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Alt 27.12.2010, 12:34   #4
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Walther!

Ein Gedicht - ein gutes - steht für sich selbst! Es ist keine "Lösung" für irgendwas, es findet dauernden Wert in der möglichst perfekten Symbiose von transportiertem Inhalt, Sprachmelodie und -stimmung, Reimschema und Rhythmus!
Mag sein, dass du als "Vielschreiber", wie du dich fast herabwürdigend lapidar nennst, nicht das Gefühl hast, etwas "Großes" schaffen zu können. Das sehe ich anders.

Wenn ich mal aus meinem eigenen Erfahrungsschatz schöpfen darf:
Wenn ich mein Schaffen der letzten 5 Jahre überschaue (Gibt's als gebundenes Best of-Buch "Weltenwege" bei mir zu ordern, über 300 Seiten!), so muss ich ehrlich gestehen: Ein bis zwei Dutzend davon haben in meinen eigenen Augen das Zeug, "große" Gedichte zu werden - und das eben auch nur, wenn ich es schaffe, dass viele Menschen sie lesen und behalten!
Alle anderen haben irgendeinen Makel - und sei es nur ein einziges falsches Wort, für das mir kein besseres einfiel, oder eine Unstimmigkeit in der Satzmelodie, oder eine zu umständliche Konstruktion in Wort, Sinn oder Aussage, oder, oder, oder...
Dennoch sind sie gut, zu gut, um sie zu vergessen, zu ignorieren - aber sie sind eben irgendwie nicht perfekt! Solche Würfe gelingen allzu selten! Man sollte aber das Gespür haben, sie zu erkennen, wenn sie einem zustossen!
Und dann sollte man solche Großtaten festhalten, vielleicht in einer besonderen Schublade, um sie bei passender Gelegenheit hervorzuholen und stolz zu präsentieren: Dazu war ich fähig!
Abgesehen von der wirkung auf die Umwelt hebt dies auch das eigene Wohlgefühl enorm. Jaja, wir sind applaussüchtig, eitel und oberflächlich. Menschen eben, oder!?

Zurück zu dir:
Du sagst, du könntest nur Durchschnittliches schaffen! Glaube das nicht! Ja, selbst bei Rilke findet sich viel sog. "Durchschnittliches", aber daran erinnert sich eh keiner! Nein, wenige seiner Werke kennt man und zitiert man, aber diese "Volltreffer" gehen in den Sprachgebrauch ein, ob im Ganzen oder in Zitaten, und finden ein klein wenig Ewigkeit in der Zeit.
So geht es mir, so geht es auch dir: Das meiste von dem, was wir schreiben, ist eben dieser Durchschnitt, an dem wir mitunter so verzweifeln, dass wir glauben könnten, uns käme nie besseres in den Sinn. Aber da sind auch immer diese magischen Momente, wo einfach alles stimmt und zueinanderfindet: Wortmagie, Sprachfluss und Aussagekraft!

Worin letztlich das Geheimnis liegt, vermag ich dir auch nicht zu sagen! Manche Gedichte glühen eben! Alles fügt sich zu einer harmonischen Gesamtkomposition, vielleicht auch nur für den, der gerade in der richtigen Stimmung ist, wenn er es liest. Dennoch!
Auch du bist offenkundig in der Lage, die Worte und Zeilen so ineinandergreifen zu lassen, dass diese Magie entsteht - zumindest bei mir!
Gerade die letzte Strophe ,die beiden 3-Zeiler, diese Conclusio, das ist für mich ein wunderbares Beispiel solcher Kunst:

Kein Wort zuviel oder zu wenig. Die Sätze weder zu kurz noch zu lang. Der Inhalt weder zu flach noch überfordernd. Die Bilder stark und zwingend, nicht zu abgedroschen, nicht zu ungewohnt. Die Wortmelodie harmonisch mit dem Sprachrythmus schwingend, das Reimschema sauber und vollendet...

Das macht eben in meinen Augen wahre und große Lyrik aus: Solche Momente, solche wenigen Zeilen!
Denke du ruhig von dir, was du magst. Ich würde mich allerdings freuen, wenn du dich meiner Ansicht anschließen könntest und vielleicht ein wenig mehr an dich glaubst. Vielleicht kommen solche "Momente" dann auch öfter, als du wahrhaben willst...

LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
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Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
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