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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Einsicht II


Antigone
19.09.2012, 09:34
So einem, der das letzte Kleingeld zählt,
sich davon einen Strick kauft, um zu baumeln,
der zaghaft sagt adé der schnöden Welt,
dem wird der Lebensnerv am Stricke taumeln.

Der Mensch ist eben mehr als ein Mandrill,
dem Dasein mehr nicht ist als Platitüde.
Doch an den Platz, an dem er hängen will,
drängt oftmals schnell der nächste Lebensmüde.

Vermissen wird ihn niemand und so weiter,
und auch verdammen wird ihn keiner mehr.
Das Leben ist nun mal nicht immer heiter,
im Gegenteil, es ist wohl meistens schwer.

Falderwald
04.10.2012, 07:55
Hallo Antigone,

nein, das Leben ist nicht immer heiter, ganz im Gegenteil.
Für viele Menschen bedeutet es hauptsächlich Leiden.

Im Gegensatz zu einem bunten Paradiesvogel, der Mandrill ist ja das farbenprächtigste Säugetier dieser Welt, hat der Mensch aber die Wahl, ob er dieses Leben weiter führen möchte oder nicht.

Obwohl das auch völlig egal ist, denn ob sich jemand einen Strick nimmt oder nicht, interessiert letztlich kaum jemanden.

Lustig wird es nur dann, wenn sich zwei Lebensmüde denselben Baum aussuchen, an dem sie baumeln möchte.
Dann bekommt das Leben am Ende doch wohl noch einen Sinn?

Nun ja, über den Sinn des Lebens haben sich schon ganz andere den Kopf zerbrochen.
Bleibt am Schluss die Frage, ob es wirklich einen Sinn geben und haben muss.

Pauschal kann man dies sowieso nicht beantworten, denn den Sinn des Lebens muss jeder für sich selbst herausfinden.

Oder aber eben das letzte Kleingeld zählen, ob es noch für einen Strick reicht.

Jedem das seine...;)

Übrigens: In S1 / Z2 bitte noch "davon" nach vorne setzen, denn dieses Wort wird xX betont.
Besser also: "davon sich einen Strick kauft, um zu baumeln,"


Gerne gelesen und kommentiert...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald

Antigone
04.10.2012, 09:01
Lieber Falderwald,

danke für die Beschäftigung mit dem Text. Der Sinn des Lebens, ja auch darum geht es mir, aber auch noch das bisschen vom Mehr, das man so schlecht benennen kann. Das Ganze mit einem Schuss Sarkasmus, das Ameisendasein des Menschen.

Aber was du schreibst zu der Betonung von "davon", dazu habe ich eine andere Erfahrung. Die Zusammensetzungen mit "da" kann man auf beiden Silben betonen, es kommt auf den Bezug an. Wenn man sagt "davon",
weist man auf etwas hin, während davon nur ganz allgemein gemeint ist. Also beide Möglichkeiten: xX oder Xx. In dem Gedicht bezieht sich das davon auf das Kleingeld. Man spricht das von selbst so, weil es logisch ist, ich hätte sonst anders formuliert.

Lieben Gruß
Antigone

Falderwald
04.10.2012, 10:48
Hi Antigone,

ich möchte nicht besserwisserisch erscheinen, aber in der deutschen Sprache ist es eben so, daß du die Betonung nicht willkürlich festlegen kannst, sondern diese festen Regeln folgt.
Im Zweifelsfalle (gerade mit diesem Begriff habe ich mich intensiv beschäftigt) richte ich mich immer nach dem guten alten Duden und der behauptet nun mal, egal worauf sich das Adverb "davon (http://www.duden.de/rechtschreibung/davon)" bezieht, daß es auf der zweiten Silbe betont wird.
Dies geht auch ganz klar aus der Bedeutungsübersicht dort hervor.
Du müsstest diesen Begriff ansonsten durch "hiervon (http://www.duden.de/rechtschreibung/hiervon)" ersetzen.

Alle Begriffe mit der vagen Vorsilbe "da" werden auf jener unbetont gesprochen, da diese "Herkunftsangabe" relativ unbestimmend ist.
Bei der Vorsilbe "hier" hingegen, handelt es sich um einen ganz bestimmten Bezug, so daß diesem Priorität eingeräumt ist und sie deshalb betont gelesen wird.

Aber was du schreibst zu der Betonung von "davon", dazu habe ich eine andere Erfahrung. Die Zusammensetzungen mit "da" kann man auf beiden Silben betonen, es kommt auf den Bezug an.

Das ist zwar richtig, aber es gibt dafür ganz bestimmte Regeln, bzw. nur eine einzige Ausnahme:

Nur bei "davon, dass..." (http://www.duden.de/rechtschreibung/davon__dass) wird die erste Silbe betont gesprochen.
Du musst also sofort eine Begründung dafür liefern und kannst es somit nicht reflexiv, also auf ein Subjekt zurückbeziehend, verwenden, sonst bleibt es das, was es ist, das Adverb "davon".

Lies bitte auch einmal diese Bedeutungen und Beispiele (http://www.duden.de/rechtschreibung/davon#Bedeutung1a), dort wirst du auch deine Verwendung dieses Begriffes im übertragenen Sinne finden.

Ich kenne das Problem der gerne gebrauchten falschen Betonung aus eigener Erfahrung nur zu gut, deshalb hatte ich mich damit auch vor einiger Zeit intensiv beschäftigt.

Ersetze "davon" durch "hiervon", dann kann es an der Stelle stehen bleiben. ;)

danke für die Beschäftigung mit dem Text. Der Sinn des Lebens, ja auch darum geht es mir, aber auch noch das bisschen vom Mehr, das man so schlecht benennen kann. Das Ganze mit einem Schuss Sarkasmus, das Ameisendasein des Menschen.

Das "bisschen vom Mehr"?

In der Natur gibt es nur einen einzigen Zweck der biologisch (materiellen) Existenz:

Du wirst gezeugt, wirst mit geringfügigen Unterschieden zu den Erzeugern geboren, anschließend betreut und wächst so heran zur geschlechtsreifen Imago. So gibst du dein Erbgut weiter, betreust selbst eine Weile lang deinen veränderten Nachwuchs, dann hast du abzutreten und Platz zu machen, um der Entwicklung ihren Lauf zu lassen.
Somit bist du für die Natur also nur ein Mittel zum Zweck, die Spezies zu erhalten und weiter zu entwickeln.

Alles andere, was die Menschen sich daraus machen, spielt für die Natur keine Rolle, auch wenn es Auswirkungen auf sie haben könnte.
Denn die Natur ist nicht wählerisch, sie passt sich allen Bedingungen reflexartig an.

Somit gibt es nur ein einziges Fazit:

Der Mensch ist der Gestalter seiner eigenen Welt.

Was wir Menschen in unserem Ameisenhaufen, also in unserer Gesamtheit, damit dann anfangen, nun, das steht auf einem ganz anderen Blatt.

Himmel und Hölle finden wir jedenfalls nicht im Jenseits.
Und da wir ohne solche Relationen auch keine Vorstellung von den Dingen an sich haben könnten, brauchen wir diese beiden auch.
Und zwar hier und jetzt, wie zu allen Zeiten...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald

Antigone
04.10.2012, 13:28
Lieber Falderwald,

ich weiß nicht, wo du das her hast, dass davon auf der zweiten Silbe betont wird, mein Duden jedenfalls erlaubt beide Betonungen. :D Du hast es auch bei "dabei", "dadurch", "darum" usw.

Das bisschen an Mehr sollte man nicht so sehr auf das Natürliche eingeschränkt sehen, wie du es tust. Der Mensch braucht nun mal das Mehr, das nicht nur auf seine bloße Existenz und Reproduktion abzielt. Der Mensch ist ein Wesen, das in zwei Formationen existiert: einmal, völlig klar, als Teil der Natur, das andere Mal aber als Teil der menschlichen Gesellschaft, aus der sich dann bestimmte Folgerungen für ihn ergeben. Brecht nennt das, was ich meine, den Schnittlauch zum Salat. (Sogar Tiere haben das, was man ein soziales System nennt, wenn auch auf einer völlig anderen, der tierischen Stufe).

Lieben Gruß
Antigone

Falderwald
04.10.2012, 17:45
Hallo Antigone,

wo ich das her habe?

Na, dann klicke mal auf die entsprechenden Links (das sind die blau unterstrichenen Begriffe.)

Macht aber auch nichts, es ist ja dein Text und du kannst das selbstverständlich verwenden und betonen, wie du willst, ich handhabe es jedenfalls anders...:)

Davon, daß wir hier unterschiedlicher Meinung sind, erwachsen uns bestimmt keine grauen Haare.

Wir sind hier zwar unterschiedlicher Meinung, aber davon wachsen uns bestimmt keine grauen Haare.

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Das bisschen an Mehr sollte man nicht so sehr auf das Natürliche eingeschränkt sehen, wie du es tust.

Aha. Und warum nicht? Wer sagt das denn? Und was sollte mich daran hindern?

Der Mensch braucht nun mal das Mehr, das nicht nur auf seine bloße Existenz und Reproduktion abzielt.

Das ist aber eine kühne Behauptung, obwohl ich dazu neige, dem zuzustimmen (aber aus einem anderen Grunde s. u.).
Aber, trifft das wirklich auf alle Menschen zu?
Oder nur auf diejenigen, die dazu tendieren, irgendeinen imaginären höheren Sinn in der menschliche Existenz zu sehen?

Der Mensch ist ein Wesen, das in zwei Formationen existiert: einmal, völlig klar, als Teil der Natur, das andere Mal aber als Teil der menschlichen Gesellschaft, aus der sich dann bestimmte Folgerungen für ihn ergeben.

Ja, aber zunächst einmal existiert er als natürliches kleines Lebewesen, daß nackt und hilflos erst einmal überleben will und nach sofortiger Bedürfnisbefriedigung verlangt. Ohne Natur gibt es keine Lebewesen, keine Arterhaltung, keine Evolution und schon mal gar keine Gesellschaften.

Und überhaupt, was soll das eigentlich sein, "die menschliche Gesellschaft"?
Gesellschaftsformen oder -modelle mag es durchaus geben, aber eine menschliche Gesellschaft im eigentlichen Sinne des Wortes existiert nicht.
Es gibt lediglich unzählige verschiedene Gruppen, welche sich zusammengeschlossen haben und die ein in bestimmter Weise strukturiertes soziales, ökonomisches o. ä. Gebilde darstellen (und sich untereinander auch noch bekämpfen und Kriege führen).


Brecht nennt das, was ich meine, den Schnittlauch zum Salat.

Und was ist mit denen, die keinen Schnittlauch mögen und das auch überhaupt nicht benötigen, weil ihnen der Schnittlauch viel zu gewöhnlich ist?

Ich nenne das gezielte geistige Manipulation, denn das Kind soll ja zu einem nützlichen Mitglied der gerade aktuellen Gesellschaft heranreifen.

(Sogar Tiere haben das, was man ein soziales System nennt, wenn auch auf einer völlig anderen, der tierischen Stufe.)

Hm, und diese tierische (also natürliche) Stufe funktioniert schlechter, als die sogenannte menschliche?

Warum? Nur weil wir "denken" können und unsere "Gesellschaften" selbst erschaffen bzw. formen, weil wir uns eben für etwas Besonderes, Besseres halten, das sich von der Natur abhebt?

Jedes Lebewesen versucht, sich in seiner eigenen "Gesellschaft" so gut als nur eben möglich durchzusetzen, indem es seine individuellen Stärken dafür einsetzt.

Die einen tun es mit Zähnen und Klauen, die anderen mit ihrem Intellekt.
Wo liegt da der Unterschied außer in der Wahl der Waffen?
Kann es sein, daß Gesellschaft eigentlich nur ein stilisierter Kampf um das "bessere" Dasein ist?

95 % der Mitglieder sogenannter menschlicher Gesellschaften stehen intellektuell knapp über den Primaten und wenn es um ihre Weltanschauung geht, liegen sie noch weit darunter, weil Tiere eben keine künstliche Moralvorstellungen besitzen.

Die Natur unterscheidet nicht zwischen "Gut" und "Böse", das tun nur wir Menschen in unserem künstlichen Konstrukt.

Wenn in Afrika eine Dürre herrscht und daraus eine Hungersnot erfolgt, so liegt hier keine moralisch bewertbare Handlung der Natur vor. Dann ist es eben so.
Wenn aber unsere Gesellschaftsform täglich Tonnen von Lebensmitteln vernichtet, mit denen diese Menschen überleben könnten, dann sieht das schon wieder ganz anders aus.

Tolle Gesellschaft, die ihre Brüder und Schwestern elendig verrecken lässt oder sie sogar auf bestialischste Weise gezielt mit Vorsatz und modernster Technik vom Leben zum Tode befördert.
Eine schöne Gesellschaft, die nur auf ihren eigenen (materiellen) Vorteil bedacht ist und dessen Mitglieder sogar untereinander nur um die fetten Brocken kämpfen.

Nein, wenn ich mich in die sogenannte Gesellschaft begebe, dann gebe ich vorher meinen Kopf an der Garderobe ab, denn dort muss ich nur funktionieren und wehe wenn nicht.
Da ist dann für ein erträgliches Leben ein überlebenswichtiger Opportunismus angesagt, nichts weiter und das bedeutet mir gar nichts.

Ganz im Sinne unserer schönen, neuen und modernen Leistungsgesellschaft.

Vielleicht mag der Mensch dieses "bisschen Mehr" brauchen.
Ich jedenfalls brauche es nicht, sondern benutze es mit meinen Mitteln für meine Zwecke.

Aber ist das wirklich das Wichtigste? ;)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald

Antigone
04.10.2012, 18:43
Lieber Falderwald,

was zählt für mich, ist in jedem Fall der Duden, alle andere Literatur ist für mich Sekundärliteratur, die sich an den Duden anlehnt, jedoch nicht seine Verbindlichkeit besitzt. Es ist deshalb angebracht, kritisch mit ihr umzugehen.
Ich weiß nicht, was du für einen Duden hast, ich habe den neuesten und den alten, in beiden gibt es beide Möglichkeiten der Betonung. Aber ich will darauf nicht herumreiten, sondern nur darauf verweisen, dass man sich sehr leicht in Regeln verfangen kann, wenn man da nicht nach allen Seiten offen ist.

Tja, was soll ich zu deinen Überlegungen zur menschlichen Gesellschaft sagen? Du beziehst dich in deinen Äußerungen auf die Gesellschaft, die du kennst, die bürgerlich-kapitalistische. Was deine Einschätzung dieser Gesellschaft angeht, sehe ich es ähnlich, ich ziehe aber andere Schlussfolgerungen daraus.

Menschen sind Wesen, die auf Einwirkungen von außen reagieren. Wenn also die Umwelt menschenfeindlich ist, gibt es zwei Möglichkeiten der Reaktion: Entweder der Mensch zieht sich zurück, wie du das tust, oder er beginnt ihr Funktionieren zu begreifen und dagegen anzugehen, ob nun mit oder ohne Erfolg. Was ich sehe, ist in dieser Gesellschaft die totale Resignation, du bist da keine Ausnahme. Ob das allerdings auf längere Sicht klug ist, steht auf einem anderen Blatt, denn ohne Widerstand können sich die Verhältnisse nur verschlechtern.

Ich weiß, dass es auch anders geht. Im Gegensatz zu dir kenne ich jetzt zwei Möglichkeiten der Organisation menschlichen Zusammenlebens, und ich weiß, dass ich noch vor 20 Jahren in einer völlig anders strukturierten Gesellschaft gelebt habe, in deren Mittelpunkt tatsächlich der Mensch und nicht der Profit stand. Viele, die ich kenne, wollen das heute nicht mehr wahrhaben, sie werden ihre Gründe haben. Aber jetzt lebe ich in dieser von dir geschilderten Gegenwart, und ich weiß, wie schwierig es ist, ihr gegenüber eine Haltung einzunehmen, die nicht resignativ ist.

Das alles aber beweist, dass eben nicht nur die Natur der einzige Bezugspunkt des Menschen ist, sondern immer auch die Gesellschaft - auch dann, wenn man mit ihr nichts zu tun haben will. :D

Lieben Gruß
Antigone

Falderwald
04.10.2012, 20:05
Hallo Antigone,

ich benutze die Seite www.duden.de, es gibt m. E. keine aktuellere Version.

Auch dort steht freilich, "mit besonderem Nachdruck" dafür.

Wenn du diesen hier ohne Notwendigkeit geltend machen möchtest, so habe ich selbstverständlich nichts mehr dagegen einzuwenden.

Goethe und ich machen es halt anders...:D


Tja, was soll ich zu deinen Überlegungen zur menschlichen Gesellschaft sagen? Du beziehst dich in deinen Äußerungen auf die Gesellschaft, die du kennst, die bürgerlich-kapitalistische. Was deine Einschätzung dieser Gesellschaft angeht, sehe ich es ähnlich, ich ziehe aber andere Schlussfolgerungen daraus.

Nein, ich beziehe mich auf verschiedene Gesellschaftssysteme.
Ob sie bürgerlich-kapitalistisch, religiös, sozialistisch oder national geprägter Natur sind, spielt überhaupt keine Rolle.
Sie alle haben nur eine Funktion: Die regionalen Regeln festzulegen, nach denen das jeweilige Spiel funktioniert.
Sie bleiben jedoch, was sie sind, künstliche Konstrukte.

Menschen sind Wesen, die auf Einwirkungen von außen reagieren. Wenn also die Umwelt menschenfeindlich ist, gibt es zwei Möglichkeiten der Reaktion: Entweder der Mensch zieht sich zurück, wie du das tust, oder er beginnt ihr Funktionieren zu begreifen und dagegen anzugehen, ob nun mit oder ohne Erfolg. Was ich sehe, ist in dieser Gesellschaft die totale Resignation, du bist da keine Ausnahme. Ob das allerdings auf längere Sicht klug ist, steht auf einem anderen Blatt, denn ohne Widerstand können sich die Verhältnisse nur verschlechtern.

Alle Wesen reagieren auf äußerliche Einwirkungen, ohne Ausnahme, das ist keine menschliche Eigenschaft.

Aber ich glaube, wir haben uns hier missverstanden.
Ich ziehe mich keineswegs zurück, ich (be)nutze das System lediglich für meine Zwecke mit meinen Möglichkeiten. Resigniert habe ich auch noch lange nicht, denn schließlich schreibe ich ja darüber.
Wahrscheinlich wird das keinen Erfolg haben, denn selten hat ein Schreiberling nur mit seiner Schreibmaschine etwas verändert oder bewegt, aber immerhin ist das besser als nichts.
Die Gesellschaftsformen liefern mir genügend Material für den ein oder anderen intellektuellen Erguss.
Ich für meinen Teil kann mich daran himmlisch ergötzen. :D

Ich weiß, dass es auch anders geht. Im Gegensatz zu dir kenne ich jetzt zwei Möglichkeiten der Organisation menschlichen Zusammenlebens, und ich weiß, dass ich noch vor 20 Jahren in einer völlig anders strukturierten Gesellschaft gelebt habe, in deren Mittelpunkt tatsächlich der Mensch und nicht der Profit stand. Viele, die ich kenne, wollen das heute nicht mehr wahrhaben, sie werden ihre Gründe haben. Aber jetzt lebe ich in dieser von dir geschilderten Gegenwart, und ich weiß, wie schwierig es ist, ihr gegenüber eine Haltung einzunehmen, die nicht resignativ ist.

In Anbetracht deiner Deutschkenntnisse unterstelle ich jetzt einfach mal, daß du hier das ehemalige DDR-Gesellschaftssystems meinst.

In dessen Mittelpunkt stand also tatsächlich der Mensch?

Du meinst tatsächlich den Staat, der seine Grenzen mit einer Mauer, Stacheldraht, Tretminen und scharf schießenden Grenzsoldaten schützen musste, damit ihm die Menschen, die in seinem System im Mittelpunkt standen, nicht einfach davon laufen würden?
Du benennst also den Staat, wo jeder nicht konforme Mensch damit rechnen musste, als politischer Gegner verfolgt und seiner Freiheit beraubt zu werden?
Du nimmst wirklich als Beispiel jenen Staat, der über 40 Jahre von der Sowjetunion abhängig war und lediglich subventioniert wurde und der zusammenbrach, als der große Bruder finanziell in die Knie ging, weil er das nicht mehr stemmen konnte?
Ha, da war es ja kein Wunder, daß hier nicht der Profit im Mittelpunkt stand.
Welcher Profit denn auch und wofür?

Und den Menschen so in den Mittelpunkt zu stellen, heißt nichts anderes, als ihm eine bestimmte Ideologie aufs Auge zu drücken und diejenigen, die das nicht wollen zu bestrafen, anstatt sie gehen zu lassen. Auf einen solchen Mittelpunkt kann ich verzichten.

Also wenn ich die Wahl hätte, würde ich mich auf jeden Fall für die Freiheit entscheiden, auch wenn ich sie vielleicht nicht völlig nutzen kann, weil mir die finanziellen Möglichkeiten fehlen.
Aber immerhin besitze ich die theoretische Möglichkeit dazu und habe sie immer besessen.

Das alles aber beweist, dass eben nicht nur die Natur der einzige Bezugspunkt des Menschen ist, sondern immer auch die Gesellschaft - auch dann, wenn man mit ihr nichts zu tun haben will. :D

Nein, das alles beweist lediglich den Prozess der Einordnung des Individuums in die jeweilige Gesellschaft und die damit verbundene Übernahme gesellschaftlich bedingter Verhaltensweisen durch das Individuum.

Doch eines scheint dabei in Vergessenheit geraten zu sein:

Nur weil es sich bei Gesellschaft um ein künstliches Konstrukt handelt, spielt der Mensch eine Rolle darin. Sie muss nicht einmal mit seinen Überzeugungen übereinstimmen, denn der Mensch kann sich gut verstellen.

Das Atmen, Trinken und Essen aber, das kann er nicht vortäuschen.

Der Mensch muss nicht einmal zwangsweise die gesellschaftlich bedingten Verhaltensweisen übernehmen, wenn er bereit ist, die Konsequenzen dafür zu tragen. In zivilisierten Ländern muss er dabei nicht einmal um seine Existenz fürchten.

Hört er aber auf zu Atmen...:D


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald

Antigone
07.10.2012, 10:32
Lieber Falderwald,

offensichtlich kanntest du die DDR besser als ich, dass du so eingehend darüber schreiben kannst? Aber lassen wir das Thema DDR, ich lebe jetzt seit mehr als 20 Jahren in der BRD, mit dem heutigen Leben muss ich zurechtkommen, ob mir das gefällt oder nicht.

Wie kommst du darauf, eine Gesellschaftsformation als künstliches Konstrukt zu bezeichnen, das frage ich mich allen Ernstes. Aber lassen wir das, wir beide kommen aus sehr unterschiedlichen Gesellschaftsmodellen, wir sind von ihnen geprägt und kommen da allem Anschein nach auf keinen grünen Zweig.

Trotzdem, es war sehr aufschlussreich für mich, deine Ansichten kennenzulernen, obwohl ich sie nur zum Teil teile.

Lieben Gruß
Antigone

Falderwald
08.10.2012, 16:30
Hallo Antigone,

Fragen zu stellen und anschließend mit "lassen wir das" selbst zu beantworten, kann keinen Aufschluss über bestimmte Sachverhalte geben und bleiben eher unbefriedigend, so daß ich mich noch einmal zu Wort melden möchte.

offensichtlich kanntest du die DDR besser als ich, dass du so eingehend darüber schreiben kannst?

Wenn du dort geboren und aufgewachsen bist, kann die Antwort nur lauten: Natürlich nicht.

Aber das habe ich auch mit keinem Wort behauptet:

Du meinst tatsächlich den Staat, der seine Grenzen mit einer Mauer, Stacheldraht, Tretminen und scharf schießenden Grenzsoldaten schützen musste, damit ihm die Menschen, die in seinem System im Mittelpunkt standen, nicht einfach davon laufen würden?

Es gab also keine 1400 km lange Demarkationslinie zwischen der DDR und der Deutschen Bundesrepublik, die mit Mauern, Stacheldrahtzäunen, Minenfeldern und bewaffneten Grenzsoldaten gesichert waren?

Entlang der Grenze zu Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern bestand seit der Anordnung von 1954 auf dem Gebiet der DDR offiziell ein „Sperrgebiet“. Dieses setzte sich zusammen aus einer „5 km-Sperrzone“, einem 500 Meter breiten „Schutzstreifen“ und dem „10 m-Kontrollstreifen unmittelbar am Grenzzaun. Der zehn Meter breite (gepflügte) Kontrollstreifen wurde auch „Todesstreifen“ genannt. Dieser Bereich war zeitweise vermint oder mit Selbstschussanlagen ausgerüstet. Der mit Stacheldraht gesicherte „Schutzstreifen“ wurde systematisch von allen möglichen Sichthindernissen geräumt, hierzu wurden auch Planierungen vorgenommen. Flusspassagen und -übergänge wurden durch tiefreichende Sperrgitter gesichert. Dahinter folgte bis zur eigentlichen Grenzlinie ein von der jeweiligen Geländetopographie abhängiges „Niemandsland“, das von Republikflüchtlingen oft als westdeutsches Gebiet fehlgedeutet wurde. Auch Bundesbürger lösten hier Grenzvorfälle aus, wenn sie leichtfertig in dieses Gebiet vordrangen.

Der eigentliche Grenzzaun war zunächst ein einfacher hüfthoher Stacheldrahtzaun, nach 1961 ein schwer überwindbarer doppelter Stacheldrahtzaun (als Begrenzung von Minenfeldern) beziehungsweise ein Streckmetallgitterzaun mit Selbstschussanlagen; mitunter bestand er auch aus einer Mauer mit oben aufliegendem runden Abschluss (wie in Berlin). Seit 1957 hieß die Demarkationslinie in der DDR offiziell „Staatsgrenze West“, im dortigen Volksmund „Grenze nach Westdeutschland“.

Die Bürger der DDR hatten also freien Zugang zur Ostsee zwischen Priwall und Boltenhagen?

Und den § 213 des Strafgesetzbuches der DDR, der den sogenannten "ungesetzlichen Grenzübertritt" regelte und mit zwei bis fünf Jahren, später sogar bis zu acht Jahren, Haft sanktionierte, den gab es wahrscheinlich auch nicht.

Du benennst also den Staat, wo jeder nicht konforme Mensch damit rechnen musste, als politischer Gegner verfolgt und seiner Freiheit beraubt zu werden?

Das Ministerium für Staatssicherheit "Stasi" hat es also auch nie gegeben und die §§ 215, 219 und 245 des DDR StGB sind niemals für politische Verurteilungen benutzt worden?

Das MfS war innenpolitisch vor allem ein Unterdrückungs- und Überwachungsinstrument der SED („Schild und Schwert der Partei“) gegenüber der DDR-Bevölkerung, das dem Machterhalt diente. Dabei setzte es als Mittel Überwachung, Einschüchterung, Terror und die so genannte Zersetzung gegen Oppositionelle und Regimekritiker („feindlich-negative Personen“) ein.

Du nimmst wirklich als Beispiel jenen Staat, der über 40 Jahre von der Sowjetunion abhängig war und lediglich subventioniert wurde und der zusammenbrach, als der große Bruder finanziell in die Knie ging, weil er das nicht mehr stemmen konnte?

Dazu nur ein paar wesentliche Fakten:

Die DDR war wirtschaftlich ,politisch und militärisch von der Sowjetunion abhängig.


wirtschaftliche Abhängigkeit wegen z.B. Gas, Erdöl, Eisenerz...(wurde geliefert)
wegen der Rohstofflieferungen somit auch politisch abhängig und die Parteivorsitzenden der SED wurden vom ZK der KPDSU bestimmt.
250 000 Sowjetsoldaten waren in der DDR stationiert. Die Nationale Volksarmee unterstand der Roten Armee.


Ich möchte an dieser Stelle jetzt gerne einbringen, daß ich mich ausschließlich auf nicht widerlegbaren geschichtliche Fakten beziehe, die mir lediglich eine von außen betrachtende subjektive Vorstellung von den Dingen ermöglichen.

Des Weiteren bin ich mir sehr wohl bewusst, daß mir dies alleine keine Vorstellung der dortigen Gesellschaftsform erlaubt.

Die Idealvorstellung der DDR-Regierung von ihrer staatlichen Gesellschaft wurde jedoch in alle Richtungen öffentlich immer wieder proklamiert:



Du sollst Dich stets für die internationale Solidarität der Arbeiterklasse und aller Werktätigen sowie für die unverbrüchliche Verbundenheit aller sozialistischen Länder einsetzen.
Du sollst Dein Vaterland lieben und stets bereit sein, Deine ganze Kraft und Fähigkeit für die Verteidigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht einzusetzen.
Du sollst helfen, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beseitigen.
Du sollst gute Taten für den Sozialismus vollbringen, denn der Sozialismus führt zu einem besseren Leben für alle Werktätigen.
Du sollst beim Aufbau des Sozialismus im Geiste der gegenseitigen Hilfe und der kameradschaftlichen Zusammenarbeit handeln, das Kollektiv achten und seine Kritik beherzigen.
Du sollst das Volkseigentum schützen und mehren.
Du sollst stets nach Verbesserung Deiner Leistung streben, sparsam sein und die sozialistische Arbeitsdisziplin festigen.
Du sollst Deine Kinder im Geiste des Friedens und des Sozialismus zu allseitig gebildeten, charakterfesten und körperlich gestählten Menschen erziehen.
Du sollst sauber und anständig leben und Deine Familie achten.
Du sollst Solidarität mit den um nationale Befreiung kämpfenden und den ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern üben.


Hier sollte also einerseits die (damals) nationalsozialistische Ideologie und die Religion durch eine neue, nämlich die sozialistische Ideologie ersetzt werden.

Natürlich haben das nicht alle Bürger so gelebt. Aber viele von ihnen haben auch nie Veranlassung gehabt, gegen die Landes- und Systemgrenzen anzurennen und so ein ganz normales Leben führen können.

Jetzt kommt es nur darauf an, was man unter einem normalen Leben verstehen kann.

Wenn ich in einer Versorgungsdiktatur aufwachse, kann ich mich mit dieser arrangieren, mich vielleicht dort sogar engagieren, aber es prägt die öffentliche Gesellschaft und das Bild, das jene nach außen wirft.

Ich nehme stark an, eine solche Diskussion, wie wir sie hier jetzt öffentlich führen, hätte für mich u. U. in der DDR durchaus negative Konsequenzen mit sich bringen können

Die Situation der Menschen in der DDR und in der Deutschen Bundesrepublik war damals vollkommen anders gelagert, denn die innerdeutsche Grenze war ja nicht nur die Grenze zweier Staaten, sondern zudem zweier völlig verschiedener Gesellschafts-, sowie Wirtschaftssysteme und zu allem Überfluss noch die Frontlinie zwischen den zwei Militärblöcken "Warschauer Pakt" und "Nato".

Jeder musste also auf seiner Seite so gut wie möglich zurecht kommen und viele haben auf beiden Seiten sehr darunter gelitten.

Ich möchte also ganz versöhnlich klarstellen, daß ich niemandem einen persönlichen Vorwurf machen möchte, weil ich nicht sagen könnte, wie ich mich in vergleichbaren Situationen verhalten hätte.

Aber wenn ich die Wahl habe, dann würde ich das jetzige System, trotz aller Fehler und offensichtlicher Schwächen, auf jeden Fall vorziehen.
Das ist meine subjektive Einstellung und Meinung.

Wie kommst du darauf, eine Gesellschaftsformation als künstliches Konstrukt zu bezeichnen, das frage ich mich allen Ernstes.

Unter den Begriffen Gesellschaftsformation, Gesellschaftsform oder Gesellschaftssystem versteht man in der Soziologie, Politik- und Geschichtswissenschaft die historisch bedingte Struktur und soziale Organisationsform von Gesellschaften. Der vor allem von Karl Marx geprägte Begriff der Gesellschaftsformation umfasst dabei die Gesamtheit aller sozialen Verhältnisse, die eine bestimmte Gesellschaftsform von einer anderen Gesellschaftsform unterscheiden. Beispiele für Gesellschaftsformationen sind die antike Sklavenhaltergesellschaft, die mittelalterlich-feudale Gesellschaft, der moderne Kapitalismus, der Faschismus oder der Kommunismus.

Nun, ich sehe da nicht viel Natürliches drin, es sind alles Ideologien und die sind nun mal von Menschen künstlich gemacht.
Auf jeden Fall werden diese Ideologien in Form von Moralvorstellungen und Werten öffentlich proklamiert und von den Machthabern den übrigen Menschen (z.B. in der Horde, dem Stamm oder dem Staat) teils durch (willkürliche) Gesetzgebung auferlegt.

Eine Gesellschaft braucht eine Gesellschaftsordnung und diese ist nicht Teil der Natur der Dinge und kann nicht aus den Naturgesetzen abgeleitet werden.
Wir können vielleicht annehmen, daß die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Ordnung in der biologischen Verfassung des Menschen angelegt ist, aber dann bewegen wir uns schon wieder auf sehr dünnem Eis, weil wir so tendenziell in die Nähe nationalsozialistischer Ideen rücken, die Gesellschaftsformationen einerseits in natürlich gewachsene Gemeinschaften und andererseits in künstlich gebildete Gesellschaften unterschieden (siehe Volksforschung, Rassenkunde und die Volkskunde).

Fakt ist, unsere Wirklichkeit ist gesellschaftlich bestimmt.
Aber diese Bestimmung muss auch verkörpert werden, d.h., daß immer konkrete Personen und Gruppen die Bestimmer dieser Wirklichkeit sind. Um den Zustand der gesellschaftlich konstruierten Sinnwelt zu verstehen, muss man die gesellschaftliche Organisation aber durchschauen können, die es solchen Bestimmern ermöglicht, daß sie bestimmen.

So verschiebt sich die Frage nach den historischen Wirklichkeitskonzeptionen zwangsläufig vom abstrakten "Was" zum soziologisch konkreten "Wer". Hinter dem "Wer" verbergen sich immer die selbsternannten Experten, welche die gesamte Jurisdiktion über den gesamten Wissensvorrat beanspruchen. Das sind die sogenannten "Welt-Spezialisten". Jene Inhaber der entscheidenden Machtpositionen sind bereit, ihre Macht für die traditionellen Wirklichkeitsbestimmungen einzusetzen und sie der Bevölkerung autoritativ aufzuzwingen. Mögliche Konkurrenz für diese Sinnwelt wird liquidiert, sobald sie auftaucht, nämlich entweder physisch zerstört oder aber eben integriert und geschluckt.

Wer sich eingehend mit Anthropologie, Soziologie, Psychologie und Philosophie beschäftigt hat, kann also nur zu dem ernsthaften Schluss kommen, daß Gesellschaftsformationen ausschließlich künstliche, von Menschen erschaffene Konstrukte sind.

Das, was du nämlich meinst, ist die Gemeinschaft, aber die Gesellschaft fängt erst dort an, wo die Gemeinschaft aufhört...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald