Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : TV - Das indirekte Leben
Erich Kykal
26.10.2012, 13:58
Im Flimmern heischen ungezählte Lose
vergeblich grell um unsere Geduld,
denn gleichermaßen Sühne oder Schuld
berührn uns nicht. Das Leben aus der Dose
entwöhnte lange uns dem wahren Fühlen -
das stieß uns allzu lange nicht mehr zu,
und in der Illusion von Seelenruh
ist ja so gut in andrer Dasein wühlen,
als wären alle Bilder ohne Wesen
in einem Kreis, den man als Sein begreift.
Der nackte Zeigefinger wird zum Besen,
der leichthin alles ins Vergessen streift,
was wir nicht gerne zwischen Zeilen lesen
und uns womöglich zu Gewissen reift.
Falderwald
01.11.2012, 22:37
Servus Erich,
ich lese gerade "Die Philosophie des verbotenen Wissens" von Professor Konrad Paul Liessmann, der übrigens ein Landsmann von dir ist.
Ein ziemlich negatives Buch hat er da geschrieben, was ich allerdings im positiven Sinne meine, denn diese Seite der menschlichen Existenz gibt es ja schließlich auch.
Dort wird das Thema deines Sonetts auch behandelt, zwar nur am Rande, aber es zeigt doch deutlich, wie sehr der Mensch sich zum Hässlichen und Schrecklichen hingezogen fühlt, vor allem, wenn er es aus der Ferne genießen kann.
"Als wären alle Bilder ohne Wesen" ist die Zeile, die ich an dieser Stelle einmal aufgreifen möchte.
An sich ist das ja auch so, Bilder sind keine Wesen, es sind eben nur die Bilder von Wesen, die irgendetwas erlebt haben.
Natürlich sind damit persönliche Schicksale verbunden und das ist es ja auch, was im Text zum Ausdruck gebracht werden soll, denn die Sozialkritik zwischen den Zeilen ist ja nicht zu übersehen.
Letztendlich ist das TV nur ein Produkt für Konsumenten, dazu noch geschickt aufgearbeitet, so daß es zwar Reaktionen beim Verbraucher hervorruft, dieser jedoch nicht wirklich Anteil an den gezeigten Ereignissen nehmen kann, weil er reizüberflutet wird.
Meist bleibt es bei der von ihm erwarteten Empörung.
Und trotzdem kann jeder auf diese Art und Weise, so wie es der Titel aussagt, indirekt am Leben anderer teilnehmen und bekommt solche Erfahrungen quasi gefahrlos für Leib und "Seele" auf dem Silbertablett in kleinen Häppchen frei Haus geliefert.
Gefühle bleiben dabei auf der Strecke, denn es betrifft einen ja (meist) nicht persönlich.
Wozu braucht es da ein Gewissen?
Heute ist es so, daß wir durch die schnellen Medien in einer Art "informierendem Rauschzustand" existieren. Eine Droge die immer wieder aufs Neue aktiviert werden will, weil eben alles, was sich gestern ereignete, auch schnell wieder in Vergessenheit gerät und sich somit abnutzt.
Nur das Neue ist noch interessant und das meine ich im wortwörtlichen Sinne, nämlich das Neue des Neuen wegen.
Selbst das, was ich jetzt hier geschrieben habe, ist morgen schon wieder Schnee von gestern, weil ich dann auf der Suche nach was Neuem bin.
So ist (auch) das (direkte) Leben (manchmal)...;)
Das ist ein nachdenklich machendes Sonett, daß ich gerne gelesen und kommentiert habe...:)
Liebe Grüße
Bis bald
Falderwald
Erich Kykal
01.11.2012, 23:49
Hi, Faldi! (Hatte Vertipperle und schrieb erst: Fasldi :D)
Den Herrn Liessmann und sein Buch kenn ich nicht, aber du hast meine Gedankengänge in Punkto TV sehr gut nachempfunden.
Das Gewissen sollte eigentlich mündig entscheiden, inwieweit man sich dieser Medienpampe ausliefern will und sie so quasi mitträgt. Aber als Junger weiß man es nicht besser, und als Alter ist man zu träge oder rechnet sich keine Chancen aus.
Früher war das Fernsehen weniger vielfältig, aber dennoch gehaltvoller!
Erst die amerikanischen Werbepausen, das Unterbrechen jeder Sendung alle 10 Minuten. Dann die ganzen sinn- und stillosen Talkshows, die leichten Vorabendserien ohne jeden Tiefgang, die Serien für die Schlüssellochfraktion wie Big Brother und alle Klone, pseudowissenschaftliche Sendungen ohne viel Info, aber reißerisch aufgemacht, kein Thema länger behandelt als allgemein verträgliche 10 Minuten, schön oberflächlich und belanglos.
Kultur, Kritisches, Dokus und Kunst - dafür gibt es eigene Kanäle. Aber auch da gibt's viel Mist! Was mich eigentlich stört, ist der unglaublich viele "tiefe" Müll, dieses Prolofernsehen, das um sich greift. Früher hatte man Bildungsauftrag und Vorbildfunktion - heute heißt es: Je unwürdiger, je doller! Der bildungsfernen Schichten allertiefste Lüste und Neigungen werden da schamlos bedient, und das alles in obendrein unflätigster Sprache! Sprache...auch so ein Kapitel im Fernsehen! Wer gutes Deutsch kann, wird nicht vor 2h morgens gesendet! Wenn selbst in Werbungen schon eindeutig falsches Deutsch verwendet wird, und keiner regt sich auf...was sagt das wohl aus? Der gute Ton verkommt zwischen satirischem Türkensprech und dem Gestammel unbeleckter Quotenopfer in den Nachmittagstalkshows, die eigentlich nur Idioten vorführen sollen, damit sich ein gehässiges Publikum an ihrem verbalen Durchfall weiden kann.
Tja - so schaut's aus! Schöne neue Welt zum Quadrat! Orwell würde sich im Grabe wenden...
Und dennoch schalte ich die Glotze jeden Tag ein und zapp mich zu den wenigen gehaltvolleren Angeboten durch - meistens Spongebob oder Universum. Knaaaatsch!
LG, eKy
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