Thema: Lebensabend
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Alt 09.02.2018, 15:43   #10
Sufnus
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Großes Kino! Ich finde beim kritischsten Willen nichts zum kritisieren... nicht die kleinste spaltbare Korinthe... wow...

Dann weise ich vielleicht mal auf eine rhythmische Besonderheit hin, die viell. nicht jeder bemerkt haben dürfte: Bei jeder Strophe besteht die erste Zeile aus einem Trochäus, der aus lauter zweisilbigen trochäischen Wörtern gebildet ist. D. h. die metrische Struktur und die Wortgrenzen fallen zusammen. In den folgenden Zeilen lockert sich dann aber in jeder Strophe der Gleichschritt von metrischer Grenze und Wortgrenze auf, so dass jeweils beim Lesen der ersten Silben noch nicht ganz klar ist, ob es wirklich durchgängig trochäisch weitergeht (was es nat. immer tut). Wenn z.B. S1Z2 anhebt: "über die... " könnte es theoretisch auch daktylisch weitergehen, "über die Wörter gebeugt..." (was es nicht tut).

Diese sich beim Lesen erst entwickelnde rhythmische Klarheit ist ein sehr schöner Kontrast zu den jeweils ganz festgefügten ersten Zeilen jeder Strophe. Ich geh jetzt mal schwer davon aus, dass Erich sich das nicht vorher ausgeknobelt hat, sondern einfach seinem Sprachgefühl gefolgt ist... aber der Effekt ist ziemlich cool!

...

...

... HA!!!!

Jetzt hab ich doch noch eine Anmerkung (ich bin unausstehlich, aber die Versuchung, etwas unverbesserbares (nicht: -liches!) zu verbessern ist einfach zu groß): Es gibt doch noch einen, zuerst von mir überlesenen, Trochäus im Inneren der Strophen, bei dem Wort- und Metrumsgrenzen zusammenfallen: "Trüber fallen alle Schatten". Könnte demgegenüber z.B. "Trüber fallen dann die Schatten." noch einen (unhörbaren) metrischen Pluspunkt liefern? Würde natürlich den "fallen alle"-Gleichklang opfern... und außerdem würde durch das "dann" in meinem Vorschlag das "wo" in der vorletzten Zeile zerschossen... ich denke das ist übrigens ein Qualitätskriterium bei einem Gedicht: wenn alles derart gut zusammengefügt ist, dass schon eine kleine Änderung eine Kettenreaktion nach sich zieht...

... sehr beeindruckte Grüße!

S.
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