Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Albtraumsonett
Friedhelm Götz
23.01.2012, 15:51
Seit langem muss ich oft in Träumen rennen,
mich wie ein Wild der Jagd durch Flucht entziehn,
als wolle sich mein Ich von Räumen trennen,
aus jahrelanger, strenger Zucht entfliehn.
Es heißt, dass kurz im Schlaf Geschichten dauern,
doch ewig, wenn man nicht zum Licht erwacht.
Lässt mich der Horror in Gedichten schauern,
äfft mich der Alb, der Bösewicht: er lacht!
Versuche ich, den Ausbruch schlicht zu wagen,
wächst mir der Mut auch kühn mit Sturmgewalt.
Der Nachtmahr weiß mich armen Wicht zu schlagen:
Schon schrumpf ich nachts darauf zur Wurmgestalt.
Ein Albtraum wohl, der Seelenqual vermehrt,
und der normal zu unnormal verquert.
Ja, Fridolin,
ein typischer Albtraum.
Und in einem englischen Sonett verdichtet.
Fein! :)
Passende, nicht allzu oft gelesene Reime, (z.T. Schüttelreime! :D) Gefühle,
die von David bis zum Goliath reichen,
ein Auf und Ab,mal König, mal Bettler...
und meist geschlagen, verhöhnt, gedemütigt.
Schön zu lesen!
Lieben Gruß,
Chavali
Friedhelm Götz
27.01.2012, 14:19
Hallo Chavali,
vielen Dank für deine lobenden Worte, du machst aber die Einschränkung "zum Teil Schüttelreime". Die Reime sind durchweg Schüttelreime.
LG Fridolin
Erich Kykal
30.12.2013, 09:56
HI, Fridolin!
Ein wahres Meisterstück, sowohl was Sprache angeht als auch die wunderbar untergebrachten Schüttler!
Man muss ja sagen, mitunter muss man Schüttelreime etwas an den Haaren herbeigezogen verbauen, damit sie als Vers noch einigermaßen Sinn ergeben - du hingegen hast es so drauf, dass man solch einen Eindruck (beinahe) nie hat - und hier schon gar nicht!
Wunderbar zu lesen und auch lyrisch ausgesprochen gelungen!
Ein paar Peanuts:
S3Z3 - Kein Komma nach "weiß".
S3Z4 - ist so geschrieben zu lang. Schreib einfach "schrumpf" ohne "e" dran, dann passt es genau.
Die Conclusio fällt natürlich hebermäßig aus dem Sonettrahmen. Solltest du das mal ändern wollen, hier eine statthafte "Verlängerung", der auch gleich die gespreizte Inversion in der oberen Zeile beseitigt:
"Ein Albtraum wohl, der Seelenqual vermehrt,
und der normal zu unnormal verquert."
Sehr gern gelesen und beklugfummelt!
LG, eKy
Friedhelm Götz
30.12.2013, 10:35
Hallo eKy,
hab vielen Dank fürs Lesen und deine sehr willkommenen Verbesserungsvorschläge. Ich habe sie gleich eingearbeitet.
LG Fridolin
Finde das Gedicht echt grandios, vor allem die Komplexität Schüttelreime auch in semantisches Reih und Glied zu bringen, weckt große Begeisterung - zumal das Thema Albtraum in spannend zu lesenden Intuitionen wiedergegeben wurde - sehr gut gelungen wie mir scheint!
Hallo Fridolin,
Meisterwerke gehen nicht unter, wie man liest. :)
Bilder und Sprache verschmelzen zum Genuss, man liest mit Bewunderung gleich ein zweites Mal und erst danach macht man sich die Wirkung eines Albtraums klar.
(Natürlich fallen auch die gekonnt eingesetzen Schüttelreime auf.)
Sehr, sehr gut und sehr, sehr schön.
Liebe Grüße
Dana
Lieber Fridolin,
Chapeau!
Du solltest zu "King Of Schüttel" ernannt werden.
Leider kann der Titel wegen der Nähe zum Schüttelreim "Shingle Of Küttel" anstandshalber nicht offiziell vergeben werde.
Liebe Grüße
Thomas
Friedhelm Götz
31.12.2013, 13:12
Hallo allerseits,
ihr glaubt gar nicht, wie mir euer Lob gut tut. In krassem Gegensatz zu euren begeisterten Kommentaren steht dieser aus einem anderen Forum:
lb schüttler,
das ist toll gemacht - aber eben viel zu bemüht, wenigstens in diesem fall. das sonett ist eine wunderbare form, um die schlaflosigkeit zu thematisieren. durch die extra drechselungen der schüttelformulierungen hast du allerdings das thema quasi zur nebensache erklärt.
diese kombination von ernster botschaft mit unernster form gelingt hier m.e. gar nicht. schreib doch mal ein reines sonett und laß das schütteln sein.
lg w.
Fast hätte ich mich von diesem Kommentar, der mit der Aufforderung, das Schütteln sein zu lassen, doch sehr überheblich wirkt, ins Bockshorn jagen lassen. In der Zwischenzeit ist mir wiederholt bescheinigt worden, dass mir die Kombination von ernster Botschaft mit der scheinbar unernsten Form der Schüttelreime durchaus gelingt. Der Schüttelreim ist eben vielseitiger als sein Ruf. Der Dichter und Sonettist Robert Wohlleben schreibt in dem Zusammenhang: »Als sonderbar erscheint mir, daß der humoristische Effekt auszubleiben scheint, sonst doch so unlösbar an Schüttelreime geknüpft.«
Liebe Grüße
Fridolin
Erich Kykal
31.12.2013, 21:29
Hi, Fridolin!
Wenn ich einwerfen darf:
Dass man die Schüttelreime womöglich hier gar nicht wahrnimmt, liegt an dreierlei.
Einerseits daran, dass die Schüttler stets durch eine Verszeile getrennt sind, also nicht unmittelbar aufeinander folgen - andererseits daran, dass sie hier so geschickt in den roten Faden gewoben wurden, dass sie nicht weiter auffallen oder sich in den Vordergrund spielen - und endlich, weil dir hier eine so packende Sprachhabung und lyrische Dichte gelungen sind, eine so hohe verbale Qualität, dass man vor lauter Mitschwelgen beim Lesen die Schüttler gar nicht mitbekommt.
Ich sage ehrlich - hätte ich nicht schon lange um deine "Spezialisierung" gewusst, ich wäre bei einer so melodischen und in sich schlüssigen Sprachführung gar nicht erst auf die Idee gekommen, nach Schüttelreimen Ausschau zu halten!
Dieses Sonett ist in jeder Hinsicht ein Meisterstück, vor allem aber in der perfekten Symbiose und/oder Synthese zweier lyrischer Disziplinen, die sich hier nicht um den ersten Rang streiten, sondern perfekt harmonieren, ja, ineinander aufgehen! Das sprachgewaltige Sonett und der Schüttelreim!
Einfach erstklassig! Dieses Werk sollte als glänzendes Beispiel für die ultimativen Möglichkeiten von beiderlei Kunst in jeder Anleitung zur Dichtkunst stehen - falls es derlei gibt...
LG, eKy
Friedhelm Götz
01.01.2014, 19:10
Hallo eKy,
ich weiß gar nicht, was ich darauf sagen soll, ein solches Lob von dir macht mich sprachlos.
Liebe Grüße
Fridolin
Erich Kykal
02.01.2014, 15:36
Bloß nicht - wie willste sonst weiterdichten!!?:D;)
Friedhelm Götz
03.01.2014, 11:24
Hallo eKy,
ein Leserin glaubt, in der Passage:
"Lässt mich Geträumtes in Gedichten schauern" einen Logikfehler zu erkennen:
..denn was das LI in Gedichten liest, ist ja nichts 'Geträumtes'. Außerdem meint sie, dass die häufige Verwendung des Wortstammes Traum den Wert des Gedichtes schmälere. Schließlich meint sie, in der Schlusszeile müsse es statt unnormal abnormal heißen. Wie siehst du das?
LG Fridolin
Erich Kykal
03.01.2014, 12:54
Hi, Fridolin!
Man hüte sich vor weiblichen "Logikern!":D - Okay, das war jetzt chauvinistisch-frauenfeindlich, aber in diesem Fall trifft es zu! Die angesprochenen sog. Defizite der Reihe nach:
Das Geträumte, welches das LyrIch liest, ist sehr wohl existent, nämlich wenn es Thematik oder Inhalt des betreffenden Gedichtes ist, wenn dieses also Träume beschreibt oder darüber sinniert. Genauso habe ich es übrigens beim Lesen verstanden und interpretiert.
Das mit dem häufigen Gebrauch von "Traum"-wörtern ist Geschmackssache. Erbsenzähler oder besonders sprachlich feinfühlige Leutchen mögen damit Probleme haben - ich jedenfalls fühlte mich beim Lesen nicht dadurch "belästigt".
"Unnormal" oder "abnormal" - beide Wörter sind korrekt und anwendbar. Ersteres verwendet die deutsche Vorsilbe, letzteres die lateinische. Es obliegt also einzig dem persönlichen Geschmack oder Gehör, für welche der Varianten er sich entscheidet.
Ich hoffe, die meines Erachtens haltlosen Anwürfe sind damit geklärt.:cool:;)
LG, eKy
Hallo Fridolin,
die weiblichen Logiker sind nicht alle gleich - wie auch alle anderen.:D
Geschichten dauern. Sie lauern umgesetzt zu werden. Am liebsten und schönsten in Lyrik. Wer Lyrik liebt, versteht und rennt (träumt) mit.;)
Ich habe dein (Alb)traumsonett ganz neutral :D verstanden und mich beim ersten Lesen verliebt.
In diesem Falle: Erwache nicht, wir träumen mit.:)
Liebe Grüße
Dana
Lieber Fridolin,
da ist es also, das gute Stück, über das wir einen so regen und sehr konstruktiven Austausch hatten, der mir noch in bester Erinnerung ist.
Und 'gutes Stück' ist beileibe nicht zynisch gemeint, Tatsache ist, es ist nicht nur gut, sondern ein ausgezeichnetes Stück. Drum freut es mich sehr, es wieder lesen zu dürfen. :)
Die weibliche Logik also.... :D Soso. Hmmm. Das hat was.
Und zwar Eky-Wiedererkennungswert. :p
Und den nächsten Chip hätt ich auf Faldi gesetzt. :D
Nun denn, die weibliche Logik (manchmal schwer zu begreifen und vmtl deshalb nicht hoch genug eingeschätzt:p) hat doch einiges bewirkt hier und, wie ich meine, verlieh das dem Text fleckenlose Hochglanzpolitur. :)
Jedes Lobeswort ist zu Recht und verdient und ich bin froh, dass Du die Schnapsidee, das Schütteln sein zu lassen, ignoriert hast.
Das hätte uns alle um viele Schmankerl ärmer gemacht.
Sehr gerne wieder gelesen und besenft. :)
LG von Lai:Blume:
Hi Fridolin,
wenn in einem langen Faden eigentlich schon alles Wichtige zu einem Gedicht geschrieben wurde, bleibt für mich nur noch spamverdächtiges Blabla oder Wiederholung.
Zu deiner Kritikerin:
Einen vermeintlichen Kratzer am offensichtlichen Meisterwerk ausfindig gemacht zu haben, kann durchaus auch Neid bedeuten und klarmachen, wo der/ die wahre Lehrmeister/in bzw. Fachmann/frau zu suchen ist. Sensible Naturen und Selbstzweifler sollten sich dabei im Zaum halten, um sich nicht als Opfer ihrer eigenen Albträume, Unsicherheiten und Perfektionsbemühungen zu fühlen. Und deine Nummer kannst du mit allem gebührlichen Stolz präsentieren. Das kriegt hier keiner so hin, von dem, was ich bisher gelesen habe.
Schüttler sind sowieso eine Spezialistenspezies für sich und haben stets meine stille Bewunderung, auch wenn ich nicht jedes Werk beklatsche. Dieses Gedicht sticht dabei sicherlich nochmal besonders heraus. Selten, das perfekte Technik und perfekter Inhalt eine solche Symbiose eingehen. Toll, LG AZ
Hallo Chavali,
vielen Dank für deine lobenden Worte, du machst aber die Einschränkung "zum Teil Schüttelreime". Die Reime sind durchweg Schüttelreime.
Hallo Fridolin,
hm, stimmt - vor zweieinhalb Jahren hatte ich wohl noch nicht das Auge dafür...
Verzeihst du mir? :o
Heute sehe ich dein Gedicht mit wissenderen Augen und ich finds toll.
Hier hat sich eine interessante und lehrreiche Diskussion entspannt - danke dafür!
LG Chavali
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