Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 05.03.2017 12:17

Einsame Kindheit
 
Er stand abseits, wenn alle andern spielten,
der Welt in seinem Kopfe hingegeben.
Er wusste kaum, was jene andern fühlten
da draußen in der Welt, im wahren Leben.

Zu tief empfunden jedes Ihnverletzen,
zu schwer der Weg aus einem reichen Innen.
Das Außen war gefährlich, war Entsetzen,
und Einsamkeit ein mögliches Entrinnen.

Er wurde größer, aber nicht verstanden,
er glaube besser sich, so ging die Rede,
als alle anderen, und sie befanden
ihn seltsam wunderlich und etwas blöde.

Er blieb abseits, wenn alle andern lernten
zu lieben und zu lachen und zu leben,
und ihm, dem aus der Welt Entfernten,
Verachtung oder Mitleid mitzugeben.

Dana 05.03.2017 16:25

Lieber eKy,

das sind genau die Traurigkeiten, die ich am liebsten lese. Nicht ob der Traurigkeit allein - sie tragen auch etwas Tröstliches. Das Erlebte, das Beobachtete relativiert sich, ist auf einmal nicht mehr einzig.

Ganz besonders hervorheben möchte ich diese Verse:

Zitat:

Zitat von Erich Kykal
Das Außen war gefährlich, war Entsetzen,
und Einsamkeit ein mögliches Entrinnen.

Bei
Zitat:

Zitat von Erich Kykal
Er blieb abseits, wenn alle andern lernten,

bin ich in der Betonung von abseits hängen geblieben. Unser Duden hat mich darin bestätigt. (Wenn alle andern lernten, blieb er abseits - funktioniert wieder.)

Man kann sich darin auch einlesen, aber ich wollte mit dem Deutschlehrer darüber reden.:Kuss

Ein wunderschönes, trauriges und berührendes Gedicht. :Blume:

Liebe Grüße
Dana

Erich Kykal 05.03.2017 21:17

Hi Dana!

In meiner Version wird "abseits" auf der 2. Silbe betont, was nach leichter Gewöhnungsphase gar nicht so unnatürlich klingt wie gedacht. Vielleicht ist es "lyrisch" möglich, das Wort so zu verwenden.

Falls nicht, auch egal. Beim Vortrag klingt es für mich nicht schlecht, und das genügt mir. (Bin wohl zum Teil immer noch der Junge, der lieber in seinem Kopf lebt als draußen in der Welt ... ;):rolleyes:)

Vielen Dank für deinen Zuspruch! :)

LG, eKy

juli 06.03.2017 10:54

Hallo eky,:)

Dieses Gedicht steht zu Recht in der finsteren Abteilung. Nicht jede Kindheit ist Zuckerschlecken.

Die zweite S. Ist die eindringlichste, sie erzählt von der Verzweiflung. Das ganze Gedicht führt gut nachvollziehbar und sehr vor Augen, wie sehr Außenseiter leiden können.

Kinder untereinander können sehr grausam sein, wenn etwas nicht so ist, wie sie sich es denken. Letztendlich habe sie die Regeln des Lebens von ihren Eltern vorgelebt bekommen.:rolleyes: Und Kindheit tragen wir alle in uns für immer.

Gerade weil es ein ernstes, trauriges Thema ist habe ich es sehr gerne gelesen. Sehr lyrisch und zu Herzend - gehend.:Herz:

Das Wort " abseits" macht mir keine Probleme beim Lesen und Betonen.:Blume:

Liebe Grüße sy

:Blume::Blume::Blume:

fee_reloaded 06.03.2017 16:57

Ein sehr berührendes Gedicht, lieber Erich!

Ich möchte gar nicht am Inhalt der Zeilen rühren, denn was hier beschrieben wird, ist so ziemlich das Schlimmste, was einem Kind geschehen kann. Verletzt und allein gelassen kann Vertrauen nicht gelernt werden - wodurch sich das Gefühl der Einsamkeit und der Gefahr nur verstärkt.

Dein Gedicht macht mich tatsächlich sehr traurig. Die Flucht ins Innere, das zum eigenen Universum wird, weil die Welt da draußen sich nicht sicher anfühlt und keine Vertrauenspersonen da sind, die helfen könnten, den Weg zurück in eine Gemeinschaft zu finden...das lässt auf tiefe Wunden und heftige Verletzungen schließen. Etwas, das keinem Kind jemals zustoßen sollte.

Sehr gut in Worte gefasst - mit der genau richtigen Dosis an Gefühl, wie ich finde!

Gerne gelesen und dabei sehr still geworden.
fee

Erich Kykal 06.03.2017 19:25

Hi Sy, Fee!

Das Schlimmste ist die triefende Verachtung in Blicken und Stimme jener, die dich ansprechen, ihre absolute Nichtachtung deiner Person und ihr Wille, dass du das auch mitbekommst: Alles in dir will sich wegkrümmen darunter, aber du bleibst stehen und versuchst so zu tun, als ginge dir das alles am Arsch vorbei, weil du ihnen nicht auch noch die Genugtuung gönnen willst, dich zum Weinen zu bringen.
So lernst du, deine Gefühle zu unterdrücken, wie Stein zu werden, innen wie außen. Niemand kann dir da drinnen mehr wehtun ...
Mit den Jahren wird dir das erst zur zweiten, dann zur ureigenen Natur. Irgendwann kannst du es dann gar nicht mehr, selbst wenn du wolltest. Selbst wenn du die Beherrschung verlierst, ist es ein gesteuerter, weil innerlich zugelassener und wohlkontrollierter Akt - es wirkt nur nach außen echt, aber man weiß immer gneau, was man tut und warum.

Das einzige Mal habe ich mit 15 "wirklich" die Beherrschung verloren und bin für ca. 15 Sekunden Amok gelaufen, ehe die Wut verraucht war. Als ich zu mir kam, saß ich schon auf einem 16-Jährigen drauf (er hatte mich - ich war vollständig bekleidet - mit zwei Eimern Wasser überschüttet, einen von vorn, und als ich mich umdrehte und einfach nur gehen wollte, noch einen von hinten. Dabei ist dann irgendwas in mir zerrissen ...), den ich zuvor durch die Luft geworfen hatte wie einen Mehlsack und würgte ihn mit beiden Händen, knurrend und brüllend wie ein Tier ...
Es ging so schnell, er kam nicht mal dazu, ein einziges Mal zurückzuschlagen, obwohl er um einiges stärker war! Wäre ich länger "weg" gewesen, ich hätte ihn töten können - in diesem Zustand wäre es mir egal gewesen, ja ich hätte es sogar genossen!
Seither habe ich niemals wieder "auf ernst" gekämpft, auch wenn man mich noch so piesackte. Ich hatte zu große Angst vor dem, was ich sein konnte ...

Das ist heute über 35 Jahre her und bewältigt - ebenso wie die Jahre des Mobbings, auch wenn das damals noch nicht so hieß - auch wenn gewisse Spuren immer zurückbleiben, in meinem Fall der Hang zu Isolationismus und die Unfähigkeit, mit Gefühlen umzugehen (außer in Gedichten, warum auch immer - wahrscheinlich wieder: controlled environment).
Und alles hat sein Gutes: Wäre ich nicht da durchgegangen, könnte ich heute wohl vielleicht nicht so durchdringend schreiben. Hätte ich überhaupt begonnen zu schreiben und mein lyrisches Talent entdeckt? Wäre mein Geschreibsel heute belanglos und seicht, wäre meine Kindheit sorgenfrei gewesen? Wer weiß ...

LG, eKy

Dana 06.03.2017 20:47

Lieber eKy,
ich ahnte es, dass Dein Werk auch Autobiografisches beinhaltet. In Deiner letzten Antwort -

Zitat:

Zitat von Erich Kykal
Und alles hat sein Gutes: Wäre ich nicht da durchgegangen, könnte ich heute wohl vielleicht nicht so durchdringend schreiben. Hätte ich überhaupt begonnen zu schreiben und mein lyrisches Talent entdeckt? Wäre mein Geschreibel heute belanglos und seicht, wäre meine Kindheit sorgenfrei gewesen? Wer weiß ...

sagst Du etwas, was meinem Denken entspricht. "Alles hat sein Gutes" ist eine tiefe Weisheit. Sie ist Antwort auf das, was wir in Umkehr heute als Positiv erleben, soweit wir es erkennen. Für mich immer ein leiser Trost, für das, was zur Zeit absolut negativ ist. Ich habe inzwischen die "Stärke" und Hoffnung mir zu sagen, dass ich irgendwann sagen kann, dafür wäre es gut gewesen.
Es betrifft all unser Handeln auf allen Gebieten.

Ein wahrlich gutes Gedicht.

Liebe Grüße
Dana

Eisenvorhang 03.04.2017 17:13

Sehr schönes Gedicht.
Auch mir sind jene Zeilen nicht ganz unbekannt.

vlg

EV

Chavali 04.04.2017 10:01

Hi Erich,

was könnte ich noch sagen, was nicht schon gesagt wurde:
aufwühlend, berührend ist dein Text, aber auch entschlossen und mutig,
im Nachhinein zu versuchen, die Kindheit zu beleuchten und eventuell aufzuarbeiten.

4 starke Strophen - allerdings hätte ich mir noch so etwas wie ein Fazit gewünscht,
vielleicht wie der erwachsene Mensch damit fertig geworden ist.
Ein wenig schreibst du ja davon in deinen Antworten, aber so als letzte Strophe wäre auch nicht schlecht,
was meinst du?


Nachdenkliche und mitfühlende Grüße,
Chavali



Erich Kykal 04.04.2017 18:28

Hi, EV!

Vielen Dank. :)


Hi, Chavi!

Eigentlich habe ich nie was dran geändert. Ich lebe heute noch allein und sozial isoliert aus freien Stücken - meine einzigen direkten Kontakte zu Menschen finden schulisch statt, oder wenn ich einkaufe, zum Arzt gehe oder was reparieren lasse. Sehr selten treffe ich jemanden bewusst, das kann man pro Jahr an einer Hand abzählen.

Deshalb gibt es keine Strophe, die beschreibt, wie der Erwachsene etwas überwindet und reifer damit umgeht. Ich bin einfach so geblieben, wie ich als Teen war ... ;):rolleyes: Ist mir lieber so. Das Rechtfertigungslametta mag intellektueller sein als damals und wissenschaftlich fundierter, mit mehr Fachtermini und so - aber tief drinnen sitzt immer noch der gekränkte, gemobbte Junge, der sich an der Welt nicht mehr weh tun möchte ... :o:Aua

Lass gut sein. Es ist okay - ich leide nicht mehr. Ab und zu ein Gedicht dazu, so als Frustventil, und ich funktioniere wieder ein Jahr. Mehr würde ich wohl auch gar nicht mehr ertragen.

Jedenfalls vielen lieben Dank für deine aufrichtige Anteilnahme. :):Blume:

LG, eKy


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