sind keine freien Verse, sondern jeweils saubere Jamben und Trochäen;
wobei hier auch die "optische Gestaltung" durch die Kleinschreibung mit dem Inhalt kohärent ist. Danke, liebe Stimme! So habe ich es mir erhofft ;)
Hallo Thomas,
du bestätigst mir in deinem Beitrag, wie und warum die Schrägstriche gesetzt worden sind:Der Vorteil dieses Zeichens ist jedoch, dass es einen klar definierten Sinn hat, [...]
Es markiert eine Sprechpause, die etwa dem Komma entsprichtDanke!Der Unterschied zum Komma liegt darin, dass es nicht nach grammatikalischen Regeln gesetzt werden muss,[...] Und das sehe ich auch als wesentlichen Vorteil, es eröffnet mehr Räume, mehr Möglichkeiten, mit Worten zu spielen.
Es ist tatsächlich so, wenn man die Striche an einer anderen Stelle setzt,
verändert sich teilweise der Sinn der Aussage.
Chavali, dein Experiment macht mir Freude und ich bin gespannt, was noch daraus wird.
Lieber Thomas, ich freue mich über deinen Beitrag und bedanke mich dafür.
Hi ginnie,Rein sprachlich hätte ich einige Zäsuren weggelassen [...]
auch nicht schlecht, deine Idee, die jeweils zweite Zeile ohne Strich zu schreiben.Inhaltlich ist dies ein sehr nachdenklich/philosophischer Text, wobei gerade dieses "wer ich bin" mir irgendwoher sehr bekannt vorkommt.
Ich würde mich denke ich stark täuschen, es nicht schon einmal gehört zu haben,Ich auch. Ein Wortfetzen vielleicht oder ein Satzteil in einem Buch, ein gesprochenes Wort in einem Film - es kann alles sein.
Für mich wichtig ist die Inspiration, die ich daraus gezogen habe.
Denn sie ist alles, will man kreativ sein ;)
Auch dir lieben Dank, ginnie.
Euch allen liebe dankbare Grüße,
Chavali
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