Gedichte-Eiland

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Walther 21.04.2012 20:25

Hochofentrauer
 
Hochofentrauer


Sie ragen stolz, die alten hohen Türme:
In leeren Hallen schallt ein letzter Schritt,
Die Thomasbirne, starr, wie aus dem Tritt.
Ein Singen, schrill, begleitet Schluchtenstürme,

Die Ziegelmauern, rußgeschwärzt, umstreifen.
Und Fenster, klappernd, pfeifen leise mit:
Die Scheiben brachen aus dem alten Kitt.
Man kann das Gestern mit den Händen greifen.

Verrostet hängen Tore in den Angeln,
Und Türen schlagen zu dem Pfeifen Takt.
Auf Dächern sieht man junge Birken hangeln.

Im Makadam wächst Unkraut ungefragt:
Hier wurde Stahl aus Eisenerz geboren;
Die letzten Tauben gurren ganz verloren.

Erich Kykal 22.04.2012 00:05

Hi, Walther!

Industrieruinenromantik! Ein neuer Lyrikzweig!

Das gefällt mir sehr gut in Klang und Bildern, mit zwei Minuspunkten:

Zum einen das Großschreiben der Zeilenanfänge, egal, ob mitten im Satz oder nicht. Jaja, ich weiß, bin schon oft drauf rumgeritten, aber hier stört es eindeutig am Übergang von S1 zu S2: Das Enjambement kommt beim ersten Lesen gar nicht an, weil man glaubt, ein neuer Satz fange an, was allerdings den "roten Faden" kappt: Wieso ein Punkt nach umstreifen? - denkt man, das ergibt keinen Sinn! Erst dann dämmert es einem, dass der Satz von S1 hier noch weitergeht. Natürlich ist der Lesegenuss zum Teufel, man muss neu ansetzen. Lästig, störend, kontraproduktiv! Aber das weißt du ja schon. Warum du immer noch auf diesem überkommenen Effekt bestehst, ist mir schleierhaft. Naja, jeder wie er glaubt...

Zum anderen der letzte Dreizeiler: Abgesehen davon, dass Takt-ungefragt ein unreiner Reim ist, finde ich diese Conclusio schlicht...schlecht. Das hohe Niveau der oberen Strophen mündet hier in ein wie abgeschnitten wirkendes Sinngewebe (vorletzte Zeile, die ins Leere läuft, wo man ein "doch nun..." oder ein "nun aber..." erwarten würde), an das ein seltsam entkoppelter Homunkulus von Abschluss drangepappt wurde, der so, wie er hier formuliert ist, irgendwie...enttäuscht! Die letzte Zeile hier wirkt wie eine krude Prothese an einem amputierten Adonis.
Würd ich nochmal umschreiben....

Abgesehen von diesen beiden Details ein "typischer Walther": Wortgewalthig (nee, nicht vertippt...:D), bilderreich, sprachlich exzellent.

Gern gelesen (bis auf "du weißt schon"...:p)

LG, eKy

Walther 25.04.2012 18:12

Lb. eKy,

danke für Deinen Eintrag. Die Schreibung des Versauftakts, ja, das mag eine Marotte sein. Ich denke drüber nach. ;) Der Punkt am Ende von S2V1 paßt, aber der Sinn würde sich nicht ändern, wenn man ihn in ein Komma änderte.

Nun zum letzten Verspaar. Es ist spannend, wie unterschiedlich das gesehen wird. Manche sagen, das ist das Highlight. Andere sagen, warum ist der Rest so lakonisch und nur das letzte Verspaar "lyrisch". Du sagst, alles wunderbar, wenn nur dieses Verspaar nicht wäre.

Ich gebe zu, daß ich einigermaßen ratlos bin. :eek: Vielleicht sollte ich 2 Gedichte aus dem Text machen. Mal sehen ...

LG W.

Erich Kykal 25.04.2012 19:58

Hi, Walther!

Was mich stört, ist nur die letzte Zeile mit den Tauben - die, meinte ich, wirkt seltsam unzusammenhängend drangehängt.
Mein Vorschlag wäre, die letzte Zeile mit dem Vorsatz zu verbinden, um einen Übergang zu schaffen, so in der Art:

Im Makadam wächst Unkraut ungefragt:
Hier wurde Stahl aus Eisenerz geboren,
doch eine Zukunft letztlich doch
verloren.


So findet sich alles, Bilder, Emotionen, Stimmung, zu diesem Endpunkt zusammen, kumuliert in einer erklärenden und schließenden Conclusio, die den Gedanken des Bildes zu einem logischen Ende führt.
Was hältst du von der Idee?

LG, eKy

Chavali 26.04.2012 10:07

Hallo Walther,

weißt du noch, als ich dir vor Jahren schon schrieb, dass mich die stets großen Buchstaben am Versanfang stören?
Da bin ich richtig froh, dass Erich das auch so sieht und es dir auch öffentlich schreibt ;)
Zitat:

Die Schreibung des Versauftakts, ja, das mag eine Marotte sein. Ich denke drüber nach.
Na, das wäre doch mal ein Anfang, denn mir geht es wie E. -
auch ich will immer den Satz beenden, wenn ein Punkt kommt oder es mit großem Buchstaben weitergeht.
Das stört den Lesefluss.

Zum Gedicht:
Es gefällt mir sehr gut, weil ich auch solche Industrieruinen kenne.
Sie rufen in mir Traurigkeiten hervor, weil dort einst das Leben pulsierte und
nun alles nur noch
Schutt und Rost und Dreck und Asche ist...

Du hast die Situation in eindringlichen Bildern beschrieben.
Gelungenes Sonett!


Lieben Gruß,
Chavali

Sidgrani 26.04.2012 18:52

Hei Walther,

solche Stätten rufen auch bei mir wehmütige Erinnerungen hervor, die Ruinen scheinen trotz des unübersehbaren Verfalls dennoch irgendwie zu leben und von früher zu berichten, seufz!

Die großen Buchstaben am Zeilenanfang stören tatsächlich, bitte lege diese Marotte doch ab.

Bist du offen für einen kleinen Vorschlag?
Die gurrenden Tauben in der allerletzten Zeile sind auch meiner Meinung nach fehl amPlatz, wie wäre es ungefähr so:

"Ein Stück der Heimat starb und bleibt verloren"


Sehr gerne gelesen und kommentiert
Sidgrani

Walther 10.05.2012 15:51

Lb. eKy, lb. Sidgrani,

die Taubenzucht gehört zum Ruhrgebiet wie Hochöfen und Zechen. Sie sind quasi ebenfalls "Industriegeschichte", Daher ist der letzte Vers in sich schlüssig und muß dort so stehen, um das Bild abzurunden.

Danke für Eintrag und Hinweise.

LG W.

Lb. Chavali,

es freut mich, Dich gut unterhalten zu haben. Frohes Dichten und Werken!

LG W.


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