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Erich Kykal 01.09.2017 12:22

Wie hoch kann ich stapeln?
 
Der Himmel fällt und Kühle kriecht ins Leben,
der Sommer endet und der Herbst beginnt,
und alle Dinge, die gealtert sind,
sind bald gereift daran und wollen geben.

Und wieder neigt sich eines Jahres Schale
aus ihrem Gleichgewicht dem Ende zu,
beginnt sich zu entleeren, und im Nu
beschleichen mich wie schon so viele Male

davor Gedanken: Was an leeren Schalen
mein Stapel tragen kann, bevor er fällt,
und ich, der mühsam seine Schwebe hält,
auf Scherben liege, meine letzten Qualen

aus ihnen trinkend, bis die Schatten steigen,
die mir danach, wenn ich vergangen bin
und nicht mehr fragen muss nach einem Sinn,
das große Ganze – oder gar nichts zeigen.

Chavali 01.09.2017 12:40

Lieber Erich,

solche wunderbaren melancholischen Zeilen können doch nur vom beginnenden Herbst inspiriert worden sein
und umgesetzt von einem so fantastischen Dichter wie dir ;)

Wirklich sehr lyrisch-poetisch!
Es ist die Lebensfrage, die man sich stellt:
Was habe ich geleistet, was bleibt von mir - und ist es überhaupt wünschenswert und notwendig,
dass was bleibt...?

Der Titel ist ein wenig zweideutig - aber das und ja, gerade das, gefällt mir auch sehr gut.

Lieben Gruß,
Chavali

juli 01.09.2017 12:56

Lieber Erich,

Dein Gedicht ist tiefsinnig und lyrisch ein Hochgenuß!:Blume:

Es sind die Gedanken darüber Sinn des Leben, und was bleibt von uns, wenn wir nicht mehr auf dieser Erde sind. Und wieviel bleibt noch nach...und was kann man noch (er) tragen.

Sehr melancholisch und wortgewandt. Du sprichst in deiner unnachahmlichen Art.:):Blume:

Das ist ein Gedicht für die Regentage, für den Herbst, vielleicht auch für denjegen, der den Lebensmittelpunkt überschritten hat und selbst im Lebensherbst ist. Und für den, der davon ahnt und keine Worte dafür findet..... Sehr sehr schön.:)

Das Gedicht werde ich noch häufiger lesen.:Blume::)

Liebe Grüße sy

:Blume::Blume::Blume:

Erich Kykal 01.09.2017 14:09

Hi Chavi, Sy!

Heute ist es bei mir wolkig, regnerisch und (Danke!) deutlich kühler geworden. Passend zum Septemberbeginn! Da musste ja ein Gedicht draus werden! ;):D:rolleyes:

Vielen Dank für eure begeisterten Kommis und das von mir so heiß begehrte Lob! :)

LG, eKy

Kokochanel 02.09.2017 09:50

Lieber Erich,

Hier gesteht sich jemand ein, und das hat man selten, dass die meisten Schalen seines Lebens leer geblieben sind. Das Leben als Schale zu verbildlichen, die sich füllt oder eben nicht, ist genial.:Blume:
Noch nie habe ich dieses Bild irgendwo gesehen. Nun will ich dir für dieses wunderbare Werk deine Schale mit Lob füllen.
Dennoch schaut der Prot nicht hoffnungslos in die Zukunft, überlässt es dem, was kommt, einen Sinn in den leeren Schalen zu finden oder auch nicht. Sehr packend und gekonnt geschrieben, Erich!

Erdnuss:

„beschleichen mich wie davor tausend Male“- da wird davor auf da betont. Vielleicht dialektal in Österreich anders, aber hier betint man davor auf vor…

Der Titel ist doppelsinnig: Wie hoch kann ich stapeln- wie lang kann ich es noch ertragen
Und wie hoch kann ich stapeln, mich verstellen, es nicht nach außen tragen, dass alle mich als erfolgreich im Leben betrachten ( was ja vieler Menschen Ziel ist).

Für mich eines der besten deiner letzten Werke!. Klasse.
LG von Koko

Erich Kykal 02.09.2017 12:13

Hi Koko!

Interessant, deine Auslegung des Inhalts. Hier wird mir wohl die Doppeldeutigkeit des Titels zum Verhängnis, denn eigentlich hatte ich diesen Gedanken:

Ich betrachte die sich zum Herbst neigende Natur, denke an das Jahr wie an eine Schale, die sich mit dem Frühling füllt und nunmehr zwar noch voll ist, sich aber schon zur Leerung neigt, nicht mehr im sommerlichen Gleichgewicht der Mitte.
Und ich, der ich schon so viele Jahresschalen mit allen Sinnen ausgetrunken und gesammelt habe, überlege, wie viele solcher Schalen ich wohl noch zu leeren vor mir habe. Die bereits leeren Schalen balanciere ich metaphorisch aufgestapelt in Händen, und je höher der Stapel wird, desto leichter gerät er aus dem Gleichgewicht, und immer mehr muss ich mich mühen, dass er nicht fällt und ich quasi in den Scherben meines Lebens liege und sterbe - was irgendwann unausweichlich geschehen wird.
Das Bild soll ein Gleichnis sein auf das Leben selber, die größer werdernden Mühen um Ausgleich, sprich Gesundkeit im Alter, aber eben auch der höhere Stapel als gesammelte Weisheit und Erfahrung vieler Jahre. So ist dieser Stapel Last und Schatz zugleich - die getrunkene Essenz und Verkörperung eines langen Lebens.

die Frage also, wie hoch ich stapeln kann, will eigentlich nur wissen, wie lange ich lebe. ;)

Vielleicht habe ich das Bild im Gedicht zu wenig genau herausgearbeitet. Deine Deutung hat mich aber fasziniert, sie passt eindeutig auf die beiden letzten Strophen, stünden sie für sich allein.

Vielen Dank für das lyrische Lob! :)

LG, eKy


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