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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 15.07.2011, 09:03   #1
Galapapa
Galapapa
 
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Standard Rückwärts eingeparkt

Schon lang hab ich meinem Schicksal verziehen,
ich hab mich gefügt, hab den Streber gemacht.
Es gab keinen Weg mehr, um weiter zu fliehen.
saß weinend am Fenster so manch kalte Nacht.

Wer hat meine Sehnsüchte jemals verstanden?
Die Träume erstickten in Realität.
Es waren die Zwänge, die schließlich uns banden;
die Zwangsjacke war aus Verpflichtung genäht.

Doch habe ich nun meine Lücke gefunden,
bin einsam an meiner Verzweiflung erstarkt,
hab Angst vor dem eigenen Mut überwunden
und rückwärts mein Leben dort still eingeparkt.

Geändert von Galapapa (17.07.2011 um 10:22 Uhr)
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Alt 15.07.2011, 23:14   #2
Dana
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Lieber Galapapa,

bevor ich weiter schreibe, will ich dir meinen ersten Impuls verraten:

Mir fiel das Sprichwort ein: "Aus der Not eine Tugend machen."

So spontan ausgerufen, hört es sich vielleicht oberflächlich oder gar ironisch an.
Je länger ich darüber nachdenke, kann eine solche "Umkehrung" eine sehr kluge und mutige Entscheidung sein.

Ich habe so viele Gedanken dazu, dass es mir kaum gelingen wird, sie geordnet zu schreiben ohne den Rahmen zu sprengen. Zugleich jedoch werden sich viele, sehr viele in deinen Versen selbst erkennen. Es ist ein Großteil der Lebensrealität, wenn man ehrlich mit sich selbst umgeht.


Schon lang hab ich meinem Schicksal verziehen,
ich hab mich gefügt, hab den Streber gemacht.
Es gab keinen Weg mehr, um weiter zu fliehen.
saß weinend am Fenster so manch kalte Nacht.

Das lyr. Ich betrachtet sein Leben rückwärts. Es erkennt das "brave Kind", dass dem begonnenen Weg gefolgt ist, zugleich bemüht, die Bedingungen auf dem Weg zu erfüllen, gut zu erfüllen. Der eingeschlagene Weg bot wenig an, ohne es zugleich "Abwege" zu nennen - das tut man also nicht.
Die Trauer darüber findet unausgesprochen und in Einsamkeit statt.

Eine feine lyrische Strophe.



Wer hat meine Sehnsüchte jemals verstanden?
Die Träume erstickten in Realität.
Am Schluss waren Zwänge es, die uns verbanden;
die Zwangsjacke war aus Verpflichtung genäht.

Hier wird das Ausmaß der unterdrückten Träume klar ausgesprochen. Die Gründe dafür sind vorgegeben: Zwänge (Zwangsjacke) aus Verpflichtung genäht.
Es kommt keine pure Traurigkeit zur Sprache. Wer Verantwortung übernimmt, wer Versprechen einhält, denkt nicht immer zuerst an sich.


Doch habe ich nun meine Lücke gefunden,
bin einsam an meiner Verzweiflung erstarkt,
hab Angst vor dem eigenen Mut überwunden
und rückwärts mein Leben dort still eingeparkt.

Die gefundene "Lücke" kann man fast mit dem Glück auf einem überfüllten Parkplatz vergleichen, wenn auch nicht ausschließlich.
Für mich kommt hier die zur Tugend gewordene Not zum Tragen. Diese kann man nicht einfach machen, es gehören Erfahrung, Ehrlichkeit und Mut dazu. Mut, sich das einzugestehen und Mut, gerade darum, das Beste daraus zu machen. Für mich liegt darin etwas Tröstendes. Wer weiß schon von sich, wenn er sich den "Zwängen" nicht ergeben hätte, wenn er seinen Träumen nachgegangen wäre, ob danach nicht ein noch viel nachdenklicheres Gedicht entstanden wäre.


Ein wunderbares Gedicht, das lange nachwirkt und vor allem nachdenken lässt.

Liebe Grüße
Dana
__________________
Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 17.07.2011, 08:32   #3
a.c.larin
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guten morgen galapapa,

der titel "rückwärts einparken" klingt im ersten moment profan - doch das gedicht selbst hat einiges an poesie zu bieten.

die erkenntnis, dass man sich - wohl oder übel - nach der eigenen decke strecken muss, ist eine ernüchterung, an der wahrscheinlich niemand vorbeikommt im leben....

nichtsdestotrotz muss "rückwärts einparken" (vor allem leise und ohne dabei weiteren blechschaden zu erzeugen) etwas, das erst mal erlernt werden muss - und wenn das dem Lyrich gelungen sein sollte, so darf dem ruhig einmal anerkennung gegeben werden! ich ziehe also meinen hut und sage: chapeau!

die sehnsüchte eines anderen menschen verstehen und darauf richtig reagieren kann man wohl erst, wenn man dessen innere landschaft kennt- und das geht meist nur, wenn man darüber spricht.
möglicherweise erzeugt ja ein mangel an gesprächen in der tiefe immer wieder "verkehrsunfälle" und "parkschäden" ?

ich frage mich auch, inwieweit jeder schon selber darüber bescheid weiß,
was ihn eigentlich geformt und geprägt hat und wie gut er es nach außen transportieren und kommunizieren kann.

wir glauben immer, dass das, was wir denken und fühlen, unsere persönliche sicht des lebens, allgemeingültig und selbstverständlich ist - aber genau diese haltung führt oft zu großen missverständnissen - und in der folge zu bösen verwundungen.

die regel lautet eigentlich: "der andere ist anders - darum heißt er ja so."
und noch etwas ist in dem zusammenhang interessant: nur weil man ein auto hat, heißt das noch lange nicht, dass man auch schon fahren kann!

deshalb müssen wir alle erst lernen, mit unserem eigenen lebensgefährt und ebenso mit unseren lebensgefährten umzugehen!
dieses erlernen der fahrpraxis kann manchmal recht mühsam und schmerzhaft sein.
klug ist es wohl, wenn man anfangs nicht allzu schnell unterwegs ist, denn bei langsamem tempo lassen sich fehler noch leichter unfallfrei korrigieren........


für die erste strophe hätte ich noch einen verbesserungsvorschlag, was hieltest du von der variante:

"....saß weinend am Fenster in manch kalter Nacht. "

gerne gelesen und philosophierend weitergesponnen,
larin

Geändert von a.c.larin (17.07.2011 um 08:39 Uhr)
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Alt 17.07.2011, 12:30   #4
Galapapa
Galapapa
 
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Liebe Dana,
hab herzlichen Dank für Deinen Kommentar mit Deinen Gedanken und Deinem schönen Lob!
"Aus der Not eine Tugend machen" sehe ich hier im Zusammenhang nur als einen Weg, der mit Sicherheit nicht der schlechteste ist.
Das lyrische Ich hat jedoch im vorliegenden Text, meine ich, einen anderen Weg gewählt.
Die Enttäuschung nach der jugendlichen Euphorie anzunehmen und daraus eine neue Perspektive zu erzeugen, das kann nicht jeder und vor ihnen ziehen wir biede, das lyrische Ich und ich selbst den Hut.
Ein anderer Weg ist, die "Not" anzunehmen und auszusitzen, den richtigen Augenblick abzuwarten, bis man seine Chance bekommt. Nur muss man sie dann auch erkennen, sonst endet diese Strecke in der Sackgasse Frustration und Verbitterung.
Das lyrische Ich hat die behütete Kindheit mit vielen Wünschen, Vorstellungen und Träumen verlassen und ist mit ihnen voll Eifer und Zuversicht ins Leben gestartet, das es mit fliegenden Fahnen im Sturm erobert und nun selbst in die Hand genommen hat.
Die Realität ist wie eine Drehbank, die sich das wilde Holz zurechtdrechselt. Zu weiches Holz kann dabei brechen; Naivität, Blauäugigkeit aber auch Unschuld sind die fallenden Späne, das entstandene Werkstück kann sich so der Verantwortung stellen - oder auch nicht.
Einen Teil seiner Träume oder das, was von ihnen schließlich übriggeblieben ist, trägt man durchs ganze Leben, in den noch lebenden Erwartungen oder in einer verzweiflungsgeborenen Phantasie.
Gerade diese unrealistische Traumwelt kann eine Lücke sein, eine scheinbare aber unbefriedigende und traurige Lösung ohne die nötige Ehrlichkeit sich selbst gegenüber.
Das lyrische Ich hat eine andere Lücke für sich gefunden, hat den Strom, der es mitgerissen hat mit den Resten seiner Träume verlassen und hat sich still, heimlich und leise in eine Ecke verkrochen, in der das Treiben an ihm vorüberzieht und in dem sich seine Anforderungen selbst stellen kann.
Dein Vergleich mit dem überfüllten Parkplatz passt hier sehr gut.
Sich nicht mit seinen Erwartungen ans Gewohnte zu klammern, sondern die Einsamkeit dieser Ecke anzunehmen, dazu braucht es den Mut, mehr aus dem zu machen, was einem noch bleibt.
Nochmals danke verbunden miteinem lieben Gruß an Dich!
Galapapa

Liebe larin,
wieder mal von Dir zu hören bzw. zu lesen hat mich sehr gefreut. Danke für Deine philosophischen Gedanken zu diesem Text und nicht zuletzt für Dein Lob!
Sehr wahr und wichtig an Deinen Worten ist, dass ein Sich-verstehen voraussetzt, dass man sich mit dem Gegenüber auseinandersetzt, miteinander redet. Nur so ist es möglich, die Sehnsüchte des Anderen zu erkennen und zu verstehen. Viel zu viel geht durch die Oberflächlichkeit, deren Untergrund wohl oft auch Egoismus ist, aneinander vorbei und verloren.
Sich selbst und seine, wie Du es nennst "persönliche Sicht des Lebens", auch einmal zurückzustellen und sich auf die Bedürfnissen des Anderen zu konzentrieren, das erfordert viel Beherrschung und Gespür. Gerade sehr junge Menschen haben hier meist ein großes Problem.
Es braucht Zeit und Geduld, um zu lernen, wie Du sehr richtig angemerkt hast.
Die Prüderie in den 50er und 60er Jahren, in denen ich auch aufgewachsen bin, hat nicht selten zu übereilten Entscheidungen und später zu zerstörten Beziehungen geführt.
Seine persönliche Lücke zu finden, um aus dem Dilemma Lebenserwartung und Realität herauszukommen, ist nicht leicht. Ebenso schwierig kann es sein, in die gefundene Lücke dann auch einzuparken, das Gewohnte loszulassen.
Wenn Lebensträume zu Träumereinen verkommen, besteht die Gefahr, dass die Ecke, in die man sich zu verdrücken versucht, mit der Realität nichts mehr zu tun hat. Aus einem solchen Zustand wird man kaum viel Befriedigung und Kraft für die Bewältigung des Lebens schöpfen können.
Oft bleibt nur, die Verantwortung auszusitzen, um, aus ihr entlassen, dann eine Nische für sich fernab vom alten Leben der Zwänge zu finden und zu erobern. So lässt sich auch auf dem Geleisteten bequem ruhen und man braucht sich nur noch Anforderungen zu stellen, die man sich selber aussucht.
Dein Vorschlag "in manch kalter Nacht" anstelle von "so manch..." hat mich zu Nachdenken gebracht. Kann es sein, dass die Verstärkung "so manch" im österreichischen Sprachraum wenig verbreitet ist?
Ich habe das "so manch" bewusst gewählt, weil ich damit eben auf die doch recht hohe Zahl von solchen Nächten hindeuten wollte.
Im Süddeutschen Raum ist das eine recht gängige Formulierung, wenn nicht in ganz Deutschland. Sie mag in Deinen Ohren aber trotzdem ungewohnt klingen.
Ich könnte mir "durch" auch gut als Alternative vorstellen, sehe aber keine großen Unterschiede in der Aussage und werde Deinem Vorschlag folgen.
Nochmals vielen Dank und ganz herzlichen Grüße an Dich!
Galapapa
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