Thema: Red Jacket
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Alt 16.11.2016, 11:00   #3
Wodziwob
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Hallo Sy,

das freut mich aufrichtig, dass Dir meine Geschichte der Geschichte etwas geben hat können. Tatsächlich ist es geradezu erschütternd, mit welcher Engelsgeduld die Völker der Natives dem Landraub und Morden durch die weißen Eindringlinge begegneten. Mit der unermüdlichen Stimme der Vernunft versuchten sie diese zur Einsicht zu bewegen...

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Ich lebe in der Nähe von Bad Segeberg, und hier finden jeden Sommer die Karl May Festspiele in der der Freilichtarena statt.
Da will ich Dir doch gerne mit dem Kapitel antworten, in dem der Desperado sich mit Karl May und seinen edlen Helden auseinandersetzt. Ist etwas länger, dafür nicht ganz unlustig...


Man sagt, dass der Mensch im Alter, wenn der Lebenskreis dabei ist, sich zu schließen, erneut zum Kindskopf wird, mag sein, doch manches, was einem als Kind lieb und wertvoll war, wird einem später fremd und bedeutungslos und geht für immer verloren.

Am Fuß des Berges kommen mir zwei unwirklich merkwürdige Gestalten entgegen. Der eine auf kleinem Pferd ist rundlich und kleinwüchsig, in eine zusammengeflickte Jacke gezwängt, hat schneeweiße wirre Haare auf dem Kopf und ist unablässig am Quasseln, der andere, lang aufgeschossen und dünn, reitet ein Maultier, trägt einen Tropenhelm und steckt in maßgeschneidert militärisch anmutenden Klamotten, auf dem Rücken transportiert er einen merkwürdigen Kasten, an der Schulter baumelt ein großes Schmetterlingsnetz.

„Ey ey, sieh an“, schmunzelt der Dicke, „das Greenhorn vor uns scheint mir doch ein waschechter Desperado zu sein, wenn ich mich nicht irre.“

„Oh well, was für eine außergewöhnliche Zufälligkeit, ist es erlaubt zu mir zu machen eine Aufnahme von euch?“, stelzt der Dünne in seltsamer Sprechweise.

Im Nu hat er seinen Fotoapparat auf ragenden Beinen auf den Pfad gepflanzt, verschwindet mit dem Kopf unter einem großen ledernen Umhang am hinteren Ende des rechteckigen Kastens und weist mich mit einer Hand in die rechte Position, der ich ohnehin verblüfft und ungläubig regungslos verharre, drückt auf einen Knopf am Ende einer Art Schnur, es folgt ein paffendes Geräusch, eine große weiße Rauchwolke steigt in die Höhe, eine noch größere schwarze hinterher, und der Englishman steht über und über von Ruß geschwärzt über seinem verschmort stinkenden Gerät. Während sich der Haarschopf vom Kopf des Rundlichen gehoben hat und eine seltsam rosafarbene, von schwarzen Flecken durchsetzte Vollglatze zum Vorschein kommen lässt, die den Eindruck einer großen hässlichen Narbe macht. Der Komiker indessen grinst verschmitzt, kratzt sich den kahlen Schädel und meint: „Diese Aufnahme scheint mir wohl etwas überunterbelichtet geraten zu sein, wenn ich mich nicht irre.“

Ich lass die beiden schrägen Vögel einfach stehen, was ihnen gar nicht auffällt, und setze meinen Ritt fort, als ein Apache vor mir auftaucht, wie ich noch nie einen zu Gesicht bekommen habe. Er reitet ein fantastisches schwarzes Pferd, gezäumt und besattelt mit feinster Lederarbeit voller Perlen und Glitzersteine. Sein prächtiges Kostüm ist über und über mit kunstvollen Strickereien und Mustern verziert, Mokassins, Hosenbeine und Ärmel schmücken lange Fransen, ein mit Silberbroschen beschlagener Stutzen ragt aus einer ebenso grandios gearbeiteten Lederhülse. Um die hohe Stirn trägt er ein schimmerndes Band aus Schlangenhaut und sein glänzendes Haar wogt in sanften Wellen über stattliche Schultern.

„Der große Häuptling des stolzen und edlen Volkes der Apachen grüßt den fremden weißen Mann,“ hebt er pathetisch an und die Hand zum Gruß, „was führt die Hufe seines edlen Pferdes in die Heimat seines roten Bruders?“

„Ja nun“, sag ich verlegen, während Infini amüsiert losprustet, „genau genommen bin ich nur auf der Durchreise...“

Aber er hört mir gar nicht richtig zu und fährt unbeirrt fort: „Das Auge des weißen Mannes ist klar und ehrlich, seine gebrochene Stimme verbirgt kein Falsch und keine Arglist, er möge mein Herz mit der Ehre und Freude erfüllen, mich seinen Bruder zu nennen.“

„Du mich auch,“ stottere ich verdattert, „ich will sagen, du kannst mich mal, klar doch, gerne haben, mein’ ich, würd’ ich es, meinetwegen darfst du mich Bruder nennen, selbstverständlich, ist doch kein Thema...“

Weiter komme ich nicht, weil ein muskelbepackter, ebenso in Fransenleder gehüllter Blondschopf von erheblicher Schulterbreite, Körpergröße und mit gewaltigen Fäusten hinter ihm zum Vorschein kommt, einen doppelläufigen, mit Silbernägeln beschlagenen Bärentöter am Sattel, und mir ins Wort fällt:

„Fremder, das Land der Apatschen ist ein wildes Land voller Geheimnisse, der Gott des weißen und roten Mannes möge deine verschlungenen Wege behüten und dir die Tapferkeit und Aufrichtigkeit bewahren, die ein wahrer Westmann braucht, um in den Gefahren und Tücken des Lebens zu bestehen und aufrecht den guten Kampf zu kämpfen.“

„Ja ja“, stammle ich mittlerweile völlig verwirrt, „den aufrechten Gang wird er wohl brauchen in diesem Affenstall, damit man ihn auch unterscheiden kann von Seinesgleichen, ich will damit nur sagen...“

Aber hoffnungsloser brauche ich mich nicht zu verhaspeln, denn die Beiden haben mich ganz offensichtlich vergessen, ein düsterer Schatten ist über das ebenmäßig bronzene Gesicht des Apachen gefallen, er spricht zu seinem Freund mit trauriger aber fester Stimme davon, dass seine Stunde gekommen sei, er deutlich Manitous Ruf vernehme und seine Seele alsbald in die ewigen Jagdgründe gehen müsse. Was dem Hünen nun gar nicht zu gefallen scheint, der erwidert was von unverbrüchlicher Treue und Blutsbruderschaft, von der Geistestrübung nicht bewältigter Trauer über den Tod der geliebten Schwester des Mescalero-Apache, der sein, des Westmannes liebendes Herz für immer mit bitterem Schmerz erfülle... und ich mache dass ich fortkomme von den beiden tragischen Helden. Zur Beruhigung meiner angegriffenen Nerven will ich mir grade eine Zigarillo anzünden, als ein Schuss aufpeitscht und das Zündholz in meiner Hand bis auf den Stumpf aus meinen Fingern fegt. Ein breit grinsender bärtiger Typ im scheinbar hierzulande modischen Fransenlook ragt mit qualmendem Stutzen auf dem Felsen vor mir in die Höhe und meint spöttisch lachend:

„Ha, zwielichtiger Geselle, du hast gezittert und gewackelt, denn die Kugel meiner Büchse sollte dein Zündholz nur auspusten, aber ich will nicht mit meiner im ganzen Westen gerühmten und gefürchteten Schießkunst prahlen vor einem alten Tramp, der seine Lungen mit Rauchwerk vergiftet.“

„Du meine Güte,“ entfährt es mir fassungslos mit erhobenen Händen, „schon gut, schon gut, Rauchen fügt mir und meiner Umgebung erheblichen Schaden zu, kann tödlich sein und lässt mich früher sterben, ich weiß Bescheid und schäme mich ...“, aber seine spukhafte Erscheinung ist wie vom Erdboden verschluckt und spurlos verschwunden. Immer diese radikalen Nichtraucher, früher gepafft wie ein Schlot und seitdem auf der Flucht vor jedem Hauch von Tabakduft und wie der Teufel hinter jedem Genussraucher her. Gerade will ich tief und befreit durchatmen, als mir ein dürres, verlottertes Männlein mit langem Ziegenbart und weißer ausgedünnter Mähne vor die Hufe springt, mich mit erhobener Büchse böse anfunkelt und schnarrt:

„Ha, du elende verdorbene Seele, hast wohl Bekanntschaft gemacht mit den beiden Gutmenschen, würg, wie ich ihr verdammtes Getue hasse, ihre verfluchte Güte und ihren abgelutschten Edelmut, keinen blassen Schimmer haben die Träumer von der Härte des Lebens, grade mal gut genug sind sie für den feigsten Verrat, ich spucke auf ihre dämliche Einfalt.“

Irgendwie habe ich auf einmal von allem genug und die Nase gestrichen voll von dem Theater, der Widerling geht mir gewaltig auf den Geist, ich schnalze mit der Zunge, worauf Infini los springt und das Gerippe einfach zur Seite schiebt, dass es nur so in die Grasmatten fliegt und grässlich hinter mir her flucht, und ich schwöre mir hoch und heilig, beim nächsten Mal den kurzen Weg durch Italo, Wildwest, Westerncity - oder wie immer dieses gottverlassene Nest noch mal heißen mag - zu nehmen. Als ich endlich den Gipfel erreicht habe, traue ich erst meinen Augen nicht. Auf einer Steinplatte sitzt, einen Bogen Papier auf dem Schoß, eine seltsam kostümierte Gestalt und kaut unter geschwungenem Schnurrbart versonnen auf dem Stiel einer Tuschefeder herum, nebst Tintenfässchen eine halbleere Whiskeyflasche neben sich stehen. Nur beiläufig nimmt er mein Kommen zur Kenntnis, das Gesicht beschattet von einem schrägen Hut meint er abwesend mit einem Akzent, der mich irgendwie an den des Baieren erinnert, einen entfernten Bekannten, wobei er eher zu den Wölkchen spricht, die aus seiner Pfeife aufsteigen, denn zu mir: "Man soll den Menschen nicht nach dem beurteilen, was er ist, sondern danach, wie er es geworden ist."

"Macht keinen Unterschied", erwidere ich träge, "ob man ihn danach beurteilt, was er ist, oder nach dem, wie er es geworden ist, das Ergebnis ist das gleiche und der Mensch derselbe."

„Gott zum Gruße, Reisender", fährt er unbeirrt fort, "siehst du das rechteckige Wäldchen dort unten im Talgrund, dass sich im Osten an den mäandernden Flusslauf schmiegt, durch das ein schmaler Pfad das klare Bächlein entlang führt, das sich mitten hindurch schlängelt, eine scharfe Krümmung macht nach Westen, genau in der Mitte, dort wo die zwei weißen spitz zulaufenden Felsblöcke aus dem Boden und über die grünen Wipfel der Tannen hinausragen, genau zwischen den mythischen Steinen hindurch zwängt sich der schmale Pfad, dessen östliche Seite mit dichtem Dornengestrüpp bewachsen und dessen westliche durch einen steil abfallenden Hang gesäumt ist, dort wo der ausladende Wacholderbaum seinen Schatten über die plätschernden Wellen wirft, kantiges Gestein den Pferden den Weg erschwert und sich dicke Wurzeln über den unebenen Boden schlängeln, eine Mulde die Sicht beeinträchtigt und die Rücken der Felsen den Blick versperren, dieser Punkt in der weiten Landschaft des Westens ist der ideale Ort für einen Hinterhalt der schmutzigen ruchlosen Schwarzfußindianer, um meinen edlen Helden aufzulauern...“

Ich hör ihm nicht mehr zu und reite mit rauchendem Kopf dem ersehnten Talgrund zu, Falle und Hinterhalt her oder hin, außerdem gab es in der Gegend noch nie so was wie riechende Schmutzfußindianer. Blackfoot oder Schwarzfußindianer gibt es wirklich, oben im hohen Norden der Prärie, östlich von Saskatschewan am gleichnamigen Flusslauf oberhalb der Stammesgründe der Crow. Und weiter im Nordosten, im Gebiet der großen Seen, bei den Ojibwa, da ist Manitou wirklich zuhause, der bei den Algonquin weiter südöstlich wiederum Manito heißt und nicht gleichbedeutend ist mit dem großen Geist, sondern eher aus einer Vielzahl kleiner Geister besteht, einer Art nichtmenschlicher unbegreiflicher Wesen, die Tieren, Pflanzen, Sternen und auch Dingen innewohnen und ihnen auch schon mal Schaden zufügen können, in der Regel aber mächtige Helfer der Menschen sind und bei den Apache Ga'ans genannt werden.

Nur - wen interessiert das schon? Ist ja auch nicht so wichtig, man weiß ja, dass der oder die Usen gemeint ist damit.

Well, du kannst die liebliche Schwester des edlen Häuptlings der Mescalero töten und seinen weisen Vater heimtückisch ermorden, kannst seine schöne Braut verhökern an einen Lieutenant der Blauröcke, um einen Friedensvertrag zu untermauern, den es noch nicht einmal auf dem Bauplan gibt und niemals geben wird, du kannst ihn belügen und betrügen nach Strich und Faden und feige verraten, ja ihm selbst in den Rücken schießen und eine Kugel durchs tapfere Herz jagen, seine menschliche Größe wirst du niemals bezwingen, du kannst ihn verlachen und verspotten, bis dir die Haare samt den Zähnen ausgefallen sind, er ist größer als du es je sein wirst und wird es bleiben für immer und alle Zeit.

Die Welt wäre ein besserer Ort, gar keine Frage, wenn es mehr Typen gäbe von seiner Sorte, gute Menschen ohne Arg, die da edelmütig, wahrhaftig, treu und furchtlos durchs Leben reiten und das Böse bekämpfen, wo immer sie ihm begegnen, sprich überall. Es gibt keinen Grund, ihm die Schuld zu geben dafür, dass du selbst nicht so sein kannst, er hat dich nicht betrogen, du selbst hast dich betrogen, um dich und um ihn. Auch kann er nichts dafür, dass du ihn zur Märchenfigur herabgewürdigt hast, die man grade deshalb so bedenkenlos lieben kann und hemmungslos anhimmeln, weil es sie nicht gibt. Sicher, auch das ist eine Möglichkeit, sich mit gutem Gewissen davon freizusprechen, den Beweis erbringen zu müssen, dass es Menschen seines Schlages geben könnte, wenn man es nur lange und oft genug versucht und nicht aufgibt es zu versuchen. Stell ihn auf einen unerreichbaren Sockel und du bist aus dem Schneider.

Es ist einfach nicht fair, was die Leute ihm antun. Klar, wer wie ich unter einem schlechten Stern geboren ist, tut sich da leicht, der weiß von Anfang an, dass er nie so sein wird können wie der edle Häuptling der Apatschen, weil er's schon verbockt hatte, noch bevor er seinem leuchtenden Vorbild über den Weg geritten ist. Da ist dann nicht mehr viel mit Träumen, die Frage, auch so einer werden zu wollen und können, stellt sich dir von Vornherein nicht, aber bewundern tust du ihn dafür umso mehr. Und es ist dir auch völlig schnuppe, dafür belächelt zu werden oder für blöde gehalten, weil du als Hoffnungsloser genau weißt, dass der Mensch so sein könnte, wenn er's nur wollte. In Wirklichkeit nämlich will er es ganz einfach nicht, und damit ihm niemand auf die Schliche kommt, stellt er sich eben hin und seufzt „ach, könnte ich nur so sein wie der. Vielleicht würd ich es ja sogar versuchen, wenn er einen Batzen Geld hätte und in einem Schloss wohnen würde, da wüsste ich dann wenigstens, dass was raus springt dabei, aber so... sterben werd ich noch früh genug“. Da hat er zweifellos recht, das wird er, eben grade weil er's versäumt hat, unsterblich zu werden wie dieser strahlende Held.

Tja, dumm gelaufen.




Danke für Deine vergleichsweise sehr gut informierten Zeilen!
Wir zerstören unsere Welt, rotten die Tiere aus und vernichten die letzten Lebensräume von Menschen, die noch mit der Natur leben können und nicht gegen sie. Wir befinden uns im Zustand kollektiver Geisteskrankheit. Seit Jahrhunderten.


Herzliche Grüße
Wozi

Geändert von Wodziwob (18.11.2016 um 07:37 Uhr)
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