Thema: Lebensabend
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Alt 12.02.2018, 16:13   #14
Sufnus
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Zitat von Erich Kykal Beitrag anzeigen
Es ist mehr ein inneres Aufwallen, in dem mehrere Hirnregionen sich synchronisieren, als ein Konstruieren.
Dein Statement beschreibt wirklich sehr gut den Prozess der Inspiration, dieses nicht wirklich steuerbare Element der poetischen Idee. Die Alten hat dieses Faktum zur Sichtweise angeregt, dass der Dichter nur ein Gefäß für dämonische Mächte sei, die aus seinem Mund orakelten. Neuzeitlichere Betrachtungen sehen wohl eher den Einbruch des Unbewussten in die Sphäre des Bewussten oder eine jähe Überaktivität assoziativer Hirnareale am Werk.

Im Hinblick auf dieses Phänomen zerfällt die Welt der Dichter nun in die Gruppe derer, die ihre Leistung darin sehen, den Ansturm der Ideen auszuhalten und nutzbar zu machen und die Gruppe derer, welche die geduldige, wochen-, monate- oder jahrelange Puzzlearbeit am Gedicht als den Weg zum Erfolg definieren. Rilke gehört klar in Gruppe 1, auch Kafka und Ingeborg Bachmann finden wir hier. Kafka erklärt: "Selbstvergessenheit ist erste Voraussetzung des Schriftstellertums". Und Bachmann schreibt: "Ich habe aufgehört, Gedichte zu schreiben, als mir der Verdacht kam, ich 'könne' jetzt Gedichte schreiben, auch wenn der Zwang, welche zu schreiben, ausbliebe".

Edgar Allan Poe ist hingegen eindeutig in Gruppe 2 zuhause, wenn er in seinem Essay "The Philosophy of Composition" das Schreiben eines Gedichts (am Beispiel von "The Raven") als eine präzise und planvolle Arbeit beschreibt, vergleichbar der Lösung eines mathematischen Rätsels.

Letzten Endes geht es bei diesen beiden Sichtweisen wohl um die Frage nach der Autonomie des Dichters.

Der intuitive, nicht-planende Dichter kann sich, wenn alles gut geht, von äußeren Erwartungshaltungen und Konventionen lösen, gewinnt also eine Autonomie für das fertige Werk; dies allerdings um den Preis des Ausgeliefertseins an die Intuition. Die Schreibblockaden und schöpferischen Stockungen im Werk von Rilke, Kafka oder Bachmann sind deutliche Beispiele für diesen zu zahlenden Preis. Der planvoll agierende Dichter gewinnt demgegenüber die Autonomie für den Prozess der Werkentstehung, losgelöst von metaphysischen Intuitionen ist er in der Welt verankert. Der Preis, den er zahlen muss, ist aber, dass das fertige Werk sich an seiner Welt-haltigkeit messen lassen muss. Der intuitive Künstler ist ein Verkünder des Schönen, der planvolle Artist ist ein Vermittler zwischen Schönheit und Welt.
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