Gedichte-Eiland

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Claudi 24.05.2014 21:13

Hüll dich in Schweigen
 
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Traumgetüncht im rosigen Ton des Lächelns
zieht das Grauen heimlich ins Kinderzimmer.
Stickig wirds, wenn Zauberers Stimme flüstert:
Hüll dich in Schweigen.

Nachtgebet: Erlöse uns von dem Bösen.
Schlaf, Prinzessin, Teddybär hält die Wache.
Schau nicht in die Kammer der Hirngespinste.
Nichts ist geschehen.

Vor dem Fenster bauschen sich Schamgardinen.
Leute gehn vorüber: gepflegter Rasen,
Rüschenkleidchen säuberlich auf der Leine.
Lügengebäude.


.

Dana 24.05.2014 21:32

Hallo Claudi,

dass du alle "Merkmale" der sapphischen Ode eingehalten hast, unterstelle ich ohne jede "Krittelei" - du machst das sicher gekonnt. (Ich habe noch nie eine geschrieben;))

Der Text selbst schafft Gänsehaut und berührt ob der Dichtkunst.
Beim Lesen entstehen Bilder, die einem den Atem nehmen.

Man ist geneigt, dem Titel zu entsprechen.

Ein großes Lob an die Verfasserin.

Liebe Grüße
Dana

Lailany 25.05.2014 06:08

Liebe Claudi,
ein verdammt starkes Stück legst Du uns hier vor.
Erste Eindrücke:
Beklemmend, dumpf und bedrückend. Es macht Angst.
Dass mir diese Emotionen gefallen, kann ich nicht behaupten. Zu gut bringst Du sie rüber, die monströse, brutale Hässlichkeit eines Kindesmissbrauches.
Nachdem Du schonungslos hart und nachhaltig das Gefühl des Lesers gepackt hast, fällt es schwer, meine Gedanken zum und vom Thema loszureissen und dem Handwerklichen zuzuwenden, bei dem Du Dich wieder einmal selbst übertroffen hast.
Dana's Anmerkung bzgl Form schließe ich mich ungeschaut an:
Wenn Claudi eine sapphische Ode im Titel ankündigt, dann ist mit Sicherheit eine sapphische Ode drin. Und ich geh davon aus, es ist eine perfekte.
Das Strickmuster hab ich mir schon verXXXt und zu meiner Bastelliste gelegt.
Mein erster Eindruck war, dass es relativ einfach zu knacken wäre.
Eingehende Beaugapfelung belehrte mich schnell eines Besseren.
Sappi ist kein leichtes Mädchen. Interessant ist sie aber allemal.
Na gut, das gibt mir wieder was zum Tüfteln. :):rolleyes:

Jedes Wort Deines Werkes ist handverlesen und strategisch geschickt platziert.
Damit kontrollierst Du den Spannungsbogen mit solcher Eleganz und Leichtigkeit, dass selbst der aufmerksame Leser die Arbeit, die darin steckt, nicht merkt.

Es mutet befremdlich an, hier von 'gefallen', oder einem Sahnehäubchen zu sprechen, dennoch möchte ich Dir sagen, dass ich
'Schau nicht in die Kammer der Hirngespinste' einfach exquisit finde.

Noch ganz im Banne dieses Ausnahmewerkes erscheint mir Kritik als kleinlich. Allerdings weiß ich auch, dass Du für ehrliche Meinungsäußerung immer offen bist.
Stickig wirds...
Das 'wirds' ist mir in diesem schweren Text zu flapsig.
'Stickig' passt vorzüglich und das sogar auf mehreren Ebenen.

Ich grüble nun schon eine ganze Weile, mir fällt nix ein, was ich Dir vorschlagen könnte.

Hierher werde ich sicher noch öfter zurückkommen. Ein brisantes Thema, das durch Deine meisterliche Aufbereitung zum Leseerlebnis wurde, wofür ich mich bedanke.

Eins würd mich brennend interessieren: Wie lange hast Du an diesem Stück gewerkelt?
Verrätst Du's mir?

Einen angenehmen Sonntag und lG von Lai :)

Thomas 25.05.2014 09:14

Liebe Claudi,

ich würde es so stehen lassen. Das "stickig wirds" tut dem Rhythmus gut und sticht (wie übrigens auch das "hüll") trefflich hervor, aus der Odenform, in welche der düstere Inhalt ge-ver-hüllte ist.

Liebe Grüße
Thomas

Falderwald 25.05.2014 21:28

Hi Claudi,

wie Dana habe ich auch noch nie eine sapphische Ode geschrieben und wenn Lailany sagt, es stecke auch drin, was du versprichst, dann will ich das einfach akzeptieren und mir als Lehrstück für die Zukunft merken, denn diese Strophenform gefällt mir ausnehmend gut, was man vom Inhalt ja nicht unbedingt behaupten kann.
Das liegt natürlich am bedrückenden Thema, das sehr authentisch umgesetzt wurde.

Wie soll ich jetzt erklären, dass etwas, das sich wie eine negative Kritik anhört, in Wirklichkeit eine positive sein soll in Anbetracht der Thematik?

Es ist ja nun wirklich kein schönes Thema und schon fast beängstigend, wie der Leser hier in die Psyche des Opfers Einblick erhält.
Die ganze Szenerie wirkt so real und wie aus dem Leben gegriffen, es ist schlicht und einfach ergreifend.

Die letzte Strophe ist dann der krönende Abschluss und die "Schamgardinen" passen einfach perfekt, die sind der Volltreffer.

Ich kann mich nur wiederholen. Diese Ode ist packend, traurig, mitleiderregend, wütend machend und empörend zugleich.

Die Umsetzung des Themas und die äußere Form kann ich nur als äußerst gelungen bewerten. Ein tolles, ein ungewöhnliches Gedicht von hoher Ausstrahlungskraft.


In diesem Sinne gerne gelesen und kommentiert...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald

Narvik 28.05.2014 09:35

Hallo Claudi,

dieses Thema ist wohl immer aktuell, leider.
Dein Gedicht beschreibt den "lieben Onkel", der sein unmoralisches Tun geschickt betreibt, indem er mit seinem Opfer ein "Geheimnis" teilt.
Und so als wäre nichts geschehen, geht es am nächsten Tag in einer heilen Welt weiter.
Die armen traumatisierten Opfer sind die Leidtragenden, wenn sich Erwachsene nicht zurückhalten können, die ihre Befriedigung nur an wehrlosen Personen erleben können.
Es ist traurig und widerlich, aber leider eine Tatsache, die wir aus unserer Gesellschaft nicht wegleugnen können.
Das beschreibt dein Gedicht sehr real und anschaulich, so dass mir eine Schauer über den Rücken gelaufen ist.
Gefallen hat mir dein Gedicht mit dieser ungewöhnlichen Strophenform sehr gut, die Dinge, die dort beschrieben werden allerdings nicht. Doch sie gehören nun einmal zur menschlichen Existenz dazu und deshalb ist deine Ode auch berechtigt und öffnet die Augen für solche Dinge, die hinterher am liebsten totgeschwiegen werden.
Gut, dass du dich nicht in Schweigen gehüllt hast.

Herzliche Inselgrüße

Narvik

Claudi 29.05.2014 17:35

Hallo, Ihr Lieben!

Dana, Eva, Thomas, Faldi, Narvik

Habt vielen Dank für Eure einfühlsamen Kommentare zu diesem traurigen Thema. Ernste Gedichte schreibe ich so gut wie nie. Dieses Thema war mir allerdings wichtig, und so habe ich etwa ein halbes Jahr daran gewerkelt, bis ich wirklich zufrieden war.

Die erhabene Odenform symbolisiert die Fassade der Ehrenhaftigkeit, hinter der sich der Täter verschanzt, während er die Würde des Kindes mit Füßen tritt. Im Namen aller Opfer, die oft ein Leben lang unter den Nachwirkungen des Missbrauchs leiden, muss das Schweigen gebrochen werden, und ich bin froh, wenn ich einen kleinen Beitrag dazu leisten konnte.

Liebe Grüße
Claudi

Chavali 29.05.2014 19:19

Liebe Claudi,

um dieses dein Werk bin ich, seit du es eingestellt hast, herumgeschlichen.
Ich war und bin beeindruckt. So sehr, dass ich keine Worte fand.

Zum Inhalt ist alles gesagt worden; ich würde mich nur wiederholen.
Auch die Gedichtform wurde besprochen und ist für dieses Thema wie kein anderes geeignet.

Nun habe ich einiges geschrieben und wenig gesagt.
So bleibt mir nur noch ein lobendes Wort für den Mut, dieses schwierige Thema
zu verdichten, zu verarbeiten.
Und ein großes Lob fürs Gelingen.


Liebe Grüße,
Chavali

Sidgrani 30.05.2014 15:09

Liebe Claudi,

in deiner Ode stecken so vielsagende und inhaltsschwere Wörter, die lautlos schreiend und anklagend auf die erniedrigenden und vernichtenden Geschehnisse hinweisen - sehr einfühlsam doch grausam.

Wenn es stickig wird, kann man nur schwer bzw.kaum atmen, vielleicht lässt sich damit etwas anfangen, wie z.B.: "Beklemmung, wenn ..." oder "Atem stockt, wenn".

Hast du bewusst "Leute" gewählt, weil es anonymer klingt, als Menschen oder Nachbarn?

"Lügengebäude" drückt für mich nicht präzise genug aus, was sich hinter der Fassade verbirgt, weil es sich eigentlich nur auf den direkten "Tatort" bezieht. Die Außenwelt, also die "Wegschauenden" bzw. die nicht "Wahrhabenwollenden" sind schließlich erheblicher Teil des Dramas. Die letzten fünf Silben sollten dies auch zum Ausdruck bringen - oder?

Gelesen, verharrt, tief durchgeatmet und bewundert.

Lieben Gruß
Sid

Claudi 30.05.2014 22:30

Liebe Chavali, lieber Sid,

auch Euch danke ich für Eure Kommentare! Sid, Du hast Dich so intensiv mit meinem Gedicht beschäftigt, und es tut mir so leid, dass ich wieder mal eine ausführliche Antwort verschieben muss. Ich fahre am Sonntag für einige Tage weg und hab noch so viel zu erledigen! Aber ich komme wieder und melde mich dann bei Dir, wenn ich hier weitergeschrieben habe und auf Deine konstruktiven Gedankengänge eingegangen bin.

Liebe Grüße
Claudi

juli 06.06.2014 09:24

Hallo Claudi
 
Da hast Du einem Thema Worte verliehen, wo sonst nur Sprachlosigkeit herrscht.

Es ist beklemmend.
Du leihst hier einem Opfer Worte.
Ich bin schon die ganze Zeit um Dein Gedicht herumgeschlichen, ich weiß nicht was eine sapphische Ode ist. ( ich google das mal)
Auf alle Fälle paßt diese Textform hier sehr gut. Sie ist sehr prägnant.

Aufrüttelnd.

Liebe Grüße sy:)

Hollerith 06.06.2014 13:55

Hallo Claudi,

ist eine sapphische Ode etwas besonderes, daß du das im Titel vermerkst?
Ich hab auch noch keine geschrieben und mußte erst googeln, was das für eine Strophenform ist.

Dein Gedicht erzeugt Gänsehaut, weil es auf subtile Art einen Vorgang beschreibt, vor dem sich die Menschen fürchten
und das man nicht begreifen kann: Kindesmißbrauch.


LG Holle

Thomas 15.06.2014 19:04

Liebe Claudi,

du schriebst "ernste Gedichte schreibe ich so gut wie nie."

die Qualität dieses Gedichtes, es ist sehr gut, lässt mich hoffen, dass du in Zukunft vielleicht doch mehr ernste Gedichte schreibst.

Liebe Grüße
Thomas

Claudi 16.06.2014 19:22

Lieber Sid,

jetzt wirds aber höchste Zeit, endlich auf Deine Anmerkungen einzugehen. Ich habe alles sacken lassen, bin nochmal einen Schritt zurückgetreten, um etwas Abstand zu gewinnen, und komme zu folgendem Ergebnis:


Zitat:

Zitat von Sidgrani (Beitrag 75042)
Wenn es stickig wird, kann man nur schwer bzw.kaum atmen, vielleicht lässt sich damit etwas anfangen, wie z.B.: "Beklemmung, wenn ..." oder "Atem stockt, wenn".

Ja, wie ich sehe, bekommst Du die gleichen Bilder heraus, die ich in die Formulierung hineingesteckt habe. Das ist schon mal gut. Ich möchte den Leser die beklemmende Atmoshäre spüren lassen, dabei aber nicht zu tief in die Gruselkiste greifen, sonst könnte das Ganze allzu leicht in die Schundsparte abgleiten. Mit dem "Grauen" in V2 habe ich ja schon ein ziemlich schweres Geschütz aufgefahren. Mehr verträgt die Strophe m.E. nicht, und da bin ich eigentlich ganz dankbar für einen Fetzen trockene Umganssprache wie "stickig wirds". Ich hänge aber nicht dran und würde ihn ohne weiteres durch einen gleichwertigen Schnipsel ersetzen. Da er Thomas gefällt und ich ihn nicht unpassend finde, lasse ich ihn erstmal stehen.


Zitat:

Zitat von Sidgrani (Beitrag 75042)
Hast du bewusst "Leute" gewählt, weil es anonymer klingt, als Menschen oder Nachbarn?

Ja, genau.


Zitat:

Zitat von Sidgrani (Beitrag 75042)
"Lügengebäude" drückt für mich nicht präzise genug aus, was sich hinter der Fassade verbirgt, weil es sich eigentlich nur auf den direkten "Tatort" bezieht. Die Außenwelt, also die "Wegschauenden" bzw. die nicht "Wahrhabenwollenden" sind schließlich erheblicher Teil des Dramas. Die letzten fünf Silben sollten dies auch zum Ausdruck bringen - oder?

Ich vermute, Du würdest etwas anderes ausdrücken wollen als ich. Meine Absicht war es, dem Leser, der das düstere Geheimnis kennt und nun die Sache aus der Perspektive der unwissenden "Leute" zu sehen bekam, das Wort in seiner Doppeldeutigkeit quasi auf die Zunge zu legen. Es geht nicht darum, die "Leute" anzuklagen, sondern die Eingeweihten für die Thematik zu sensibilisieren. Ob das so funktioniert, kann ich nicht sagen. Vielleicht kannst Du es jetzt anders lesen? Oder reden wir aneinander vorbei? Am besten, Du sagst nochmal kurz Bescheid.


Liebe Syranie, lieber Hollerith,

vielen Dank für Eure interessierten Kommentare! Ich antworte Euch gemeinsam und zeige mal kurz das Gerüst der sapphischen Ode. Es ist eine der antiken Odenformen (davon gibts eine ganze Menge, sie werden meist nach dem Dichter benannt, der sie einführte) die die ollen Griechen gerne verwendet haben. Die Dichterin Sappho bevorzugte jeweils drei fünfhebige trochäische Verse mit einem Daktylus im dritten Fuß und einem Adoneus (Daktylus-Trochäus) als Abschlussvers. Das sieht geixt dann so aus:

X x X x X x x X x X x
X x X x X x x X x X x
X x X x X x x X x X x
X x x X x

Diese Strophenformen sind also längst aus der Mode gekommen und werden eigentlich nur noch von ausgesprochenen Freaks (wie mir) verwendet. Die getragene, sehr ausgeprägte Versigkeit verträgt keinen Reim und eignet sich gut für schweren Stoff wie dieses beklemmende Thema.


Lieber Thomas,

mal sehen, wann ich nochmal ein so ernstes Thema zu packen kriege. Es ist halt ein Vielfaches an Aufwand, verglichen mit meinen albernen Dingern, aber ich werde es im Auge behalten.


Liebe Grüße Euch allen
Claudi


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