Gedichte-Eiland

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Kokochanel 31.08.2016 23:09

Zu spät
 
Und als er sieht auf jene Flut,
da fühlt er sich so frei.
Er ist kein Held, ihn trägt kein Mut.
Rief er sie gar herbei?

Die Flut rollt an, sie steigt und nimmt
sich fraglos, was sie will.
Er steht, als wäre es sein Los.
Er steht und schaut ganz still.

Er lächelt, als sie ihn erfasst.
Noch einmal schaut er auf
zum Firmament, zum weiten Blau.
Es spiegelt Lebenslauf.

Da packt sie ihn, sie zieht ihn hin,
leiht ihrer Wellen Leicht.
Er muss nichts mehr, er braucht nichts mehr.
Ein Sanftes wiegt ihn seicht.

Am Morgen fragt ein Mann im Dorf,
ob hier ein Fremder war.
Er murmelt schuldbewusst und leis:
„Ein Greis mit weißem Haar.“.

Wodziwob 01.09.2016 11:20

Hallo Koko,

genau so fühl ich mich, ganz genau so.

Dankbare Grüße :)
Wozi

Kokochanel 01.09.2016 12:37

Guten Morgen, Wodziwob,

dann hoffe ich, dass das nur temporär ist.
Ich hatte das Werk für " alle Alten" geschrieben, die man vergessen hat... Denke da auch so an eine TV- Werbung, die sehr gut war. Die Kinder kommen irgendwann einmal und entdecken, dass die Eltern längst Hilfe gebraucht hätten. Das hat mich damals sehr berührt.
Hier habe ich sogenannte Chevy Chase Verse einmal ausprobiert, ein Genre, das mir jüngstens zufällig über den Weg lief.:)

Grüße von Koko

Wodziwob 01.09.2016 17:17

Klar, Koko,

mir weht zwar der Wind immer kräftiger ins Gesicht, aber ich trotze ihm noch ganz gut. Und doch weiß ich, wovon du sprichst. Mein Pa war zuletzt auch weißhaarig, aber er hatte mich und meine Frau, die bei ihm wohnten bis zu seinem Tod mit Neunundachtzig. Heute lebe ich mit meiner Schwiegermutter unter einem Dach, auch nicht mehr die Jüngste, und wir werden das auch noch tun, wenn sie sich alleine nicht mehr helfen kann.

Für das, was heute in unserem Land mit den (richtig) Alten geschieht, gibt es nur ein Wort: Kriminell. Und schändlich, weil Verbrecherisches nun mal schändlich ist.

Liebe Grüße
Wozi

Dana 01.09.2016 20:52

Liebe Koko,

ein "schauriges" Gedicht - es trägt aber leicht an der "Schaurigkeit". So wirkt es auf mich. Ein alter, einsamer Mann trifft eine Entscheidung. Im Gedicht selbst entdecke ich keine "Schuldigen". Der spiegelnde Lebenslauf gibt dem Werk einen ganz eigenen "Grund", den der Leser nicht zu bewerten wagt. Der "Greis" ist eigentlich nur um seine letzte "Fähigkeit zu beneiden". (Das meine ich ganz vorsichtig, denn ich stelle mir reale und bekannte Situationen vor, in denen Greise nur noch behandelt und an einem Leben erhalten werden, das nicht mehr Leben heißen dürfte.)
Jene haben die Fähigkeit zu entscheiden, nicht mehr. Selbst, wenn sie vorher eine Verfügung unterschrieben haben, gibt es "Krankheiten", die davon ausgeschlossen sind und behandelt werden müssen.

Auf mich wirkt Dein Gedicht "fast" weniger traurig, vielleicht nur darum, weil ich zur Zeit die in Klammern gesetzten Dramen zu genau aus Erzählungen kenne.

Hier habe ich eine Frage:

Zitat:

Zitat von Kokochanel
Am Morgen fragt ein Mann im Dorf,
ob hier ein Fremder war.
Er murmelt schuldbewusst und leis:
„Ein Greis mit weißem Haar.“.

Wer murmelt die leise Antwort? Wer ist "Er"?

Ich stelle mir vor, dass der Mann im Dorf entweder jemand gewesen ist, der nach dem Greis sucht oder derjenige, der den Ertrunkenen am Strand gefunden hat und dieser fremd war.
Warum murmelt jener schuldbewusst?

Verstehst Du mein Nachfragen?

Wenn jener der Suchende ist, dann müsste hinter dem letzen Vers ein Fragezeichen stehen, denn nur er kennt ihn. Dann ist es verständlich.

Sehr gern gelesen.

Liebe Grüße
Dana

Wodziwob 02.09.2016 08:11

Zitat:

Zitat von Kokochanel (Beitrag 96572)
dann hoffe ich, dass das nur temporär ist.

Ach, jetzt versteh ich das erst. :o

Keine Bange, Koko, ins Wasser gehen würd ich sowieso nicht. Ertrinken ist kein leichter Tod. "Meine" Flut kommt ganz von selbst, der brauch ich nicht entgegengehen, und sie hat das Gesicht der "neuen" Zeit. Einer Zeit, die mich früher oder später endgültig hinweg spülen und verschlucken wird.

Ich hab Dein Gedicht eher bildhaft verstanden, und meine Antwort war dementsprechend eine bildliche.

Liebe Grüße :)
Wozi

Kokochanel 02.09.2016 10:57

Guten Morgen, Wodziwob, Dana,

man kann das Gedicht lesen wie man möchte, auch eher bildlich.:)

Liebe Dana,

ob da kein "Schuldiger" ist, das kann man sehen, wie man möchte. Mag sein, dass der, der zu spät kommt, sich schuldig fühlt. Darum auch das schuldbewusst.
Die indirekte Frage, ob da ein Fremder war, wird hinterher ergänzt durch das gemurmelte "Ein Greis...". Darum braucht es auch kein Fragezeichen, weil die eigentliche Frage indirekt ist.

Ob der Mann, der ihn sucht, Sohn vielleicht, schuldig ist oder nicht, wird nicht gesagt, nur, dass er sich so fühlt.
Gerade Menschen, die pflegen, fühlen sich immer auch schuldig, sie meinen immer, sie hätten nicht genug getan. Ich kenne das selbst.
Andererseits gibt es Kinder, Verwandte, die sich tatsächlich nicht um ihre Eltern kümmern, wenn sie alt sind.
Zum Dritten gibt es alte Menschen, die begründet oder nicht, jedoch subjektiv keinen Sinn mehr in ihrem Leben sehen. Auch zu diesen könnte der Greis gehören.
Ich lasse das bewusst offen, um dem Werk mehr interpretativen Spielraum zu geben.


Deinen Gedanken, dass der alte Mann seine Entscheidung noch selbst treffen konnte und darum "Glück" hat, einem unwürdigen zu Tode-gepflegt- werden" entkommt, dem stimme ich durchaus zu. Darum habe ich die Ballade auch nicht zu düster gehalten. Es steckt alles drin.

Ich danke euch für die Befassung mit meinem Werk
Grüße von Koko

Dana 02.09.2016 12:02

Liebe Koko,

Zitat:

Zitat von Kokochanel
Die indirekte Frage, ob da ein Fremder war, wird hinterher ergänzt durch das gemurmelte "Ein Greis...". Darum braucht es auch kein Fragezeichen, weil die eigentliche Frage indirekt ist.

Alles klar, ich habe nicht richtig gelesen. Der Fremde ergänzt seine Frage.
Für mich tauchte durch das "Er" jemand auf, der vorher nicht da gewesen ist.

Nun erschließt sich auch für mich der Sinn.:o

Die Vielfalt der Interpretation ist sehr gelungen.

Liebe Grüße
Dana

Kokochanel 03.09.2016 10:05

das freut mich, liebe Dana. LG von Koko:)


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