Thema: Die Wandlung
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Alt 19.04.2017, 19:44   #3
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi Chavi!

Schönes Gedicht, aber deine Tendenz, von einem Schema mitten im Werk in ein anderes zu wechseln, schlägt hier wieder zu.

Du beginnst mit vier Hebern pro Zeile, S1 ist da noch ganz homogen. In S2Z2 schleicht sich die erste Zeile mit drei Hebern ein, und die beiden folgenden Strophen folgen plötzlich dem Heberschema 4-3-4-3. Zudem hat S1 nur einen Reim (Z2/4), alle folgenden haben Reimschema ABAB:

Gelebt hab ich in dieser Stadt
und fühlte mich am Anfang fremd.
Mein Herz wollt heim nach Elbeland
und sehnte sich ganz ungehemmt.

Ich träumte von der Bördeau,
von Wiesen, gelb von Raps,
von Blüten voll von frischem Tau,
vom Schnitzen eines Zauberstabs.

Ach wär ich doch weit fort von hier,
nicht einggeengt in Stein, "eingeengt" nur mit zwei "g" insgesamt!
ich richtete mein Nachtquartier
auf Stroh und Felsen ein.

Dann traf ich einen Wandersmann,
der angekommen war.
Er zeigte mir, wie schön sie sind,
die Wiesen an der Saar.

So schön und beschwingt der Text ist, dieser indifferente Wechsel im Sprachrhythmus mindert den Genuss für musikalische Leser.


Also entweder durchgehend nach Schema 4-3-4-3:

Gelebt hab ich in dieser Stadt
und war am Anfang fremd.
Mein Herz wollt heim nach Elbeland
ganz stark und ungehemmt.

Ich träumte von der Bördeau,
von Wiesen, gelb von Raps,
von Blüten voll von frischem Tau
beim Schnitzen eines Stabs.

Ach wär ich doch weit fort von hier,
nicht eingeengt in Stein,
ich richtete mein Nachtquartier
auf Stroh und Felsen ein.

Dann traf ich einen Wandersmann,
der angekommen war.
Er zeigte mir, wie schön sie sind,
die Wiesen an der Saar.


Oder durchgehend nach Schema 4-4-4-4:

Gelebt hab ich in dieser Stadt
und fühlte mich am Anfang fremd.
Mein Herz wollt heim nach Elbeland
und sehnte sich ganz ungehemmt.

Ich träumte von der Bördeau,
von weiten Wiesen, gelb von Raps,
von Blüten voll von frischem Tau,
vom Schnitzen eines Zauberstabs.

Ach wär ich doch weit fort von hier,
nicht eingeengt in totem Stein,
ich richtete mein Nachtquartier
auf Stroh und harten Felsen ein.

Dann traf ich einen Wandersmann,
der endlich angekommen war.
Er zeigte mir, wie schön sie sind,
die Wiesen an der schönen Saar.


Insgesamt habe ich den starken Eindruck, dass deine Texte runder und harmonischer geworden sind. Es bleiben weniger reimlose Zeilen, die Sprachmelodie ist weich und fließend, der Duktus lebendig.

Sehr gern gelesen!

LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (19.04.2017 um 21:35 Uhr)
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