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Alt 09.04.2010, 02:48   #2
Pedro
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Ich habe schlecht geschlafen, ab vier Uhr liege ich auf dem Rücken im Bett und starre die Decke an.
Bilder und Gedanken aus vergangenen Tagen kommen in mir hoch.
Ich saß da auf einem Felsen am Strand und angelte. Angeln war für mich schon immer die beste Entspannung. Es geht dabei nicht in erster Linie darum, dass ich einen großen Fang mache. Ich schaue aufs Meer, rieche die Luft, höre das Rauschen und denke über alles Mögliche nach.
Und dann sah ich sie plötzlich auf einem Felsen sitzen, zwanzig bis dreißig Meter von mir entfernt, als sei sie aus dem Nichts aufgetaucht.
Merkwürdig, dass ich mich nicht besonders wunderte, dass da eine wunderschöne junge Frau saß und aufs Meer schaute.
Ich glaube, es vergingen Stunden. Sie saß immer nur da und schaute aufs Meer. Ich packte mein Angelzeug ein, ging nach Hause, sie schaute hinter mir her. Kein Wort hatten wir miteinander gesprochen.

Am nächsten Tag ging ich wieder an den gleichen Platz, ein leichter Wind wehte, sie war nicht da. Ich lachte ein bisschen über mich selbst, was hatte ich da erwartet, wovon hatte ich geträumt?
Heute hatte ich etwas Glück, fing endlich einmal einen Fisch, der wohl zwei bis drei Kilo wog. Ich packte ihn in eine Plastiktüte.
Dann sah ich sie kommen. Sie ging langsam über den Strand, manchmal durchs Wasser, braun gebrannt, in hellen Shorts, ihre Schuhe trug sie in einer Hand. Eine kurze blaue Bluse hatte sie an, die ein Stück von ihrem Bauch sehen ließ.
Sie kam näher und setzte sich. Ich grüßte, sie nickte, sagte nichts, schaute mich nur nachdenklich an.
Automatisch hatte ich meinen Bauch etwas eingezogen, so gut das möglich war.
Ich versuchte sie möglichst nicht anzustarren, was mir nicht leicht fiel. Welch ein bezaubernder Anblick, als wäre sie in Wirklichkeit gar nicht da, sondern ein Traumbild. Sie saß einfach da und strich sich immer wieder ihre langen Haare aus dem Gesicht.
Als sich unsere Blicke einmal trafen, lächelte sie ein wenig.
Es wurde langsam dämmrig und kühl. Ein leichter Wind kam auf, ich spürte einen Geruch nach Seetang. Ich packte meine Angelsachen ein, hängte mir die Angeltasche über die Schulter.
Als ich mich umdrehte, sah ich sie , sie stand vor mir, trug den Fisch in der Plastiktüte in der Hand, schaute mich kurz an, große blaue Augen hatte sie, und ging dann langsam voraus, immer ein paar Schritte vor mir. Ein Anblick, der mich an alles Mögliche denken ließ. Lange Beine hatte sie und einen attraktiven Hintern. Sie kannte den Weg, wusste, wo ich wohnte.
Der steile Anstieg zum Haus schien ihr nichts auszumachen, ich merkte meine Jahre ein bisschen.
Ich schloss das Hoftor auf, wie selbstverständlich ging sie vor mir hinein, das Gleiche passierte an der Haustür.
Ich war gespannt, wie das nun weitergehen würde.
Sie ging gleich in die Küche und fing an den Fisch zu putzen, legte ihn in eine Form, bedeckte ihn mit Zwiebeln und Rosmarin und schob ihn in den Backofen. Sie fragte mich nichts, es war, als wenn sie schon immer in dieser Küche gearbeitet hätte.
Ich setzte Reis auf den Herd.
Wir hatten immer noch kein Wort miteinander gesprochen, sie schaute mich nur manchmal an und tat alles, dass wir uns in der engen Küche nicht körperlich berührten.
Ich ging dann ins Wohnzimmer und machte eine Flasche Sekt auf, stellte zwei Gläser auf den Tisch und füllte sie.
Sie kam,, schaute sich die Bilder an der Wand an und setzte sich mir gegenüber. Wir stießen miteinander an. Sie lächelte.
Ich erzählte ihr, dass ich aus Deutschland käme, immer drei Monate hier bleiben würde. In Deutschland sei es jetzt kalt, Winter, Schnee, sprach über Arbeiten am Haus und im Garten, dass ich einmal in Concepción an der Deutschen Schule gearbeitet hatte.
Ob sie das überhaupt interessierte, konnte ich nicht feststellen. Sie stand auf, ging ans Regal und schaute sich die Bücher an, nahm ein Buch über die Evolution heraus, setzte sich wieder mir gegenüber in den Sessel, schlug ihre langen Beine übereinander und fing an zu lesen.
Bei so einem Anblick dachte ich im Allgemeinen immer an Bettszenen, diesmal nicht. Ich wunderte mich über mich selber. Sicherlich eine Alterserscheinung dachte ich, ich müsste mir wohl bald Viagra zulegen.
Wir aßen dann zusammen, tranken den Rest Sekt. Sie half mir abzuräumen, wusch dann das Geschirr, ich trocknete ab.
Danach ging sie zur Haustür, ich begleitete sie zum Hoftor, wollte mich von ihr verabschieden, wie das hier üblich ist, mit einem Kuss auf die Wange, sie zuckte zurück.
Dann sah ich ihre typische Bewegung zum ersten Mal, sie hob die Schultern etwas an, versuchte ein mühsames Lächeln, schaute mich an, als wenn sie sagen wollte: „Da kann man eben nichts machen!“
Sie ging den Weg entlang, sah sich nicht einmal um und verschwand.



Ich bin traurig und maßlos wütend. Claudia, die Angst vor Männern hatte, Claudia, die mir viele Fragen beantworten wollte, Claudia, die zu mir gesagt hat, dass sie sich freuen würde, wenn ich wiederkäme, diese Claudia gibt es nicht mehr.
Irgendwelche Unmenschen haben sie vergewaltigt.
Ich erinnere mich an Claudias typische Bewegung, Schultern hoch ziehen, mühsam lächeln, als wenn sie sagen wollte: „Da kann man eben nichts machen!“
Da kann man etwas machen, da werde ich etwas machen, da werde ich mich einsetzen mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen.
Deine Geschichte kenne ich nicht, Claudia, aber ich bin dir begegnet, war mit dir zusammen, wenn auch nur für eine kurze Zeit, war glücklich. Ich weiß, dass du auf dem Weg warst, dich besser zurecht zu finden, dass du dabei warst, dem Traum des Lebens nach Glück etwas näher zu kommen. Das alles hast du nicht erreichen können.
Für dich und auch für mich werde ich versuchen, ein bisschen mehr Gerechtigkeit zu erreichen, auch wenn ich weiß, dass es keinen Anspruch auf sie gibt.

Geändert von Pedro (11.04.2010 um 09:32 Uhr)
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