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Alt 19.05.2014, 17:13   #8
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Hi Fridolin,

ich zitiere dich mal vorweg:

Zitat:
Nachdem ich dafür vor bald zwei Jahren andernorts rüde abgewatscht wurde – Tenor: Die Form allein, das Aufzählen und Beschreiben simpler Abläufe, machen dieses Gedicht zu einem sehr trockenen; das Lesen einer Speisekarte ist mit Sicherheit spannender und interessanter...
Derjenige, der dir das schrieb, hat, mit Verlaub gesagt, nur einen ganz blassen Schimmer von dieser Materie.
Der ist gefangen in seiner ganz persönlichen Vorstellung von einem Sonett und nicht in der Lage, über seinen eigenen Horizont zu schauen.
Die äußerlichen Kriterien erfüllt dein Sonett auf jeden Fall, das lässt er durchblicken.
Jetzt werden Allgemeinplätze bemüht, wie das Aufzählen, das Beschreiben, simple Abläufe, ohne einen entsprechenden Beleg.
Die nächste Aussage ist rein subjektiv, er findet das Gedicht, nicht das Sonett, sehr trocken.
Die Speisekarte ist zwar auf die letzte Zeile gemünzt, doch diese Aussage ist einfach nur frech und der Wille, dem Autor eins auswischen zu wollen, ist darin klar erkennbar.

Weißt du was dieser Kommentator war, ohne ihn zu kennen?
Das war ein Neidhammel und er wollte dir nicht zugestehen, ein schönes Sonett geschrieben zu haben.

Ich empfehle dem unbekannten Kommentator dringend die Lektüre "Deutsche Sonette" aus dem Reclam Verlag, Herausgeber Hartmut Kircher, Universal-Bibliothek 9934 [6]. Das ist leider nur noch gebraucht zu bekommen.
Kircher führt dort durch eine Zeitreise der deutschen Sonettkunst, von ihren Anfängen bis in seine Gegenwart (die Ausgabe ist von 1979).
Da findet sich fast jedes Thema und die unterschiedlichsten Formen und Variationen.
In seinem sachverständigen Nachwort hat er seine Auswahl begründet und sehr schön dargelegt, wie das Sonett zustande kam und wie es sich bis heute entwickelt hat.
Wenn er das alles gelesen hat, soll er dir noch einmal begründen, warum er dein Sonett nicht als solches anerkennen will.


Und jetzt kommt meine ausführliche Kritik zu diesem Text:

Zitat:
Infolge einer jüngst verlornen Wette
soll als Sonett ich das Sonett besingen.
Nicht leicht ist‘s, Reime in die Form zu bringen,
Petrarca legt den Dichter an die Kette:
Die verlorene Wette ist eine gute Idee zum Einstieg, denn sie erklärt einleitend, wie dieser Text zustande gekommen ist.
Es folgt die Einsicht, dass das nicht so ganz leicht werden wird, denn der alte Meister hat hohe Standards angelegt, die es einzuhalten gilt.

Zitat:
»Fünfhebig«, sagt er, »deine Jamben glätte,
dass zwei Quartette schön im Gleichklang schwingen.
Kadenzen haben feminin zu klingen.
Nur so entstehen klassische Sonette.
Nun werden die äußeren Kriterien benannt, wie ein solches Sonett nach des Meisters Worten auszusehen hat, um als klassisches Sonett bestehen zu können.

Zitat:
Nach den Quartetten folgen zwei Terzette.
Sechs Zeilen gilt es, dazu noch zu drechseln,
die kunstvoll sich zu dem Sonette runden.
Klare Abgrenzung zu den Quartetten sind die Terzette, die das Sonett schließlich abrunden, äußerlich und inhaltlich.

Zitat:
Die Reime können mannigfaltig wechseln.
So greife, Dichter, kühn in die Palette.
Es möge dein Sonett dem Leser munden.«
Hier hat der Dichter allerdings Freiheiten in der Reimstruktur, im Gegensatz zu den Quartetten. So kommt die Aufforderung nun an den Dichter, seine Worte-Palette zu benutzen.
Zum Ende wünscht der Meister, dass es dem Dichter gelingen möge, seinen Lesern sein Sonett schmackhaft zu machen.

Fazit:

Die Idee ist stimmig und gut. Von der Einleitung bis zum Abschluss gibt es einen durchgängigen, roten Faden, dem man durch den Text folgen kann und der äußere Aufbau stimmt auch. Es gibt dazu zwar Beschreibungen, aber keine simplen, denn hier werden schließlich bestimmte Regeln verdichtet.
Das ist also ein Sonett. Kein weltbewegendes, aber ein solides und gut durchdachtes, mit Schmunzeleffekt. Und ganz sicher mehr Sonett, als viele meiner eigenen, weil ich als Fetischist diese Form so gerne für alle möglichen und unmöglichen Zwecke missbrauche.

Das Sonett war ursprünglich ein "Klinggedicht" und selbst dieses Kriterium erfüllt deines, denn es schwingt und klingt.
Und hier käme dann mein einziger Kritikpunkt, der mir jetzt auch erlaubt sei, denn der weit auseinanderstehende Reim "Terzette" / "Palette" in den Terzetten funktioniert nicht mehr ganz so gut, weil er durch drei Zeilen und zwei Reime getrennt wird. Das ist etwas unglücklich gewählt.

Aber auch das ist subjektiv und hat meinen Spaß an der Rezension nicht wirklich getrübt.


Nochmals gerne gelesen und besprochen...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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