Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 14.05.2017 09:12

Hurenviertel
 
Im Dunkelgrau der spiegelnassen Straßen
entheiligt sich die Unschuld jeder Stunde,
wird fortgewaschen mit den welken Träumen
Gestrauchelter, wo immer sie auch fielen.

Und jeglicher Kredit, den sie besaßen,
vertan, verspielt in dieser kalten Runde,
die keine Träume tragen kann: sie räumen
das Feld, wo Gier und Wollust Fangen spielen.

Der Takt, darin sie ihre Zeit bemaßen,
diktierte jedes Wort aus ihrem Munde,
rechtfertigte das klägliche Versäumen
von Menschlichkeit in unerreichten Zielen.

juli 15.05.2017 11:22

Hallo eKy,

Das ist ein heikles Thema, weil Prostitution in unserer Gesellschaft an den Rand geschoben wird. Dennoch gibt es sie, und viele Gestrauchelte finden sich in diesem Milieu. Ich verurteile es nicht. Es ist ein Geschäft mit Frauen, die ihren Körper ( und ihre Seele) verkaufen. Sex wird zum Konsum (vielleicht) . Vielleicht deswegen weil die Gradwanderung zwischen "Sex und die große Liebe", die einzigartig ist, fließend ist. Manch einem Mann ist es nicht gegeben treu zu sein und viele Gefühle zu empfinden, dabei schließe ich Frauen nicht aus. Aber Stricher für Frauen sind immer noch etwas Besonderes.

Die Menschlichkeit fehlt zunehmend und es verdienen die Chefs eiskalt indem sie das Fleisch der Frauen vermarkten. Du merkst ich habe keine Romantik im Sinn, wenn ich an diese Szene denke.:rolleyes:

Dein Gedicht ist insofern ungewöhnlich, weil das Reimschema besonders ist. Es trifft das Düstere, bewirkt Nachdenklichkeit, weil die Menschen ohne solche Treffpunkte nicht leben können.

Sehr gerne gelesen sy

:Blume::Blume::Blume:

Erich Kykal 15.05.2017 15:48

Hi Sy!

Wer mich kennt weiß, dass ich nichts gegen Prostitution habe (zB "An eine namenlose Hure", von mir auch auf YouTube zu hören). Ich schätze auch das Gebrochene dieser Charaktere, sie geben immer guten dramatischen Stoff ab.

Die hier "Gestrauchelten" sollen nicht nur die Huren sein, sondern - vor allem - ihre Kunden! Die reden sich ihren bezahlten "Gebrauch" gerne schön oder versuchen ihn ganz zu verschweigen. Diese Doppelmoral und kulturelle Feigheit finde ich verwerflicher als das ehrliche Angebot der "Dirnen".
Sie ist auch verantwortlich dafür, dass sich Zuhälter und organisiertes Verbrechen in diesem Umfeld breitmachen können! So werden Frauen einmal mehr zum Objekt der Ausbeutung und Unterdrückung, bloß weil das patriarchalische System zu feige ist, aufrichtig zur Inanspruchnahme solcher Dienste zu stehen! Und wieder mal ist es mit die Religion, die da vieles verzerrt und verdorben hat! Als ob es "ethischer" wäre, Menschen zu verachten, die bestimmte Dienstleistungen anbieten, nur weil sie nicht zur arroganten Grundbotschaft passen: "Seid fruchtbar und mehret euch!" und sich nicht der allgemeinen Lust- und Körperfeindlichkeit dieser behaupteten Lebenswahrheit unterwerfen!
Und nur weil man ihrem Angebot zuliebe ab und zu schwach wird und die ach so hehren ehelichen Werte der Treue hintanstellt. Um sich selbst "sauber" halten zu können, müssen eben die "losen Mädchen" schuld sein!

Hier wollte ich eigentlich nur ein tristes Stimmungsbild entwerfen, eine verregnete Stadtszene, aber es passiert mir oft, dass immer noch was Menschliches, Moralisches, Philosophisches mit reinspielt! Als könnte ich den moralischen Zeigefinger einfach nicht ruhen lassen!

Vielen Dank für deinen Kommi! :)

LG, eKy

Kokochanel 17.05.2017 08:45

Im Dunkelgrau der spiegelnassen Straßen
entheiligt sich die Unschuld jeder Stunde,
wird fortgewaschen mit den welken Träumen
Gestrauchelter, wo immer sie auch fielen.

Und jeglicher Kredit, den sie besaßen,
vertan, verspielt in dieser kalten Runde,
die keine Träume tragen kann: sie räumen
das Feld, wo Gier und Wollust Fangen spielen.

Der Takt, darin sie ihre Zeit bemaßen,
diktierte jedes Wort aus ihrem Munde,
rechtfertigte das klägliche Versäumen
von Menschlichkeit in unerreichten Zielen.

Ich schleiche schon länger, lieber Erich, um dieses Gedicht herum. Formal ist es sehr schön mit seinen übergreifenden Reimen und auch anspielend an einen Blankvers.
Vom Thema her gefällt es mir auch.

Die Doppelmoral der Gesellschaft ist schon abstoßend. Ich habe einige Prostitutierte kennengelernt , als sie im Ausland Urlaub machten und Gespräche geführt, weil mich ihr Leben interessierte. Vielerlei Gründe haben sie dazu bewogen, das zu tun, was sie tun.
Keinen sah ich als verwerflich an.
Manche fielen auf einen Zuhälter herein, weil er sie mit „Liebe“ einlullte, manche brauchten einfach Geld. Manchen aber machte es auch einfach Spaß. ( Maitressen gab es immer , auch an Königshäusern und sie waren keine „verkommene Frauen“ Das sind aber heutzutage eher die Damen, die freiberuflich arbeiten.
Ich denke, Prostituierte sind ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft, die ausgleichend wirken.

Angestachelt aber durch die Kirche, die Frau ja sowieso von Grund auf sündig ansieht, und Sexualität nur erlaubte zum Kindermachen, ( es darf keinen Spaß machen GGG),hat sich die Gesellschaft entschlossen, diese Frauen zu verdammen. Nach und nach brach das auf und die Gesellschaft ging offener damit um.

Die Seite der Männer, die diese Dienste nutzen, kann ich nicht wirklich beurteilen, da ich kein Mann bin.
Ich finde es aber als Angebot für Singles nicht schlecht. Irgendwo muss es ja hin…
Das Thema „Orgasmus“ hatten wir ja gerade bei Thomas’ Gedicht. Sicherlich ist es für einen Mann sehr schwer, wenn seine Frau nie will… Kann man da wirklich als Frau verlangen, dass er niemals andere Dienste in Anspruch nimmt? Hm…

Darum der Begriff „Gestrauchelter“ , Versager…ist es das wirklich? Sind es nicht vielmehr Suchende?
Getrauchelter enthält schon eine negative Wertung.

Natürlich wird dabei eine Scheinwelt aufgebaut, derer sich der Mann bewusst sein muss.
Ist er das nicht, dann haben wir diese düstere Atmosphäre, die deine Verse spiegeln.
Zwei „Verlorene“, die sich etwas vormachen.

Dies alles zeigen deine Verse in bildhafter Sprache sehr gut.
Allein der Schluss stört mich etwas.
Welche Ziele?

Ich weiß schon, was du meinst, aber irgendwie bleibt mir die Formulierung seltsam unklar.

LG von Koko

Erich Kykal 17.05.2017 11:57

Hi Koko!

Gemeint sind ja die im Sinne ihrer religiös/kukturell induzierten Scheinmoral Gestrauchelten - jene, die solche Begriffe ja überhaupt erst verwenden, um jene zu beschreiben und zu verwerfen, die sich mit dem "sündhaften Gesindel" einlassen, obwohl sie Frau und Kinder zu Hause haben, die sie Sonntags brav zur Messe führen, damit auch jeder dort sieht, welch gute Bürger und Christen sie sind. :D:Aua:rolleyes:

Es sind ihre hochtrabenden Ziele von einem "sauberen", moralisch unbefleckten Leben in ihrer Gesellschaft, die keine "Sünden" und Untreue duldet, die sie versäumen, indem sie doch dorthin gehen, wo ihre - zuhause vielleicht ignorierten oder nie ausgesprochenen - Bedürfnisse und speziellen Wünsche Erfüllung finden.

Dass die Welt der Prostituierten im Gegenzug keine "ehrliche" Welt ist, sondern brutal, zweckorientiert und zuweilen grausam, muss man nicht dagegen halten.

Heuchler und Opfer der Umstände in verzweifelter Umarmung zu beiderseitigem - aber kaltem - Nutzen ...


Ich bedanke mich für deine ausführlichen Zeilen! :)

LG, eKy

Kokochanel 17.05.2017 16:13

genau so hatte ich deine Zeilen auch interpretiert, deine Erklärungen bestätigen mich. Die Schlusszeilen aber transportieren dem Leser das nicht.
Wie wär e es mit:

rechtfertigte das klägliche Umarmen
Verzweifelter, so fern der Menschlichkeit.

Müsste man dann natürlich reimlich anpassen. Nur als Beispiel, was mir fehlt...:).

PS Mir persönlich fehlt im Moment auch etwas. Schlaf:D habe 4 Tage und Nächte Babydienst, da Töchterchen Nachdienst hat. Lächeln und lG von Koko

Erich Kykal 17.05.2017 16:39

Hi Koko!

Die Gestrauchelten sind ja nur die eine Seite der Medaille! Auf der anderen, wie im letzten Kommi angedeutet, die geschäftsorientierte Welt der Huren, oft vom kriminellen Milieu ausgebeutet. Diese Huren haben sich auch "versäumt", haben ihre Lebensträume verfehlt oder verfolgten die falschen Ziele, geblendet von Verlockung oder Lust. Ihre ursprünglichen hehren oder romantischen Lebensziele blieben, wie die vieler bigotter, angepasster Kunden, die ihre Moral verraten, unerreicht.

Ihr Weg, wie der der Gestrauchelten, versäumt die positiv besetzte Menschlichkeit liebevollen Umgangs und gegenseitiger Wertschätzung, die wir normalerweise für Beziehungen oder Lebensziele suchen. Hier benutzen sich Menschen nur gegenseitig, und das macht ihre Welt aus sich heraus kalt und herzlos, zumindest verglichen mit dem, was wir uns gemeinhin vom Leben wünschen.

LG, eKy

Kokochanel 17.05.2017 16:52

Ja, das impliziert es ja, Erich. Es ist sozusagen eine innerhalb der Freier-Prostituierten-Beziehung und auch außerhalb von ihr von seiten der Beteiligten eine Lose-lose-Situation:)
LG von Koko

Erich Kykal 19.07.2017 14:18

Hi Koko!

In diesem Zusammenhang interessant, dass man es dennoch - oder gerade darum - als das "älteste Gewerbe der Welt" bezeichnet! Welches Licht wirft dies auf den Charakterzustand menschlicher Zivilisation? ;):rolleyes:

LG, eKy


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