Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 02.01.2012, 18:19   #11
Chavali
ADäquat
 
Benutzerbild von Chavali
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Mitteldeutschland
Beiträge: 13.001
Standard

Hallo wüstenvogel, hallo zusammen,

ich erlaube mir mal, ein Vorwort des Herausgebers des Jahrbuches der Lyrik 2005,
Christoph Buchwald, zu zitieren:

Zitat:
Was ein gutes oder gelungenes Gedicht ist, ist so allgemein und pauschal nicht zu sagen. Eine normative Poetik war schon vor 200 Jahren ein dubioses Unterfangen. Nicht umsonst ist Georg Lukács, der das als letzter (für den Roman) versucht hat, damit jämmerlich versackt im ideologischen Sumpf. Für schlechte Gedichte dagegen gibt es deutliche Anhalts*punkte: schiefe Bilder, ungenaue Sprache, Denk- und Sprach*klischees, Bestätigung und Verdoppelung des Allzu*bekann*ten. Alarmsignale sind z.B. ungenaue Wie-Ver*gleiche, platte Metaphern, beliebige Zeilen*brechungen, Verbin*dungen von Abstraktem und Konkretem wie z.B. „im Spinnennetz meines Vergessens“, romanti*sierendes Poeteln besonders bei Liebes*gedichten, ideo*logische Phrasen*drescherei oder platte Nachahmung. Wer heute noch so dichtet wie der Freiherr Joseph von Eichendorff 1812, hat nicht alle Tassen im Schrank. Die Welt sieht anders aus inzwischen.
Das immer wieder Wunderbare an gelungenen Gedichten ist, daß sie mit den Mitteln der Sprache etwas ausdrücken, etwas formulieren können, was wir ›irgendwie‹ eher vage und gefühlsmäßig geahnt haben, aber nie wirklich fassen, festhalten, uns bewußtmachen konnten: ein Lebensgefühl, eine Zeitstimmung, einen komplexen Denkzusammenhang. Daß sie ein Bild oder einen Klang dafür gefunden haben, was wir immer schon über die Welt wissen wollten, aber nie zu denken wagten.

Christoph Buchwald · Jahrbuch der Lyrik 2005
Ich meine, das spricht für sich und die heutige Auffassung von Lyrik.
So lange die Hrsg. eine solche Meinung vertreten - und da ist kein Ende von abzusehen -
sind hingeklatschte Worte als *Kunst* aufzufassen.
Hier ein Beispiel:

Zitat:
Das erste Gedicht in der Geschichte des Jahrbuchs der LyrikJahrbuch der Lyrik 1 · 1979 – ist von Hajo Antpöhler:

ENDE MÄRZ,
flach die Gegend,
schön so,
auf ner Wiese
steht noch ne
Kabelrolle.
Gedicht? Wo?
Ich versteh es nicht. Ihr?

Verständnislose Grüße,
Chavali




__________________
.
© auf alle meine Texte
Die Zeit heilt keine Wunden, man gewöhnt sich nur an den Schmerz

*
Chavali ist offline   Mit Zitat antworten