Thema: Familienerbe
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Alt 05.07.2017, 11:39   #6
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heimkehrerin
 
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Zitat von Kokochanel Beitrag anzeigen
was du ja meinst, liebe Fee, sind regelrechte Traumata, die "verlorene Generation", die Krieg, Flucht und Verlust hinnehmen musste. Gewalt/Angst war alltäglich. Manche haben auch Traumata von häuslicher Gewalt , die 50 iger Kinder, deren Eltern und Großeltern vielleicht ebenfalls traumatisiert waren.
Ich kenne es aus meiner Familie nicht, wohl aber aus der Schwiegerfamilie.
Es ist ein großes Thema, das viel zu lange verschwiegen und nicht aufgearbeitet wurde. Dazu müssten die Betroffenen aber reden und da das mit viel Leid und Preisgabe von Intimem verbunden ist, wird dies wohl schwierig werden.

LG von Koko

Die "verlorene Generation" - ja.

Meine Mutter hat - wie ich aus den spärlichen Andeutungen einer Tante zusammenbasteln konnte - wohl in ihrer ganz frühen Kindheit ein schweres Kriegstrauma davongetragen (ich vermute - kann nur vermuten - durch die heftigen Bombenangriffe und den Hunger zu der Zeit). Jedenfalls hat sie im Alter von drei Jahren irgendwann einfach aufgehört, aktiv am Leben teilzunehmen. Lag nur noch im Bett, sprach nicht, aß nicht, bewegte sich nicht, reagierte nicht. Die Familie musste sie anziehen, füttern, aus dem Bett hieven und durch die Gegend "schleifen" - laut Anweisung des Arztes "im Leben halten".

Darüber, wie auch über irgendetwas anderes aus der Zeit, wurde nie und von niemandem gesprochen. Meine Schwester und ich wurden - ohne Worte, nur durch entsprechende Reaktionen - dazu erzogen, nie zu fragen. Und ich gehe davon aus, dass das eine verbreitete Situation war.

Was da "ausgeschwiegen wurde"...viel Entsetzen, Leid, vielleicht auch Schuld, inmitten ganz viel Leids, Hunger und Todes in der unmittelbaren Umgebung noch relativ unbeschadet davongekommen zu sein. Alles eine schwere Bürde, die durch das Verdrängen über die Jahre nur an Gewicht gewinnt.

Für mich als Kriegsenkel schmerzt das Fehlen einer Familiengeschichte, das Fehlen jeglichen "Bodens" unter den Füßen. Das Nicht-Wissen um die Menschen in meiner Familie und ihre persönlichen Schicksale. Sie haben alle funktioniert, waren durchaus liebevoll - aber nie richtig lebendig. Verloren eben.

Es ist gut, dass es jetzt endlich Thema werden darf und kann.

Lieber Gruß,
fee
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"Du musst, wenn du unser Glück beschreiben willst,
ganz viele kleine Punkte machen wie Seurat.
Und dass es Glück war, wird man erst aus der Distanz sehen.”

― Peter Stamm, Agnes
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