Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 13.11.2014, 00:04   #87
Terrapin
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 27.08.2014
Beiträge: 469
Standard

Freiheit

Das ganze halbverweste Sein durchbrochen!
Die Klage, die um niedre Leiden stöhnt,
die Freude, die den Schmerz der Seele höhnt:
an's ehrne Tor des Todes anzupochen.

Der Geist zerreibt sich, und die Sinne kochen,
an Schmutz und Tollheit jahrelang gewöhnt...
doch wo die Mahnung zur Vernichtung tönt,
ist jedem Mann der Rettungsweg versprochen.

Nun raffe ich die halberloschnen Flammen
zu letztem, heldenhaftem Tun zusammen,
die Riegel sprengend meiner Kerkerhaft.

Mit meinem Blut den Frieden zu erwerben,
die Freiheit mit des Lebens fliehnder Kraft,
die nirgend ich erblicke denn im Sterben.

Stuttgart, 13. März 1905

Wolf von Kalckreuth

...

.


Der Kreislauf der erblichnen Stunden
drückt dich mit schwerer Müdigkeit;
mit Ketten ist dein Fuß gebunden,
die dich umschließen allezeit,
bis sie mit leiser Traurigkeit
die Stärke deines selbst vernichten:
die Hand sinkt lahm, der Blick wird weit;
denn sehend werden heißt verzichten.

Der Ton, den andere gefunden,
dem deine Seele Leben leiht,
blüht in der Öde deiner Wunden
mit seltsam fahler Farbigkeit.
Er gibt dir flüsternd das Geleit,
wohin sich deine Schritte richten.
Du fühlst nur fremdes Glück und Leid;
denn sehend werden heißt verzichten.

Du denkst der Zeiten, die entschwunden,
verlorner Tage Herrlichkeit.
Doch fehlt die Kraft dir zu gesunden,
es flammt kein Strahl, der dich befreit.
Die Liebe, der du einst geweiht,
dünkt dir ein lästiges Verpflichten -
ein Schauspiel voller Seltsamkeit -
denn sehend werden heißt verzichten.

Ihr Glücklichen, sei euch geweiht
mein traurig Sinnen und mein Dichten...
lebt fort in blinder Seligkeit -
denn sehend werde heißt verzichten.

Wolf von Kalckreuth

...

.

Die Gärten in dem Schoß der großen Wüste,
weit hinter fahlem Sand und Wellenblauen,
wo Sommerwolken duftig niedertauen:
Sie sind die Heimat meiner Sehnsucht, Süßte.

Die Schar der Träume, die mich leuchtend grüßte,
wann ich entschlief im leisen Abendgrauen,
sie ließen jenes holde Land mich schauen
und Sonnenlicht – das zärtlichste und frühste.

Durch den Jasmin verrieseln klare Quellen,
und blaue Winden spiegeln in den Wellen,
die um die Lauben rinnen lautern Scheins.

Und wie die Liebe sorglich uns geleitet,
stand im Gefild ich, das sich prangend breitet –
und du und jene Gärten waren eins.

Wolf von Kalckreuth
Terrapin ist offline   Mit Zitat antworten