Thema: Ungedenken
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Alt 20.04.2017, 15:59   #10
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heimkehrerin
 
Registriert seit: 19.02.2017
Ort: im schönen Österreich
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Lieber Erich,


meine VorschreiberInnen haben bereits alles und das Wichtige gesagt, was ich dir hier an dieser Stelle auch sagen möchte - also mache ich es diesbezüglich kurz: auch wenn wir selbst die Spuren, die wir bleibend hinterlassen, nicht wahrnehmen, so sind sie doch da und tief gepflanzt in Herzen Einzelner, in denen etwas vom Erschaffer weiterkeimt und -wächst. Und sei es nur auf stille, unauffällige Weise - wie ein leis-tragendes Wirken unter der Oberfläche. Dessen bin ich mir sicher.

Deine Gedichte wirken in mir seit dem allerersten, das ich von dir vor vielen Jahren gelesen habe. Trotz oder vermutlich genau deshalb, weil sie mir sehr vertraute und nahe Dinge be-schreiben, aber auf eine Weise in Worte gefasst, die nicht "meine" ist. Und das ist, was sie mir so kostbar macht. Ich finde mich in deinen Worten wieder. Wie schön!
Sich selbst will man ja nicht lesen in Wirklichkeit - das kennt man in und auswändig, das ist nicht fremd genug und daher nichts Besonderes.

Zum Gedicht an sich:
du hast mir abgenommen meine momentane Stimmungslage in Worte zu fassen. Dafür ein herzliches Danke! Seit Tagen kreise ich um meine Tief- und Schieflage, setze immer wieder an und verwerfe dann, weil alles zu banal klngt, das ich schreibe. In deinem Gedicht finde ich gewürdigt, was solche Phasen so gewichtig und wichtig zugleich macht. Sie sind Prozesse der Trauer und des Loslassens - also unter all der Schwere und Düsternis dennoch etwas, das Weiterentwicklung und Leben bedeutet.

Wer mit Krankheit oder einem aus dem Gleichgewicht geratenen Körper kämpft, kennt solche Phasen nur zu gut. Der Abbau des Körpers, der Verlust an Kontrolle über seinen Körper...und dann die Frage, wie sieht eine mögiiche Zukunft noch aus? Was habe ich versäumt zu tun, solange ich es noch gekonnt hätte? Habe ich etwa nicht genug getan oder das Falsche? Letztlich sind die Fragen an sich gar nicht so wichtig - sondern das Gefühl dahinter und was es uns mitteilen will über den Stand unserer seelischen Ressourcen.

Solche depressiven Verstimmungen gehören zum Leben dazu wie die Krisen, an denen wir lernen und wachsen und manchmal auch endlich mit uns in Einklang kommen. Und manchmal fühlen wir uns in solchen Zeiten unendlich alleine - dann liegt es an uns selbst, Nähe und Hilfe zuzulassen. Ich glaube, Gedichte sind ein Weg, Nähe zuzulassen, ohne sich dabei aufzudrängen oder zuzumuten (denn das ist oft, was einen davon abhält, in solchen Phasen die Gesellschaft anderer zu suchen). Das Gedicht steht da - bereit, abgeholt zu werden oder einen Leser abzuholen.

Mich hast du momentan damit gerade abgeholt.
Sehr gerne gelesen also! Lass dich dafür drücken!

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"Du musst, wenn du unser Glück beschreiben willst,
ganz viele kleine Punkte machen wie Seurat.
Und dass es Glück war, wird man erst aus der Distanz sehen.”

― Peter Stamm, Agnes
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