Thema: Glasweise
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Alt 09.06.2015, 20:52   #2
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Vedena!

Das Gedicht gefällt mir sehr, trotz der beiden ungereimten Zeilen in jeder Strophe.

Das wehmütige Bild der verwaisten, leergetrunkenen oder nun noch mäßig gefüllten Gläser in Verbindung mit einem Herbsttag stimmt wunderbar ein, und der Widerstreit der Gefühle ist dir in ihrer sprechenden Personifizierung sehr treffend und "mitnehmend" gelungen!

Interessant auch das Wortspiel des Titels: "Glasweise" - also entweder in der Bedeutung von "Glas um Glas" oder "Weisheit durch die Gedanken um die Gläser". Treffend!

Ein paar Tipps zur Zeichensetzung:

Noch schickt der Südwind Blüten - Warum hier ein Bindestrich? Ohne besser.
wie bunte Ansichtskarten,
noch stehen unsre Gläser
auf einem Tisch im Garten.

„Spül sie doch ab“ sagt der Verstand, Das "Spül" klingt wenig lyrisch, das bild dazu macht es nicht besser. Altern.: ""Komm(oder: "Ach"), räum sie ab," sagt..."(Komma nach "ab").
„er wird nicht wieder kommen“. "wiederkommen" zusammen. Getrennt leicht andere Bedeutung.
Der Starrsinn meint „Verschenke sie“ Doppelpunkt nach "meint", Rufzeichen in der direkten Rede.
und lächelt leicht benommen.

Da widerspricht die Einsamkeit Doppelpunkt.
„Behalte dieses Souvenir“, Rufzeichen in direkter Rede, danach kein Satzzeichen mehr.
nun mischt sich das Vergessen ein "Nun" besser als Satzbeginn.
und bettelt „Bitte, schenk sie mir“. Doppelpunkt nach "bettelt", Rufzeichen am Ende von direkter Rede.

Gebieterisch befiehlt der Zorn Doppelpunkt.
„Jetzt geh, und wirf sie an die Wand!“, Kein Komma nach "geh".
doch leise fleht die Ängstlichkeit Doppelpunkt.
„Zerstöre nie ein solches Pfand“. Rufzeichen am Ende der direkten Rede, danach kein Punkt mehr.

Noch färbt der Herbst die Blätter - Wieder Bindestrich weg, vor allem, wo es mit "und" weitergeht.
und lässt den Südwind warten.
Noch stehen unsre Gläser
auf einem Tisch im Garten.

Korrigierte Version:

Noch schickt der Südwind Blüten
wie bunte Ansichtskarten,
noch stehen unsre Gläser
auf einem Tisch im Garten.

„Ach, räum sie ab,“ sagt der Verstand,
„er wird nicht wiederkommen.“
Der Starrsinn meint: „Verschenke sie!“
und lächelt leicht benommen.

Da widerspricht die Einsamkeit:
„Behalte dieses Souvenir!“
Nun mischt sich das Vergessen ein
und bettelt: „Bitte, schenk sie mir!“.

Gebieterisch befiehlt der Zorn:
„Jetzt geh und wirf sie an die Wand!“,
doch leise fleht die Ängstlichkeit:
„Zerstöre nie ein solches Pfand!“

Noch färbt der Herbst die Blätter
und lässt den Südwind warten.
Noch stehen unsre Gläser
auf einem Tisch im Garten.


So wäre alles korrekt gesetzt.

Sehr gern gelesen! Das ist wirklich ein sehr gutes Gedicht! Ab damit in die "Best-of"-Mappe!!!

LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (10.06.2015 um 11:46 Uhr)
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