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Friedhelm Götz 30.06.2014 11:44

Der bestrafte Tyrann - frei nach Ovid -
 
Der bestrafte Tyrann

Erysichthon, der Tyrann,
war ein schrecklich böser Mann.
In Thessalien der Despot
sah beim kleinsten Anlass rot.

Dass er auch voll Hybris war,
wird an einer Untat klar.
Was er frevelhaft getrieben,
hat Ovid uns aufgeschrieben:

Denn der Herrscher ließ gemein
in der Ceres heilgem Hain,
an der heiligsten der Stellen,
ihre schönste Eiche fällen.

Rief die Göttin: »Diese Schmach
trage ich dir Frevler nach!
Ewge Unersättlichkeit
hex ich dir ins Eingeweid!

Doch was du verzehrest auch,
›Hunger!‹ schreit fortan dein Bauch!«
Und tatsächlich, so geschah‘s,
dass der Wüstling fraß und fraß.

Anfangs wählte er noch aus:
Krebs und Hummer gab‘s zum Schmaus,
ließ sich Köstlichkeiten schmecken:
Austern, Trüffeln, Weinbergschnecken.

Importierte Bärentatzen
ließen ihn genüsslich schmatzen.
Auch hat er mit Wein begossen
frisch gegrillte Haifischflossen.

Alles ohne satt zu werden:
Rinder, Schafe, ganze Herden.
Blumenkohl und Sauerkraut
hat er zentnerweis gekaut.

Bis er schließlich alles nahm,
was ihm vor die Zähne kam.
Löwen, Tiger, Elefanten,
Socken, Schuhe, Folianten,

Krokodile und Giraffen,
Stachelschweine, Zebras, Affen ...
Endlich hat, so musst es kommen,
er sich selber vorgenommen,

und bevor der Tag gegraut,
hat der Vielfraß sich verdaut.
Tief im Orkus, wo es dampft,
er noch heute weitermampft!

______________________________________________
Erysichthon ist eine Gestalt der griechischen Mythologie. Als König von Thessalien ließ er eines Tages eine heilige Eiche der Demeter fällen, der Göttin der Fruchtbarkeit der Erde, des Getreides, der Saat und der Jahreszeiten. Demeter rächte diesen Frevel, indem sie eine Hungergöttin dem schlafenden Erysichthon unstillbare Fressgier einhauchen ließ. Daraufhin verzehrte der König zuerst seinen gesamten Besitz und danach sich selbst.

Demeters römischer Göttername ist Ceres. Das Gedicht folgt der Vorlage des römischen Dichters Ovid mit der Göttin Ceres anstelle der griechischen Demeter.


Chavali 30.06.2014 13:10

Hallo Fridolin,

köstlich verdichtet :D

Was für eine Strafe! So oder ähnlich sollte es allen Tyrannen gehen :rolleyes:
Ich wär auch rachelustig, wenn man mir meinen herrlichsten Baum fällt.

Sehr gern gelesen!
Liebe Grüße,
Chavali

Narvik 08.07.2014 06:01

Hallo Fridolin,

so könnte es sich zugetragen haben. Diese mythische Geschichte hast du phantasievoll ausgeschmückt und somit dem Leser nahe gebracht.
Es musste ja eines Tages für den Tyrannen so weit kommen, zumal die alten Götter sehr rachsüchtig waren, wenn ihnen ein Sterblicher eine Schmach in Form einer Beleidigung zugefügt hatte. Die Strafen dafür waren oft unmenschlich, obwohl es solch ein Despot bestimmt auch nicht anders verdient hat. Möge es ihm munden.

Herzliche Inselgrüße

Narvik

Friedhelm Götz 08.07.2014 12:29

Hallo chavali und Narvik,

ich freue mich, dass euch meine Reimerei gefallen hat. Vielen Dank dafür. Für mich war das Gedicht auch eine Fingerübung im trochäischen Versmaß, das ich eher selten verwende.

LG Fridolin


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