Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Empfehlung an den himmlischen Maler
Onkie IIV
03.02.2012, 17:07
Empfehlung an den himmlischen Maler
zu empfehlen bei "Die-Welt-ist-schlecht"-Laune ;)
Erst fängt er an, Geschöpfe zu erschaffen,
Dann sitzt er da und malt sie einsam aus.
Er malt in seinen Urwald ein paar Affen,
Dazu die Frau und ihr ein großes Haus.
Er malt ein bisschen was von weißen Schiffen,
Dann konstruiert er einen schönen Quarz.
Doch hat die Einsamkeit ihn längst ergriffen,
Drum wird das meiste auf der Erde schwarz.
Er malt kurzum - er war sehr lang alleine -
Den bösen Wolf zum Schaf, den Mann zur Frau.
Noch steht das Bild, trotz langer hübscher Beine.
Doch unser Malermeister weiß genau:
Tränkt er sein Bild, verschwimmen die Konturen
Und alles läuft: Die Frau, der Mann, das Haus.
Als lebten jene und erwirkten Spuren.
Und doch: Wirkt nichts. Sieht alles nur so aus.
Erst fängt er an, Geschöpfe zu erschaffen,
Dann sitzt er da und malt sie rabenschwarz.
Drum sei gesagt zu all den edlen Pfaffen:
Er male besser Gelb in die Giraffen,
Und bleibe bei der Konstruktion von Quarz.
Liebe Grüße an jeden Leser, ders bis hier geschafft hat. :)
Falderwald
03.02.2012, 21:56
Hallo Onkie,
also ich empfinde den Text nicht als allzu lang. Brauchst dich also nicht zu entschuldigen. :D
Auch neben den langen Balladen der Alten gab und gibt es eine Menge Gedichte, die im Umfang länger sind.
Man braucht eben immer so viele Strophen, bis man niedergeschrieben hat, was man zu sagen hatte. ;)
Tatsächlich findet sich Anfang der vierten Zeile in der ersten Strophe eine Unregelmäßigkeit in der ansonsten ordentlichen Metrik. (siehe auch Kommentar von Lipiwig)
Du könntest "gleichsam" (Xx) z.B. gegen "dazu" (xX) austauschen und schon wäre das kein Thema mehr.
Der Text ist originell und wendet sich an einen Schöpfergott, der hier als "himmlischer Maler" agiert.
Empfehlungen an diesen sollten also gut durchdacht sein.
Ich denke, wir müssen uns nicht lange bei den ersten vier Strophen und der Deutung der verwendeten Metaphern aufhalten, denn hier wird quasi die Schöpfungsgeschichte wie die Schaffung eines Bildes erzählt.
Ein wenig aus dem Rahmen fällt dabei die "Konstruktion eines schönen Quarzes".
Das widerum finde ich aber sehr originell, denn irgendwie muss ja die Erschaffung eines Planeten mit fester Oberfläche dargestellt werden.
Es stört also das Gesamtbild nicht.
Kommen wir zur letzten Strophe, die m. E. die Kernaussage des Textes darstellt, zumal bisher von der im Titel versprochenen Empfehlung noch nichts zu lesen war.
Erst fängt er an, Geschöpfe zu erschaffen,
Dann sitzt er da und malt sie rabenschwarz.
Drum sei gesagt zu all den edlen Pfaffen:
Er male besser Gelb in die Giraffen,
Und bleibe bei der Konstruktion von Quarz.
Die ersten beiden Zeilen bilden den Abschluss der vorher erzählten Geschichte, obwohl sie am Anfang anknüpfen.
Malte er zunächst die erschaffenen Geschöpfe einsam aus, so entschied er sie am Ende für die Farbe Schwarz.
Das interpretiere ich als schlechtes Zeichen und setze das synonym mit der Sterblichkeit der Geschöpfe und den Unheilszustand, in den jeder Mensch als Nachkomme Adams hineingeboren wird, also die Belastung mit der Erbsünde.
Derjenige, der davon profitiert, ist der Klerus, also die gesamte Pfaffenschaft, weil diese ja ihren Seelenrettungspflichten nachgehen müssen und notfalls auch missionierend tätig sind.
Und da sie ja über die besten Connections zu ihrer Gottheit verfügen, sind sie auch der richtige Adressat für eine Empfehlung, die da lautet, der himmlische Maler soll nicht alles nur in schwarzweiß einteilen, sondern auch besser ein wenig Farbe ins Spiel bringen, denn es gibt nicht nur die beiden Extreme Himmel und Hölle, sondern noch eine ganze Menge dazwischen.
Und da die Gottheit dieser Religion dem Leben und seinen Geschöpfen gegenüber so zwiegespalten gegenübersteht, möge sie doch in Zukunft besser bei der Konstruktion von Sonnen- und Planetensystemen bleiben und künftig Lebensformen vermeiden, die sich in einer an sich feindlichen Umwelt nur durch die Aufnahme der Lebensenergie anderer Wesen selbst für eine Weile die Existenz erhalten können.
„Nun ist diese Welt so eingerichtet, wie sie sein mußte, um mit genauer Not bestehen zu können. Wäre sie aber noch ein wenig schlechter, so könnte sie schon nicht mehr bestehen.“
Was auch ein schönes Schlusswort darstellt.
Ein origineller Text...:)
Gerne gelesen und kommentiert...:)
Liebe Grüße
Bis bald
Falderwald
Hi Lipiwig,
du fragst, wo der freie Wille bleibt?
Den braucht man nicht extra zu erwähnen, denn der wird von der Kirche nicht nur anerkannt, sie hat ihn als Notwendigkeit erfunden, weil sonst ihr ganzes System nicht funktionieren könnte.
Wenn der Mensch keinen freien Willen hätte, so wäre er für seine Handlungen im Leben vor der richtenden Gottheit nicht zur Verantwortung zu ziehen.
Also ist dieser freie Wille eine zwingende Voraussetzung für die himmlische Gerichtsbarkeit.
Wir besitzen aber nicht wirklich einen freien Willen, wie Schopenhauer eindeutig beweisen konnte...;)
Ich z. B. könnte mich niemals willentlich dazu entscheiden, an etwas zu glauben, von dem ich zutiefst überzeugt bin, daß es nicht existiert.
Vorspielen könnte ich das sehr wohl, wenn ich dazu gezwungen wäre.
Aber das bliebe immer nur eine Vortäuschung. :)
Liebe Grüße
Falderwald
Onkie IIV
04.02.2012, 14:39
Hallo ihr zwei :),
vielen Dank für die netten Kommentare! Freut mich, dass ihr dem Text
etwas abgewinnen konntet. :) Ich sehe das mit dem freien Willen wohl
ähnlich wie Falderwald und Schopenhauer.. Wenn gleich man sich nie
ganz sicher sein kann, inwieweit Entscheidungen von dem tiefsten
Selbst mit einfließen.. Wirklich gefreut hat mich, was ihr für Details
in der Interpretation gefunden habt. Freut mich auch, dass der Quarz
nicht ablehnend aufgenommen wurde. Da war ich mir etwas unsicher.
"Gleichsam" mag ich als Wort so sehr, Falderwald zeigt da aber eine
wirklich ernstzunehmende Alternative auf. Danke!
An Lipiwig:
"Anfang von S1 V4 und V4 S1" Sind das zwei Stellen? Wenn
das zweite für S4 V1 steht: Ich betone "er" und "tränkt" etwa gleichstark.
Jedenfalls, ich freu mich unheimlich, dass das Gedicht auf angenehme Kritik
gestoßen ist. :) (Hatte 6 Wochen nahezu nichts geschrieben.)
Vielen lieben Dank euch beiden,
lg
onkie
hallo onkie,,
Ich muss sagen, dass auch mir der Text sehr gut gefällt. Für die erste Strophe: warum hast du nicht einfach "er malte" benutzt?, da es ja in den anderen Strophen auch so fortgeführt wurde..
Vorschlag:
Er malte in den Urwald ein paar Affen,
so auch die Frau und ihr ein großes Haus.
Das Quarz in der zweiten Strophe verstehe ich als Kristallisation, sprich ein Prozeß der maßgeblich an der Entstehung des Lebens mitgewirkt haben soll.
Die Gegenüberstellung von schwarz/weiß als altbewährtes Dualitätskriterium. Selbst den Malvorgang lese ich hier als einen geistigen Prozeß, der Schwarz/Weiß Malerei. Die letzten zwei Zeilen des Gedichtes verstehe ich in dem Zusammenhang aber nicht, oder weiß nicht was damit ausgedrückt werden soll? Sprich: Er male besser Gelb in die Giraffen, Und bleibe bei der Konstruktion von Quarz.
insgesamt ein interessantes Werk, die Fragen des Lebens wissen immer zu gefallen...wie auch die Farben natürlich...gerne gelesen :)
liebe Grüße gin
Onkie IIV
06.02.2012, 21:27
ein erneutes hallo :)
danke lipiwig für die erneute rückmeldung. das dazu ist gekauft. :)
lieber ginton, schön von dir zu lesen und sehr
interessant eine gänzlich andere interpretation zu hören.
die letzten beiden zeilen zeigen die empfehlung auf: statt einen
leidenen menschen zu erschaffen, soll er lieber etwas
schönes konstruieren; so wie es falderwald schon aus den
zeilen heraus gelesen hatte. der quarz steht für mich genau
im gegensatz zum lebendigen. er war als sinnbild für ein
wissenschaftliches konstrukt angedacht, etwas komplexes
was seine schönheit durch den leblosen aufbau
und die innere komplexe struktur erlangte. das widerspricht sich ziemlich,
und da komme ich leider auf keinen grünen nenner mit deiner
interpretation des lebens. :(
weißt du ob das allgemein so gesehen wird? ich hoffe andere halten
den quarz auch für etwas unlebendiges ;)
lg
onkie
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