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Alt 07.10.2014, 19:57   #1
Hans Beislschmidt
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Standard Gibt es einen Gott?

Gibt es einen Gott?


„Gibt es einen Gott?“ fragte er und ich musste mich weit zu ihm hinunterbeugen, um das letzte Wort zu verstehen. Er lag da wie ein Bündel Knochen, welches mühsam durch ein paar Hautlappen zusammengehalten wurde. Ich versuchte möglichst nicht auf seine Arme und Beine zu schauen, die spitz und seltsam abgespreizt auf dem Laken lagen. Vielmehr konzentrierte ich mich auf sein Gesicht, das zwar fahl und eingefallen war, sich aber mir mit einer hohen Konzentration und Dringlichkeit entgegen wandte.

„Ja“, sagte ich, ohne lange zu überlegen und wusste sofort, dass er meine Lüge durchschaute. Ich hatte ihn aber falsch eingeschätzt, denn er begann meine Worte zu verarbeiten, indem er seinen Kaumuskel angestrengt bewegte.

„Dann hol mir diesen Pastor“ sagte er auf einmal und gleich darauf - „nicht, dass du denkst, ich hätte Schiss hier den Abgang zu machen, aber ich habe mein ganzes Leben auf der falschen Seite gelebt. Und jetzt beeil dich. Geh! Schnell“.

Ich wusste natürlich, dass ich keinen Pastor mehr auftreiben könnte, um zwei Uhr früh. Jörg, die Nachtwache, war auch ziemlich ratlos.

„Hast du den Schlüssel für die Kapelle?“ fragte ich Jörg.

Er zögerte, als er sagte „du kannst ja mal diesen hier probieren, möglicherweise passt er“.

Ich fuhr mit dem Aufzug nach unten und probierte den Schlüssel. Die Tür zur Kapelle öffnete sich langsam und ich ging gleich in den hinteren Technikraum. Ich überlegte kurz welche Amtsrobe ich nehmen solle, dann entschied ich mich für die katholische. Rot-weiß-gold fand ich in diesem Moment feierlicher und angemessener, als das puritanische, triste schwarz.

Ich nahm die Robe und lief schnell zurück zum Aufzug.

Jörg sagte„ ich hoffe, du weißt, was du tust“.

„Das weiß ich ganz genau“, sagte ich und betrat leise das Zimmer von Dieter Weiland. Ich streifte die Robe über den Kopf und näherte mich dem Bett. Dieter konnte keine Banane mehr auf 30 cm Entfernung erkennen, der Tumor hatte die Macht über seinen Kopf längst übernommen. Ich nahm behutsam seine Hände und fing an etwas auf Latein zu murmeln. Das kleine Latinum war schon eine Weile her aber ich hatte mir bei den Gottesdiensten ein paar Worte gemerkt und ich fing an leise zu beten …. dominus … und …. in nomini padre - dazwischen senkte ich die Stimme und murmelte sehr leise. Ich fürchtete, er würde den Betrug bemerken aber sein Gesicht schien sich zu entspannen und gerade, als ich ihm ein Kreuz mit seiner Waschcreme auf die Stirn strich, erschien ein blaugrünes Licht direkt vor mir, welches sich meiner Hand bemächtigte und mich zu führen begann. Gleichzeitig setzte eine Sprache ein und meine Stimmbänder fingen an eigenmächtig zu beten. Es war irgendeine Liturgie auf Latein und das Licht breitete sich weiter und weiter aus, bis es das Gesicht von Dieter ganz umschloss. Ein leichtes Lächeln lag jetzt auf seinem Gesicht und seine Augen schienen einen festen Punkt zu fixieren. Ein paar Sekunden später entkrampfte sich der abgemagerte Körper und die Augen verloren langsam ihren Glanz. Das seltsame Licht verblasste und ich spürte wieder meine Hand, die leicht zitterte.

„Hast du das gesehen?“, fragte ich Jörg.

„Was?“, fragte er.

„Na das Licht“, sagte ich aufgebracht.

„Was fürn Licht – spinnst du jetzt oder was?“

Ich nahm die Robe unter den Arm und verließ das Zimmer.

Im Hinausgehen sagte ich leise, „ja, es gibt ihn“.
__________________
chorch chorch
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