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Alt 31.12.2011, 10:14   #5
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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HI, Charly!

Interessant: Ich habe vor 7 Jahren aufgehört zu rauchen, aber mich plagen keine derartigen Traumfantasien. Dahingegen habe ich tagtäglich an den Folgen meiner 24 Jahre angedauert habenden Sucht zu leiden: Hausstauballergie, leicht entzündliche Atemwege, Apnoeschnarchen, asthmatische Lunge, eingeschränktes Volumen, Kurzatmigkeit.

Zum Gedicht: Es gelingt dir vorzüglich, die Gedanken eines einsamen, fast verbitterten Menschem zum ansonsten fröhlichen Jahreswechsel einzufangen. Hier spricht einer, dem das neue Jahr kein Grund zum Feiern mehr ist, aus welchen Gründen auch immer.
Es hat mich tief bewegt, weil es klingt wie etwas, das ich wohl selber dazu sagen würde. Für dich hoffe ich, das Lyrich möge nicht allzu sehr nach dem eigenen Empfinden gestaltet sein!

S1Z4 - Hier habe ich Schwierigkeiten mit dem Sprachrhythmus. Die Zeile klingt irgerndwie passender und dramatischer, wenn man das "jeden" weglässt. Wieder so ein Fall von: Hebungszahl stimmt zwar, aber Zeile wirkt zu lang oder unmelodisch.

Im Gegensatz zu Chavali gefällt mir S2 sehr gut! Ich finde es nicht durchkonstruiert, es unterstreicht eher das Gemetzel des leidigen Menschenspiels mit den versinnbildlichenden Überresten auf dem Altar mannigfaltiger Motive! Sprachlich gelungen. Das "Gedärm" ist reimgeschuldet, sicher. Es klingt fast zu heftig hier im Kontext, aber insgesamt ist die Phrase sehr gut gelungen - ein starkes Bild!

S2Z2 - Ein lyrisches Highlight! "Die Zeit ist zur Verwesung degradiert." Eigentlich unlogisch, da Verwesung ja Zeit braucht, und in so einem gegenseitigen Bedingen eins nicht die Stelle des anderen einnehmen kann - dennoch, man begreift sofort, was gemeint ist! Auch hier: ein starkes Bild!

S2Z4 "der Sterne Wärme" steht hier wohl versinnbildlichend für den Lebenswillen, die noch unerfüllten Sehnsuchten des Geistes und der Fantasie. Problematisch ist, dass die Sterne nicht "warm" wirken. Ihr Flimmern ist kalt und fern und atmosphärenbedingt. Alternative: "solang des Herzens Wärme nicht erfriert."
Auch hier ist das Bild übrigens im Grunde unlogisch, denn Wärme selbst kann per se nicht erfrieren, ohne per definitionem zuvor etwas anderes geworden zu sein, nämlich Kälte. Aber auch hier ist das salopp gesprochen "wurscht" - die Wirkung des Bildes zählt, und die ist klar!

Zuletzt beschreibt die Conclusio die Schicksalsergebenheit eines Menschen, der sich in sein Lebenslos fügt, ohne jugendliche Begeisterung und messianischen Eifer. Er lässt sich das Leben geschehen, ohne Begeisterung, aber auch ohne Groll und Hader. Wäre der Grundkontext kein so depressiver, man könnte es für buddhistischen Gleichmut halten!
Es ist im Grunde - korrigiere mich, wenn ich irre - ein Bewältigungsgedicht: Der Autor schreibt sich die dunklen Gedanken quasi von der Seele, und sind sie erst auf dem Papier, sind sie nicht mehr im Kopf. Eine Art Seelenhygiene, derer ich mich selbst ab und an befleißige.

Dank unserer Gemeinsamkeit, dem Faible für Schwermut und Tiefe, ausgesprochen gern gelesen! Ich hoffe, ich darf dies auch "drüben" lesen - es würde mich freuen!
Gute Besserung, alter Knabe!

LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (31.12.2011 um 10:19 Uhr)
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