Gedichte-Eiland

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Walther 12.05.2017 09:01

Im Grau des halben Tags
 
Im Grau des halben Tags


Die Worte sinken in die weichen Kissen.
Dort, wo du lagst, verschwinden sie im Warmen.
Die Hoffnung wog so leicht in deinen Armen.
Ich weiß, ich werde beides sehr vermissen.

Die Vögel üben sich in Feindalarmen.
Man sieht den Milan weiße Fahnen hissen,
Die beiden Krähen jagen ihn verbissen:
Sie kennen mit dem Nestraub kein Erbarmen.

Im Grau des halben Tags kommt Angst in Schüben,
Da selbst die Mücken vor dem Stich verrecken.
Das Fenster in die Welt beginnt zu trüben:

Als sich die Sterne hinterm Mond verstecken,
Muss ich das Traurigsein erst wieder üben
Und weiß nicht mehr, wie‘s geht, das Wundenlecken.

Erich Kykal 12.05.2017 17:09

Hi Walther!

Eindeutig mein neues Lieblingsgedicht von dir!

Hier warst du mal wieder höchst wohlbestrahlt :Blume: - ein wirklich saugutes Sonett, kann ich nur sagen! Die Wortbilder, beinahe lapidar aufgezählt, als fügte sich der erzählende Geist bereits wieder in die weitere Leere seines Daseins, sind so intensiv und wohlgesponnen, dass man sich direkt in das erkaltende Fühlen des Protagonisten versetzt fühlt - und gleichzeitig auf einem anderen Stern zu sein glaubt, so herrlich schräg - und dennoch sofort in ihrer Unmittelbarkeit verständlich - sind manche der Bilder:

Im "Warmen, wo du lagst" versinkende Worte, Vögel, die Feindalarme geben, die weiße Fahne des Milan, vor dem Stich verreckende Mücken, der graue Tag, der nur ein halber ist, sich hinter dem Mond versteckende Sterne - welche Überfülle an interessanten, unverbrauchten Phrasierungen voll tiefgreifender Metabotschaften! :)

Das ist lyrische Topliga von Allerfeinsten! Ein großer Wurf, und das sage ich nicht ohne leisen Neid! :o


Einzig S2Z4 erscheint mir ein wenig ungenau formuliert:

"Sie (die Krähen) kennen mit dem - hier müsste eigentlich "Nesträuber" stehen, wenn man dem "mit dem" folgt - kein Erbarmen." Deine Version ist nicht per se falsch, wirkt aber sprachlich uneleganter.

Wenn es um den Nestraub, also die Tat selbst geht, sollte es heißen: "Sie kennen wegen des Nestraubs (oder, metrisch passend: ob des Nestraubs) kein Erbarmen."

Und: "Wundenlecken" würde ich zusammen schreiben.


Allergernst gelesen und bewundert! Von der Sorte kannst du jederzeit gern jede Menge mehr liefern! ;):D

LG, eKy (beeindruckt)

Kokochanel 12.05.2017 17:29

da schließe ich mich gerne Erich an. Wirklich ein sehr schönes Sonett, Walter.
LG von oko

Walther 13.05.2017 17:21

Zitat:

Zitat von Kokochanel (Beitrag 103202)
da schließe ich mich gerne Erich an. Wirklich ein sehr schönes Sonett, Walter.
LG von oko

lb Koko, der bescheidene sonetter dankt für das freundliche wort. lg W.

Walther 13.05.2017 17:25

lb eKy,

danke für dieses lob aus wirklich berufenem munde! das freut selbstredend "saumäßig" - nachdem ich mit meinen sonettbüchern so einen schiffbruch erlitten habe (nicht die kritik, der verlag ist das problem), tut es gut, eine solche rückkopplung zu erhalten.

man könnte "Nestraub" durch "Räuber" ersetzen, das würde jedoch den sinn dieser metapher reduzieren, denn dem prota wurde ja etwas aus seinem nest gestohlen. auch hinter diesem bild steht also eine überlegung ...

das "Wundenlecken" kann man in der tat zusammenschreiben. ich habe das angepaßt.

lg W.

vedena 17.05.2017 08:44

Oh Mann, Walther,

das gefällt mir ausnehmend gut! Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen. Sprachlich, bis auf die eine Ausnahme mit der nicht so eleganten Formulierung

Sie kennen mit dem Nestraub kein Erbarmen


perfekt, wie ich finde. Dann hast du es auch noch geschafft, den Text die Form des Sonettes zu bringen ohne dass er "eingezwängt" wirkt.

Der letzte Vers traf mich mitten ins Herz - wirklich gelungen.

Beste Grüße
vEdenA

juli 17.05.2017 10:51

Hallo Walther,
 
Ich habe dein Gedicht bestimmt schon 10 mal gelesen, weil es so besonders ist!:Blume:

Die Naturbilder, der Milan, die Krähen und Mücken gemischt mit Wortwendungen Kissen, "im Warmen" in ein Liebesgedicht zu packen:), kann nicht jeder!:Herz: ( das Herz ist für das Gedicht, weil es so schön ist):Blume:

Ich schließe mich dem Lob der anderen an.

Der letzte Vers rundet die Stimmung und läßt mich seufzen.

Wunderschön!

Liebe Grüße sy

:Blume::Blume::Blume:

Walther 19.05.2017 14:31

Zitat:

Zitat von vedena (Beitrag 103285)
Oh Mann, Walther,

das gefällt mir ausnehmend gut! Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen. Sprachlich, bis auf die eine Ausnahme mit der nicht so eleganten Formulierung

Sie kennen mit dem Nestraub kein Erbarmen


perfekt, wie ich finde. Dann hast du es auch noch geschafft, den Text die Form des Sonettes zu bringen ohne dass er "eingezwängt" wirkt.

Der letzte Vers traf mich mitten ins Herz - wirklich gelungen.

Beste Grüße
vEdenA

Hi vEdenA,
danke, vielmals danke für die freundliche bewertung meines sonettversuchs. der vers, den du bemängelst, liegt auch eKy im magen. den grund für ihn habe ich oben erläutert.
ich versuche immer wieder, die form nicht zum hemmschuh werden zu lassen. manchmal gelingt's - aber leider nicht immer.
lg W.

Walther 19.05.2017 14:33

Zitat:

Zitat von syranie (Beitrag 103289)
Ich habe dein Gedicht bestimmt schon 10 mal gelesen, weil es so besonders ist!:Blume:

Die Naturbilder, der Milan, die Krähen und Mücken gemischt mit Wortwendungen Kissen, "im Warmen" in ein Liebesgedicht zu packen:), kann nicht jeder!:Herz: ( das Herz ist für das Gedicht, weil es so schön ist):Blume:

Ich schließe mich dem Lob der anderen an.

Der letzte Vers rundet die Stimmung und läßt mich seufzen.

Wunderschön!

Liebe Grüße sy

:Blume::Blume::Blume:

lb syranie,

die natur ist für mich wichtiger stichwortgeber und metaphernlieferant. damit greife ich auf die poesiegeschichte zurück - das war früher die regel, dieser rückgriff.

ich danke dir sehr für deinen eintrag, der dieses stilmittel ausdrücklich benennt!

lg W.

Kokochanel 21.05.2017 09:10

mir gefällt das Sonett auch gut, Walter. Gerade der Wechsel zwischen pragmatischer, fast lakonischer Sprache und Bildern macht einen gewissen Reiz aus, der es erfreulich vom "Jammergedicht" abgrenzt. Gut gelungen.

LG von Koko


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