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Alt 18.02.2012, 12:02   #9
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asphaltwaldwesen
 
Registriert seit: 31.03.2009
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lieber galapapa,

die herbstgedanken gelten mehr den inneren befindlichkeiten als der natur, musste ich entdecken beim lesen deines gedichtes.

sehr schön finde ich das beinah versteckte ringen von lebendigkeit mit einem letzten aufbäumen unter einer beinah erstickenden decke von kälte und abgestorbenem. du hast das in den strophen 1 und 2 fein verpackt:

Zitat:
Zitat von Galapapa Beitrag anzeigen
Ein alter Raureif überzieht mein Leben,
es brodeln schäumend düstere Gedanken.
Sag, Liebste, kannst du jemals mir vergeben,
den bitt‘ren Kelch, aus dem wir beide tranken?

So traurig bunt zieht Herbst in meine Sinne,
und meine Schuld fällt wie ein welkes Blatt.
Wenn ich das ewig alte Lied beginne,
das viel zu viele dunkle Strophen hat.
da brodelt unter kaltem raureif noch schäumend lebendiges gedankengut, wie ich es lese. auch verbitterung, reue sind lebendige gefühle. ein sich-auflehnen gegen konsequenzen bedauerter handlungen. so ganz will lyrIch noch nicht aufgeben - auch, wenn anscheinend ein ausweg noch nicht in sicht ist.

auch "traurig-bunt" ist dieser lebendige (scheinbare) widerspruch: melancholie, traurigkeit - sehr "aktive" gefühle sind das. und das kommt hier schön zum ausdruck. die schuld - ihr will noch nicht raum gegeben werden. das finde ich ganz besonders schön und eindringlich formuliert hier!


Zitat:
Zitat von Galapapa Beitrag anzeigen
Im Traum hab ich dein Lächeln oft gesehen,
hab mich so sehr nach deinem Kuss verzehrt.
Die Tränen ließen stets dein Bild vergehen,
und deine Lippen blieben mir verwehrt.
hier wird lyrIch doch übermannt vom schmerz des vermissens. da "fehlt" etwas, schmerzlich. die strophe ist für meinen geschmack hart an der grenze, aber ins ganze eingebettet gelesen muss sie schon so sein, wie sie ist. sie gibt dem gedicht die schwere als begründung für diesen prozess, sie begründet die schwere des ganzen. sonst wärs ja nur eins dieser "ich mag es, traurig zu sein und mich im schmerz der melancholie des vermissens zu wälzen-Texte"...

Zitat:
Zitat von Galapapa Beitrag anzeigen
Bald zieht der Winter durch die leeren Tage,
der mit der Kälte um Vergessen wirbt,
bedeckt die Seele mit der bangen Frage,
ob mit dem Warten einst die Liebe stirbt.
hier lese ich lyrIch sehr hin- und hergerissen. ein gefühl, das echter und fieser kaum sein kann. einerseits ist da der wunsch, endlich abschließen zu können, zu vergessen - einfach, damit es "aufhört", weh zu tun. andererseits hieße das, loszulassen - und genau das geht nicht. wird vermutlich nie möglich sein.

der titel der "herbstgedanken" impliziert diesen (leisen und nie versiegenden) glauben an eine mögliche wiederkehr.

ein schönes, leis-trauriges gedicht, dessen gewicht sich erst zwischen den zeilen und worten in seinem wahren ausmaß erschließt. das finde ich sehr sehr schön und sehr berührend.


gerne gelesen, nachgespürt und mitgegangen!


lieber gruß,

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"Gedichte sind Geschenke an die Aufmerksamen" Paul Celan
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