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Alt 19.12.2011, 12:05   #3
Stimme der Zeit
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Hallo, lieber Thomas,

Zitat:
Zitat von Thomas:
das ist ein sehr nachdenklich stimmendes Weihnachtsgedicht und es ist, wie von dir nicht anders zu erwarten, formschön und gut geraten.
Zunächst einmal ein Dankeschön für dein Lob, ich freue mich.

Zitat:
Zitat von Thomas:
Aber zwei kleine Vorschläge hätte ich doch.

In der ersten Strophe statt:

Zitat:
Zitat von Stimme der Zeit:
die Wirtschaft boomt, die Leute sind am Kaufen,
wie Ochsen, aus gefüllten Futterraufen.
Das Folgende:

die Wirtschaft boomt, die Leute kaufen, kaufen,
wie Ochsen fressen, aus gefüllten Raufen.

(Weil die Ochsen halt fressen, und das gedoppelte 'kaufen' seien Wirkung tut.)
Du weißt, dass ich für Vorschläge immer offen bin, aber dieses Mal möchte ich doch die beiden Verse, die ich (nach sorgfältiger Überlegung!) ganz bewusst so formuliert habe, wie sie dastehen, behalten. Ich erkläre dir gerne, warum.

Dein Vorschlag

Zitat:
Zitat von Thomas:
die Wirtschaft boomt, die Leute kaufen, kaufen,
wie Ochsen fressen, aus gefüllten Raufen.
verändert die Aussage. Es ist so, dass die Verdoppelung von "kaufen" für eine Assozitation in Richtung "Kaufwahn" sorgt (das impliziert eine Art "Drängen"), und das "fressen" ergibt den Zusammenhang: Die Leute kaufen, kaufen, so, wie Ochsen fressen. Wie frisst ein "Ochse"? Eigentlich "kaut" dieser ja recht "gemütlich (und gedankenlos) vor sich hin". "Gedankenlos", ja, das passt, aber das "drängende Element" von "kaufen, kaufen" stimmt nicht mit dem "Bild" des "gemütlich, gedanken- und sorglos vor sich hin kauenden Ochsen" überein.

Meine Formulierung


Zitat:
Zitat von Stimme der Zeit:
die Wirtschaft boomt, die Leute sind am Kaufen,
wie Ochsen, aus gefüllten Futterraufen.
bezieht sich auf das Wesen von Ochsen, die "gefüllten Futterraufen" sind eine Metapher für die zur Weihnachtszeit "prall gefüllten Regale" in Supermärkten, Läden und Kaufhäusern. Es geht also nicht ums "Fressen", sondern um das Kaufverhalten: Stupide wie Ochsen, gedankenlos (dumm) - Hauptsache, die (meine!) "Futtertröge" sind voll. Im Volksmund dient der Ochse als Metapher für stupides Verhalten, für Dummheit ("Wie der Ochse vor dem Berg stehen") und auch als Schimpfwort ("Du dummer Ochse!" - übrigens gleich eine "Verdoppelung" von Dummheit). Der Ochse interessiert sich nicht dafür, ob die "Futtertröge" anderer gefüllt sind - sein "Horizont" reicht nur für den Blick in den eigenen ...

Zitat:
Zitat von Thomas:
Und in der letzten Strophe:

Zitat:
Zitat von Stimme der Zeit:
Politisch streut man bunten Zucker aus.
Ach, Heilig Abend! – Leid? Wen juckt das schon?
Das Folgende:

Im Fernsehn streut man bunten Zucker aus.
An Heilig Abend Leid? Wen juckt das schon?

(Weil 'politisch' etwas ausgeleiert ist. Das Ach schreibst du wegen des Bezugs zur ersten Zeile, aber ich würde die rhythmisch etwas schlichtere Zeile vorziehen. Reine Geschmackssache)
Hier möchte ich das Wort "Politisch" behalten. Das Fernsehen ist nur ein einziges Medium - kurz erwähnt, dass eine Menge Politiker ihre "Finger" in den Vorständen haben - , wogegen die Politik tatsächlich "bunten Zucker ausstreut". Das bezieht sich im Gedicht auch auf die in Strophe 1 erwähnte "Statistik". Wie lautet ein gut bekanntes, geflügeltes Wort doch so schön: "Eine Statistik ist nur so gut wie der, der sie gefälscht hat." Und Statistiken sind nie richtig, sie sind gefälscht, denn es ist das "Statistische Bundesamt", das sie herausgibt, und "Beschönigen" ist ganz normaler "Alltag" - deshalb auch die Erwähnung der "Dunkelziffer", die ebenfalls weit höher ist, als uns gerne weisgemacht wird. Da erzähle man mir doch nicht, an Weihnachten wäre das anders - wohl eher noch im Gegenteil! Das könnte sonst die "Ochsen", die man ja so gut "lenken" kann, womöglich aus der "Ruhe bringen" ...

Zitat:
Ach, Heilig Abend! – Leid? Wen juckt das schon?
Du hast recht, die Formulierung ist wirklich auf die erste Zeile im Gedicht bezogen - zum einen. "Ach, Deutschland" und "Ach, Heilig Abend!" Ach, seufz, wie schön, wie heil, wie bunt, wie sorglos, wie - wunder/voll! Zum anderen dient der Gedankenstrich hier, ebenso wie im ersten Vers des letzten Terzetts dazu, den Leser eine "(Nach)denkpause" machen zu lassen. Und es unterstreicht die "Gegensätze": Auf der "einen Seite" das "Glück der heilen Welt" und auf der "anderen Seite" das "Leid", bewusst als Frage. Denn - "juckt" das Leid einen "Ochsen"? Der letzte Vers ist eine "Gegenüberstellung beider Seiten".

Ja, es ist zwar wirklich auch "Geschmackssache", aber hier dient die "Zweiteilung" einem ganz bestimmen Zweck.

Ich danke dir für deine Vorschläge, im vollen Ernst, denn es zeigt mir, dass du dich ernsthaft mit dem Gedicht beschäftigt hast - und das freut mich immer sehr!

Deshalb hoffe ich, dass ich verständlich und nachvollziehbar erklären konnte, warum ich an den beiden Versen dieses Mal nichts ändern möchte.

Liebe Grüße und vielen Dank.

Stimme
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Geändert von Stimme der Zeit (19.12.2011 um 12:28 Uhr) Grund: Kleine Korrektur.
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