Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 03.02.2012, 19:56   #2
Falderwald
Lyrische Emotion
 
Benutzerbild von Falderwald
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Inselstadt Ratzeburg
Beiträge: 9.908
Standard

Hallo Onkie,

also ich empfinde den Text nicht als allzu lang. Brauchst dich also nicht zu entschuldigen.
Auch neben den langen Balladen der Alten gab und gibt es eine Menge Gedichte, die im Umfang länger sind.
Man braucht eben immer so viele Strophen, bis man niedergeschrieben hat, was man zu sagen hatte.

Tatsächlich findet sich Anfang der vierten Zeile in der ersten Strophe eine Unregelmäßigkeit in der ansonsten ordentlichen Metrik. (siehe auch Kommentar von Lipiwig)
Du könntest "gleichsam" (Xx) z.B. gegen "dazu" (xX) austauschen und schon wäre das kein Thema mehr.

Der Text ist originell und wendet sich an einen Schöpfergott, der hier als "himmlischer Maler" agiert.
Empfehlungen an diesen sollten also gut durchdacht sein.

Ich denke, wir müssen uns nicht lange bei den ersten vier Strophen und der Deutung der verwendeten Metaphern aufhalten, denn hier wird quasi die Schöpfungsgeschichte wie die Schaffung eines Bildes erzählt.
Ein wenig aus dem Rahmen fällt dabei die "Konstruktion eines schönen Quarzes".
Das widerum finde ich aber sehr originell, denn irgendwie muss ja die Erschaffung eines Planeten mit fester Oberfläche dargestellt werden.
Es stört also das Gesamtbild nicht.

Kommen wir zur letzten Strophe, die m. E. die Kernaussage des Textes darstellt, zumal bisher von der im Titel versprochenen Empfehlung noch nichts zu lesen war.

Zitat:
Zitat von OnkieIIV
Erst fängt er an, Geschöpfe zu erschaffen,
Dann sitzt er da und malt sie rabenschwarz.
Drum sei gesagt zu all den edlen Pfaffen:
Er male besser Gelb in die Giraffen,
Und bleibe bei der Konstruktion von Quarz.
Die ersten beiden Zeilen bilden den Abschluss der vorher erzählten Geschichte, obwohl sie am Anfang anknüpfen.
Malte er zunächst die erschaffenen Geschöpfe einsam aus, so entschied er sie am Ende für die Farbe Schwarz.
Das interpretiere ich als schlechtes Zeichen und setze das synonym mit der Sterblichkeit der Geschöpfe und den Unheilszustand, in den jeder Mensch als Nachkomme Adams hineingeboren wird, also die Belastung mit der Erbsünde.

Derjenige, der davon profitiert, ist der Klerus, also die gesamte Pfaffenschaft, weil diese ja ihren Seelenrettungspflichten nachgehen müssen und notfalls auch missionierend tätig sind.
Und da sie ja über die besten Connections zu ihrer Gottheit verfügen, sind sie auch der richtige Adressat für eine Empfehlung, die da lautet, der himmlische Maler soll nicht alles nur in schwarzweiß einteilen, sondern auch besser ein wenig Farbe ins Spiel bringen, denn es gibt nicht nur die beiden Extreme Himmel und Hölle, sondern noch eine ganze Menge dazwischen.

Und da die Gottheit dieser Religion dem Leben und seinen Geschöpfen gegenüber so zwiegespalten gegenübersteht, möge sie doch in Zukunft besser bei der Konstruktion von Sonnen- und Planetensystemen bleiben und künftig Lebensformen vermeiden, die sich in einer an sich feindlichen Umwelt nur durch die Aufnahme der Lebensenergie anderer Wesen selbst für eine Weile die Existenz erhalten können.

Zitat:
Zitat von Schopenhauer
„Nun ist diese Welt so eingerichtet, wie sie sein mußte, um mit genauer Not bestehen zu können. Wäre sie aber noch ein wenig schlechter, so könnte sie schon nicht mehr bestehen.“
Was auch ein schönes Schlusswort darstellt.

Ein origineller Text...


Gerne gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald


Hi Lipiwig,

du fragst, wo der freie Wille bleibt?

Den braucht man nicht extra zu erwähnen, denn der wird von der Kirche nicht nur anerkannt, sie hat ihn als Notwendigkeit erfunden, weil sonst ihr ganzes System nicht funktionieren könnte.
Wenn der Mensch keinen freien Willen hätte, so wäre er für seine Handlungen im Leben vor der richtenden Gottheit nicht zur Verantwortung zu ziehen.
Also ist dieser freie Wille eine zwingende Voraussetzung für die himmlische Gerichtsbarkeit.

Wir besitzen aber nicht wirklich einen freien Willen, wie Schopenhauer eindeutig beweisen konnte...

Ich z. B. könnte mich niemals willentlich dazu entscheiden, an etwas zu glauben, von dem ich zutiefst überzeugt bin, daß es nicht existiert.
Vorspielen könnte ich das sehr wohl, wenn ich dazu gezwungen wäre.
Aber das bliebe immer nur eine Vortäuschung.


Liebe Grüße

Falderwald
__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



Falderwald ist offline   Mit Zitat antworten