Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 31.08.2014, 18:11   #5
Falderwald
Lyrische Emotion
 
Benutzerbild von Falderwald
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Inselstadt Ratzeburg
Beiträge: 9.909
Standard

Servus Erich,

du bist momentan aber sehr hartnäckig...

Ich antworte dir jetzt mal mit der ungeliebten Zitateversion, sonst ist es wieder schwer einen Bezug zu den einzelnen Sinnabschnitten zu erhalten.

Zitat:
Und ehe du wieder eine mittlere Vorlesung mit Widerlegungsargumenten folgen lässt: Dies alles beschreibt MEINEN SUBJEKTIVEN EINDRUCK, ohne Anspruch auf Richtigkeit.
Genau. Und diesen subjektiven Eindruck hast du hier mit einer ebensolchen Vorlesung zum Besten gegeben. Gleiches Recht für alle.

Zitat:
Ich beschreibe hier nicht deine lyrische Intention, sondern nur meinen persönlichen Eindruck von deiner Umsetzung ebendieser, die ich im vorliegenden Fall eben nicht für sehr gelungen halte.
Auch das ist alles richtig, wenn du aber eine solche Behauptung aufstellst, dann kommst du aus dieser Nummer auch nicht mehr so leicht raus.

Zitat:
Du bist sehr eloquent darin, Einwände gleich welcher Art abzuschmettern, und oft genug gebe ich dir sogar Recht darin.
Es kommen Einwände oder Fragen seitens des Lesers und ich versuche diese zu beantworten, so gut ich kann. Das dient auch zu meiner eigenen Klärung.

Zitat:
Aber nicht immer. Es besteht ein Unterschied darin, WAS du mit einem Gedicht aussagen wolltest und WIE gut für den Durchschnittsleser nachvollziehbar du es dann sprachlich tatsächlich umgesetzt hast.
Du bist aber kein Durchschnittsleser und da erwarte ich schon, dass du die Möglichkeit eines breiten Interpretationsspielraumes in Betracht ziehst.
Bevor ich einen Text veröffentliche, wird er von einer anderen person gegengelesen und nur wenn meine Intentionen ersichtlich waren, dann kommt er auch hier rein.

Zitat:
Hier gibt es eben leider an jeder Ecke Möglichkeiten, in der Interpretation falsch abzubiegen. Das beginnt mit der "Du"-Form, die meist benutzt wird, um eine bestimmte Person anzusprechen. Tust du dies hier nun oder benutzt du sie zur Erläuterung eines allgemeinen Umstandes, bei der das "du" quasi alle mit einschließt? Das bereits macht in der Interpretation der letztendlichen Aussage einen eklatanten Unterschied!
Wo liegt das Problem?
Ich habe tausende Gedichte gelesen, wo ich erst einmal um einige Ecken schauen musste, um mich den wahrscheinlichen Intentionen des Autors anzunähern.
Die "Du-Form" kann irgendjemanden oder alle ansprechen, den Erzähler mit eingeschlossen.
Das ist an dieser Stelle völlig irrelevant.
Setz für das "Du" dort einen Menschen, der sich gerade in einem Jammertal befindet, setz es für ein Neugeborenes, was all das Leiden, das das Leben mit sich bringt, noch vor sich hat, setz es ganz allgemein für alle oder den Erzähler selbst, der sein Spiegelbild anspricht, setze Fantasie.

Zitat:
Die nächste Missverständlichkeit lauert in S1Z4: Hier spricht man von "dem,was VOR dir liegt auf deinen Wegen" - ein Orakel? Eine Weissagung, in die Zukunft gerichtet? Hatte der Protagonist bisher ein gutes Leben?
Es ist doch im o.a. Zusammenhang völlig egal, ob der Protagonist (bisher) ein gutes Leben hatte oder vielleicht sogar noch gar keines, weil es an dieser Stelle nur um die Zukunft geht.
Und es ist sehr unwahrscheinlich, dass jemand, dessen Leben weitergeht, nur Glück und Zufriedenheit erlebt. Fast sicher wird das Leben einige harte Schicksalsschläge mit sich bringen, die Leid, Trauer, Schmerzen, Ängste etc. auslösen. (Schopenhauer: Manchmal ist das Nichtsein dem Sein vorzuziehen)
Das ist weder orakelhaft, noch ist es eine Weissagung, das ist a priori eine sehr wahrscheinliche Schlussfolgerung und bildet hier die These in diesem Sonett. Dafür ist das Sonett da, egal wie gewagt diese These auch sein mag.

Zitat:
Das widerspricht der Aussage in S2Z3, wo gesagt wird, dass ihn dieses Schicksal "immerfort durch seine Zeit" begleitet - also eigentlich auch vorher schon.
Nein, das ist nicht richtig, sowohl sachlich als auch sinnbildlich, weil das zweite Quartett einen völlig anderen Umstand beschreibt, nämlich die Ursachen der im ersten Quartett beschriebenen Empfindungen und der dortigen These.
Natürlich begleitet das Schicksal (aber nicht dieses) jeden Menschen auf seinem (weiteren) Lebensweg.
Hier ist es wieder völlig irrelevant, ob er vorher schon einen hatte oder alles noch vor ihm liegt. Das ist immer noch in die Zukunft gerichtet.

Und den Schlägen des Schicksals kann niemand ausweichen, es trifft jeden auf seinem Weg einmal, das lässt sich nicht schönreden oder gar wegreden mit schönen Worten, sondern das ist so: Du kannst das Schicksal nicht verändern, das kann ich nicht, er, sie, es auch nicht, wir können das nicht, niemand kann das.

Zitat:
In S3Z2 wird nicht darauf eingegangen, welcher "Augenblick" von Wichtigkeit da gemeint sein könnte, es fehlt der Bezug: Der Augenblick einer Erkenntnis? Der Augenblick, da alles an üblem Geschick über ihn hereinbricht? Der Augenblick einer Erleuchtung?
Nein, ganz einfach, der Augenblick wo jemand Halt sucht an den "Geländern der Hoffnung", das steht doch da und ist zudem noch zweideutig zu interpretieren, zum einen als den richtigen Zeitpunkt und zum anderen am richtigen "Blick der Augen", der erkennen muss, ob es sich bei diesen Geländern nun um Blender handelt oder nicht, die ihm nur einen Halt vorgaukeln.
Und die Metapher "Geländer" als Vorrichtung, die zum Schutz vor Absturz und zum Festhalten dient, sollte ja eigentlich nicht erklärt werden müssen:

Verzweifelt suchst du Halt an den Geländern der Hoffnung, doch der Augenblick ist wichtig, denn deine Welt ist eine Welt von Blendern.

Zitat:
Der "Augenblick, in welchem er verzweifelt Halt an den Geländern der Hoffnung sucht", erscheint mir sprachlich zu langatmig und etwas zu schwammig, da fehlt eine klare Katharsis.
So ist es auch ja nicht, wie du es beschreibst.

Und wofür wird an dieser Stelle eine "Katharsis", also ein Sichbefreien von psychischen Konflikten und inneren Spannungen durch emotionales Abreagieren, benötigt?

Was sagen denn die Zeilen wirklich aus?

Wenn du verzweifelt bist und du suchst Halt in der Hoffnung, dann pass auf, dass du das a) im richtigen Moment und b) mit dem nötigen Augenmaß tust, denn die Welt ist voll von Geländern, die sich dir zeigen, aber keinen sicheren Halt bieten und damit nur Geländerblender sind.

Zitat:
Wie bereits erwähnt lauert in S3Z3 die nächste Unklarheit: Das Bild von der Welt der Blender, das ihn in der Formulierung dieser Zeile quasi ausklammert, in der folgenden aber mit einrechnet. Ihn, den mit "du" Angesprochenen - denn man vergisst immer wieder, dass du als Autor diese Form hier nur nutzt, um eine allgmeine Weisheit zu verdeutlichen und mit dem "du" ALLE ansprechen willst - was zur Wirrnis beiträgt.
Das klammert ihn gar nicht aus, man muss nur richtig lesen:

"denn deine Welt ist eine Welt..."

Und das betrifft deine Welt ganz genauso wie meine oder unser aller Welt.

Zitat:
Die vage Weisheit des letzten Terzetts erklärt weder, worin diese freiflottierend konstatierte Verblendung (ohne jede Erklärung oder Begründung dazu) nun bestehen soll, weder seine noch die aller anderen, noch geht sie näher auf die Art des "Blickwinkelveränderns" ein, das als Allheilmittel gepriesen wird.
Das ganze auf ein simples "Don't worry - be happy!" zu reduzieren, erscheint mir zu billig. Monty Python's Song "Always look on the bright side of life" trifft es vielleicht eher, vor allem, wenn man die Filmszene dazu kennt und die Ironie dahinter begreift.
Es ist doch völlig egal, von was du dich verblenden lässt, der Verblendungen gibt es viele. Das hatten wir doch weiter oben schon: Religion, Politik, Ideale, Weltanschauung oder gar Selbstmitleid mit dem eigenen Schicksal, immer wird der Blickwinkel dabei verengt. Wenn du geblendet wirst oder dich verblenden lässt, dann siehst du nun mal nicht mehr alles, das bringt eine Blendung so mit sich.
Und wie bitte soll man bei unendlich vielen Schicksalen jetzt auf eine spezielle Art einer Blickwinkelveränderung eingehen?
Letztendlich wird hier auch kein Allheilmittel angepriesen, sondern lediglich die Möglichkeit aufgezeigt, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten und dabei vielleicht eine andere Sicht darauf zu bekommen.

Zitat:
Was also sollst "du" im Angesicht all der "Death Valley - Ankündigungen" tun? Die Perspektive wechseln und so tun, als wäre alles gar nicht so schlimm? Sagst du das dann jemandem am Grab seiner Mutter??? (Nur so als anschauliches Beispiel für die Sinnhaftigkeit solcher Floskeln)
Oder ist mit der "Blickveränderung" etwas anderes gemeint - was leider wiederum in keiner Weise erklärt oder näher erläutert wird?
Nein, natürlich soll man nicht so tun, als wäre alles nicht so schlimm.
Aber um dein Beispiel aufzugreifen: Man könnte vielleicht tatsächlich jemandem, der am Garb seiner Mutter steht sagen, jetzt ist sie wenigstens erlöst von ihren schweren Leiden oder in meinem oder deinem oder unserem Herzen wird sie weiter leben.

Und außerdem traue ich es dem Durchschnittsleser durchaus zu, dass er die Metapher der angebotenen "Blickveränderung" für sich und sein eigenes Schicksal selbst interpretiert.
Was soll ich ihm den da hineinreden?

Zitat:
Und ehe du wieder eine mittlere Vorlesung mit Widerlegungsargumenten folgen lässt: Dies alles beschreibt MEINEN SUBJEKTIVEN EINDRUCK, ohne Anspruch auf Richtigkeit. Andere mögen es anders sehen, aber mich werden auch seitenlange Erklärungen nicht von diesem nun einmal gewonnenen Eindruck abbringen. Schließlich geht es beim Dichten genau darum:
Mittels des Instrumentes der Sprache EINDRÜCKE zu wecken, die - vielleicht, wenn man Glück hat - den Leser erreichen und seine Fantasie schulen und/oder ein Umdenken provozieren.
Siehst du, und genau das ist jetzt unser Dilemma:

Du lässt dich nicht von deiner einmal gefassten Meinung abbringen und bist in keiner Weise bereit, den Blickwinkel zu verändern.

Dann sieh es doch einfach als Schulung deiner Fantasie als Leser.

Zitat:
Ich beschreibe hier nicht deine lyrische Intention, sondern nur meinen persönlichen Eindruck von deiner Umsetzung ebendieser, die ich im vorliegenden Fall eben nicht für sehr gelungen halte. Ich hoffe, du kannst mit dieser Kritik leben, denn eine negative bekommt du ohnehin höchst selten von mir.
Ich kann mit dieser Kritik leben, denn ich weiß, dass dein persönlicher Eindruck subjektiv ist.
Mein persönlicher Eindruck ist aber, dass du in diesem Fall nicht bereit bist, dich intensiv mit meinen Ausführungen zu diesem Text zu beschäftigen, denn er ist eben keine leichte Hausmannskost, die auf dem Buffet serviert wird, sondern einer, den man sich erarbeiten muss, weil er den Leser eben nicht mit der Nase direkt auf die Umstände stößt.

I. Quartett:

These:

Das Leben wird beschissen, so oder so wird das Leid einen einmal einholen. Man weiß um andere schlimme Orte und Zustände, doch glaubt manchmal, dass jene im Vergleich dazu noch wesentlich besser sind und wünscht sich dahin.

II: Quartett:

Antithese (als Gegnüberstellung)

Man kann aber seinem Schicksal und dessen Schlägen nicht ausweichen, weil es immer anwesend ist, es lässt sich nicht leugnen, verneinen oder mit einem Zauberwort verbessern.

I. Terzett

Wer nun verzweifelt ist, sucht sich Halt in der Hoffnung. Wenn man diesen Halt sucht, kommt es auf den richtigen Augenblick und das rechte Augenmaß an, denn die Welt bietet scheinbar viele Lösungsmöglichkeiten für Probleme, von denen die allermeisten aber untauglich sind und die nur Hilfe vorblenden.

II: Terzett

Hier das Fazit:

Entscheidest du dich für die falsche Möglichkeit, bist du festgelegt und somit ist deine Sichtweise eingeschränkt und verblendet.
Wer aber etwas verändern möchte, sollte zunächst einmal seinen Blickwinkel verändern, damit auch die Perspektiven gesehen werden können, die vorher nicht da waren und sich somit durch das Einbeziehen einer anderen Betrachtungweise sich auch neue Aspekte eröffnen lassen.

Das kann nicht schaden und ich lasse mich auch nicht davon abbringen, dass dies richtig ist.

Ich gebe dir ein praktisches Beispiel:

Da ist jemand, der lebt in einer glücklichen Beziehung.
Vorher hatte er eine sehr unglückliche und sie ist für ihn zu einem bösen Trauma geworden.
Anstatt immer nur mit negativen Gefühlen an diese zu denken, denn das belastet ihn ja auch in der neuen Beziehung, betrachtet er seine alte Beziehung jetzt anders.
Er sieht darin nun einen Teil des Weges, den er beschritten hat, um ihn dahin zu bringen, wo er jetzt ist.
Jetzt ist alles gut.
Also war dieser Teil des Weges notwendig und eine Voraussetzung dafür und das ist das Gute daran.
Der miese Weg liegt hinter ihm und war ein Mittel zum Zweck.
Trauma beendet.

So ist das Leben...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



Falderwald ist offline   Mit Zitat antworten