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Alt 01.04.2014, 22:44   #1
Fenek
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 14.04.2010
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Standard Der fehlende Beweis

„Karl weiß, was er will. Er
hat eine starke Persönlichkeit,
wird es im Leben zu etwas bringen.“
Das waren Vaters letzte Worte. Dann
schlief er für immer ein.

Ich, Karls Bruder, bin zehn Jahre jünger.
Als Vater das über Karl gesagt hatte,
das mit dem entschlossenen Ego, war
ich Patient in der Drogenklinik gewesen,
welche am Rande unserer beschaulichen
Kleinstadt liegt, im Rothaargebirge.

Als man mich für gefestigt hielt, und ich
am Wochenende nach Hause durfte
geriet ich mit Karl darüber in Streit,
wer von uns beiden ich-stärker wäre.

Ich hatte einst auf einem Horrortrip Angst
gehabt, meine Identität zu verlieren
und Vater hatte mich einliefern lassen.

Nun sollte mir Karl zeigen, wie souverän
er war, und ich überzeugte ihn, dass es
nur ginge, indem er sich selber tötete.

Denn sollte in ihm irgendwas dagegen
meutern, sich sträuben, wäre es Beweis
genug für eine Schwäche, nicht Herr
über sich selbst zu sein.

Karl brachte es nicht fertig, sich
umzubringen, und ihn verfolgten
Zweifel an Vaters letzten Worten, wie
böse Dämonen. Daran denke ich
nur noch selten, wenn ich Karl
zur Tagesklinik fahre.

Ich kann mich nicht rund um die Uhr
um ihn kümmern. Ich muss die Firma
leiten, welche Vater ihm überschrieben
hatte. Außerdem ist Karl launenhaft
wie ein Weib geworden.
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"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
so, als hätten wir alles im Blick." (Fenek)

Geändert von Fenek (08.06.2014 um 22:41 Uhr)
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