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Alt 17.10.2011, 17:00   #10
Stimme der Zeit
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Hallo, fee, (und auch larin),

nun, ich bin keine Lehrerin, aber Mutter. Deshalb möchte ich mich gerne auch zu dem Inhalt dieses Gedichts äußern und über dessen Bedeutung.

Das Gedicht steht mittlerweile recht "weit oben", ich kopiere es mal hier herein, damit auch andere Leser leichter den "Bezug" herstellen können, ja?

Zitat:
aussterbendes credo?

"hilf mir, es selbst und recht zu tun!"
das ist, was kinder sich ersehnen.
jemanden, um sich anzulehnen,
nur so können sie in sich ruh'n.

nur so finden sie ihre mitte,
von der aus sie die welt bereisen,
auf wegen, die wir ihnen weisen.
wir geben halt, sie setzen schritte.

geht eines falsch, dann ist das leben.
denn auch aus fehlern lernen wir,
entwickeln eigenes gespür
dafür, wohin es gilt zu streben.

wir zeigen wie. stützen und geben.




.fee `11

Ich möchte mit dem Titel beginnen. "aussterbendes credo". Das Wort Credo stammt aus dem Lateinischen und bedeutet: Ich glaube. Stirbt also hier ein Glaube? Dient das Wort als Metapher für den Glauben an unsere Kinder oder für den Glauben an Werte, die wir ihnen vermitteln sollen ...

Das ist eine sehr traurige Sichtweise, aber sie ist auch unleugbar nicht falsch, leider ...

Wir Menschen brauchen in unserer Kindheit wichtige Vorbilder, an denen wir uns orientieren können. Je kleiner das Kind, desto "kleiner" ist der "Kreis" derselben. Anfangs ist es die Mutter, dann kommt der Vater hinzu (oder ein/e Lebenspartner/in, oder alleinerziehend, dann bleibt es eine Zeitlang "hauptsächlich" bei der Mutter. Oder dem alleinerziehenden Vater, das gibt es ja auch.) Mit der Zeit erweitert sich dieser Kreis, es kommen Großeltern, andere Verwandte und Freunde dazu, die das Kind kennen lernt.

Bis zu diesem Punkt ist es noch relativ leicht, seinem Kind zu vermitteln, was die eigenen Werte sind, denn es "prallt" noch nicht mit gegensätzlichen Meinungen zusammen. (Sofern die Eltern sich in der Erziehung "einig" sind.) Das Kind lernt natürlich vor allem aus der Beobachtung heraus und dem "Nachahmungstrieb". Es "wertet" sicher noch nicht, sondern nimmt an, was ihm "vorgelebt" wird. Nicht umsonst ist das die "schönste Zeit", die eine Mutter hat ...

Dann kommt der Kindergarten, oder, wenn das Finanzielle nicht so "üppig" ist, aus beruflichen Gründen ein Tagheim. Ich persönlich verstehe, wenn viele Kinder dafür Zeit brauchen. Ich halte das für einen ziemlich großen "Einschnitt", denn plötzlich ändert sich alles. Es muss mit der (zeitweiligen) Trennung von seinen Bezugspersonen fertig werden, viele, anfangs noch fremde Kinder sind da, es muss sich in eine Gruppe einfügen und es gibt ganz neue Bezugspersonen. Das ist, betrachtet man es mal als "Ganzes", ziemlich viel für ein kleines Kind. Erstaunlicherweise werden die Kinder damit "fertig", es ist nur so, dass manche eben mehr Zeit für die "Gewöhnung" brauchen und andere weniger. Trotzdem ist das (immer noch) etwas, aus dem das Kind etwas Positives für sich "mitnehmen" kann. Schließlich ist die Erkenntnis wichtig: Mama ist zwar jetzt nicht "immer da", aber sie "kommt immer wieder". Ich denke, auch diese Entdeckung kann Vertrauen sogar verstärken, es muss nicht schaden.

Dann kommt die Schule - und alles wird noch einmal gravierend anders. Denn jetzt ist es für das Kind notwendig, die Existenz von wirklichen Pflichten anzuerkennen. (Mama und Papa und auch Kindergärtnerinnen sind doch geduldiger, die Kinder sind kleiner (da ist man ohnehin nachsichtiger), aufgeräumt wird gemeinsam, kleine Hilfen im Haushalt werden eher "spielerisch" angegangen, sie sollen ja "Spaß'" machen etc.)

Nun ist es aber so, dass "Pflichtvernachlässigung" Konsequenzen hat: Wenn ich meine Hausaufgaben nicht mache, weil ich keine Lust hatte, dann gibt es eine schlechte Note, ganz besonders, wenn ich das nicht nur einmal mache. Es gibt Bemerkungen, Klassenbucheinträge, blaue Briefe (gibt es das heute noch? Bei mir ist es eine Weile her. Falls nicht - Entschuldigung. Mein Irrtum). Das Kind lernt, dass man pünktlich zu sein hat. Auch ständiges Zuspätkommen, Comiclesen im Unterricht oder Schule schwänzen geht nicht ohne negative Folgen. Es würde anders auch gar nicht "funktionieren", denn das soziale Gefüge unserer Gesellschaft benötigt "Regeln".

Wo ist das Problem? Nun, ich gebe hier als Mutter den "schwarzen Peter" an mich. Warum? Ich bin diejenige, die die "Basis" legt, so lange mein Kind noch klein ist. Ich muss entscheiden, wie ich es erziehe. Ich muss Werte nicht "predigen", sondern sie leben - und zwar ehrlich und aus Überzeugung heraus, denn Kinder bemerken den Unterschied. Ich kann von meinem Kind nicht verlangen, dass es Lügen ablehnt, wenn ich selbst ständig lüge. Das funktioniert nicht. Werte muss man leben, nicht darüber reden. Kinder beobachten uns als Eltern sehr genau!

Das Gedicht sagt: "hilf mir, es selbst und recht zu tun!" Das Kind braucht Hilfe, denn was wir bereits wissen, das muss es erst alles erlernen. Hilfe sehe ich hier, wenn ich ihm eine "Orientierung" gebe. Die Begriffe "richtig" und "falsch" können wir nur durch unsere "gelebten Überzeugungen" weitergeben. Selbstständig zu denken und zu handeln, und sich nicht nur an "andere anzuhängen", auch das muss gelernt sein! Und ich finde, das ist gar nicht so einfach, wie es sich anhören mag.

Etwas "recht zu tun!" Damit ist "Recht" gemeint, glaube ich, und "richtig" eher indirekt. Das "Rechte zu tun", auch das will gelernt sein. Ich erzähle mal etwas aus meiner eigenen "Familiengeschichte", denn das, was ich da "mit auf meinen Lebensweg bekam", gab ich meinerseits auch an meine Tochter weiter. Sie orientiert sich nicht an "Dingen" und definiert daraus auch nicht den eigenen Wert als Person.

Meine Großmutter war hier der "Beginn", denn sie war eine sehr gutherzige Person - mit hohen Ansprüchen an sich selbst, was "moralische Werte" betrifft. Es gibt vieles, was sie zu mir sagte, das ich mein Leben lang "in mir trage". Nur ein paar Beispiele. Sie sagte zu mir: "Wenn jemand vom Fernsehturm springt, dann springe ich nicht hinterher!" - "Du bist "du", und nicht "die anderen"." - "Lebe das, woran du glaubst." - "Wertvoll ist, wer Wertvolles tut." Sie war keine "Plaudertasche", aber das was sie sagte, hatte "Gewicht". Ich lernte von ihr, dass ich nichts "tun muss", nur weil "alle anderen es tun"; ich lernte, dass ich ich bin; ich lernte, dass man seine Werte und Ideale lebt und, bevor man sie von anderen erwartet, sie erst mal selbst beherzigen muss; ich lernte, dass der "Wert" einer Persönlichkeit sich nicht über materiellen Besitz (damals begann sie ja schon, die "Markenkleidungsmanie" - hast du nix, bist du nix. Heute muss das neueste und teuerste Mobiltelefon "sein", etc. pp.) definiert, sondern durch das, was man ist und was man tut. Also: Einen "Orden" für meine Großmutter.

Das gab ich meiner Tochter weiter, und noch einiges mehr, was ich lernte. Nun, meine Tochter ist jetzt erwachsen, und sie schüttelt immer noch den Kopf. Sie ging in die Schule und kam manchmal recht amüsiert nach Hause, denn sie fand es schon als Jugendliche "albern und dumm", wenn man sich eine (ihrem "Geschmack" nach häßliche) Jeans kauft, nur weil sie von dieser oder jener Marke ist und man sie haben "muss" - während man doch für das gleiche Geld zwei oder sogar drei andere, richtig "schicke" Jeans kaufen kann. Nun, meine Großmutter fand das albern, ich finde es albern und meine Tochter findet es albern ... Erstaunlicherweise hatte sie deshalb in der Schule nie Probleme. Ich bin keine Pädagogin, ich kann mir da nur meine "eigenen Muttergedanken" darüber machen. Daher gehe ich davon aus, dass es ihr einfach nichts ausmachte, sie beneidete die anderen nicht, sie glaubte tatsächlich nicht daran - und das "strahlte" sie aus. Deshalb war sie da einfach nicht "angreifbar".

Sie hatte einen Freundeskreis - aber sie "wählte aus". Und fand mehr "Gleichgesinnte", als selbst ich vermutet hätte!

Deshalb sehe ich nicht so "schwarz".

Liebe, das ist das Wichtigste. Für mich war es immer absolut ausschlaggebend, ihr von klein an zu vermitteln, dass ich a) auch nur ein Mensch bin, b) deshalb auch Fehler mache, c) zu diesen aber auch stehe - und mich ggf. dafür entschuldige. Auch bei ihr! Es war immer "klar" zwischen uns, dass ich ein "Fehlverhalten" ablehne - aber nie sie; dass ich mich über ein bestimmtes Verhalten von ihr ärgere - aber nicht über "sie". Ich sagte ihr, dass ich sie immer liebe, auch wenn sie etwas falsch macht oder ich mich mal "aufrege". Der Ärger betrifft nur das "Verhalten". Das ändert nichts an der Liebe, die ist immer da und bleibt es auch.

Weshalb nur glauben manche Mütter, sie müssten den Kindern "Angst machen"? Wenn ich meiner Tochter die oben beschriebene Tatsache nicht klar mache, glaubt sie doch unwillkürlich, dass ich nicht ihr Verhalten sondern sie ablehne. Das kam für mich nie in Frage: "Wenn du nicht dies und das machst, dann habe ich dich nicht mehr lieb!" Ja, (Verzeihung!) Teufel noch mal, möchte ich einer solchen "Mutter" sagen, emotionale Erpressung als "Erziehungsmethode"? Diesen Satz hörte ich schon, nicht nur einmal, und darüber regte und rege ich mich furchtbar auf, da kann man mich auf 180 bringen ...

Nein, die Schule ist nicht das "Übel", die Lehrer keine "Versager", sie ist ein "Spiegel", der aufzeigt, was "mit hineingebracht" wird. Aber: Nicht vergessen, dass es einfach völlig absurd ist, was uns heute suggeriert wird (von den Medien, von all den vielen, schlauen "Erziehungsbüchern"): Eine Mutter versagt, wenn sie nicht perfekt, makellos und fehlerfrei ist. Das ist Unsinn! Aus Fehlern lernt man. Und Kinder lernen von uns, dass Fehler machen keine Katastrophe ist, sondern dazu verhilft, es künftig besser zu machen. Auch wir Mütter sind keine Versager!

Ja, dieser Missstand exisitert. Aber: Nicht ausschließlich und nicht immer.

Herzliche Grüße

Stimme
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