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Stammtisch Gesellschaft, Politik und Alltag

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Alt 14.03.2017, 10:24   #1
Walther
Gelegenheitsdichter
 
Registriert seit: 09.11.2009
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Beiträge: 3.210
Standard Man sinnentfremdet selbst Gedichte

Man sinnentfremdet selbst Gedichte


Ein jeder Mensch hat eine Birne.
Sie leuchtet nur nicht immer hell.
Der Hohlraum hinter seiner Stirne
Ist oftmals steter Dummheit Quell.

Sie rinnt aus Fingern und aus Mündern,
Verschmutzt die Umwelt noch und noch.
Sie fliegt in Körnern, Vierzigpfündern.
Sie häuft sich auf. Sie schlägt ein Loch.

Die Umwelt staunt und schüttelt Köpfe.
Sie schweigt. Sie schreit. Sie kämpft. Gibt auf.
Der Schwachsinn, er gebiert Geschöpfe
Und ändert oft der Welten Lauf.

Man sieht die Zeiten wieder dunkeln:
Die Dummheit setzt sich laut in Marsch.
Am Stammtisch sieht man Fratzen schunkeln,
Das Denken sitzt, so scheint’s, am Arsch.

Auch viele Kluge sind vernagelt,
Die Angst macht Menschen tumb und dumpf.
Das hat die Zivilisation verhagelt:
Was rauskommt, nennt man braunen Sumpf.

Man lernt nichts mehr aus der Geschichte.
Man hört nicht auf ein Argument.
Man sinnentfremdet selbst Gedichte,
Weil man die Grenzen nicht mehr kennt.
__________________
Dichtung zu vielen Gelegenheiten -
mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt
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Alt 17.03.2017, 20:12   #2
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Moin Walther,

das ist eine heftige Abrechnung, aber sie wird an keiner Stelle konkret, so weiß der unbedarfte Leser die Zeilen nicht richtig einzuordnen.

Letztlich hat jeder, der Lyrik (und Prosa) schreibt, etwas mitzuteilen und das kann immer nur aus der Perspektive des Autors heraus geschehen.

Ich will damit sagen, dass jede Lyrik ihre Berechtigung hat, auch wenn manche ein "falsches" Ideal verherrlicht, wobei falsch wieder relativ ist, denn es kommt darauf an, auf welcher Seite man steht, bzw. wie eine Gesellschaft geprägt ist.
Und wer sagt uns, was falsch oder richtig ist, solange die Gesetze eingehalten werden?

Es ist immer die individuelle Betrachtungsweise und das Urteil derjenigen, die glauben, darüber urteilen zu können.

Ich habe mit solchen Texten meine Probleme, denn sie erheben den Zeigefinger zu einem hochmoralischen Standpunkt und stellen sich über die Dinge.

Man muss in deinem Text nur ein Wörtchen austauschen und schon erhält er eine ganz andere Bedeutung.

Wenn man anstatt "brauner Sumpf" "roter Sumpf" oder "Glaubenssumpf" setzt, dann verkehrt sich das alles.
Nicht, dass ich dir das hier unterstellen möchte, doch ich persönlich wäre vorsichtig mit solch pauschalen Äußerungen.

Es gibt eine politisch rechte Seite und eine linke Seite.
Die Mitte kann (und sollte) dementsprechend also nur aus bestimmten Eigenschaften dieser beiden Seiten bestehen.
Deshalb muss noch lange nicht alles falsch sein, was von rechts oder links kommt, nur aus dem Grunde, dass es eben von einer dieser Seiten kommt.
Wenn eine Seite in der Mitte das Übergewicht bekommt, ist sie keine Mitte mehr und das Gleichgewicht bleibt nicht länger gewahrt.
So trägt die Mitte auf jeden Fall eine große Mitverantwortung, wenn eine der anderen Seiten sich wieder lautstark in den Vordergrund stellt.
Und Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall, was sich immer wieder bewahrheitet hat. Und das gilt für alle.

Auch der Titel, "Man sinnentfremdet selbst Gedichte", ist irreführend und widerspricht sich selbst.
Denn selbst wenn man der Aussage eines Textes nicht zustimmen kann oder will, so transportiert er trotzdem einen Sinn, denn er verfolgt ja einen bestimmten Zweck.

Und ich wüsste nicht, dass es irgendein Gesetz gibt, was die Lyrik darf und was sie nicht darf.

Viele Texte haben zu ihren Zeiten große Anerkennung gefunden und das waren nicht immer nur gute Zeiten.

Ich kann mir schon denken, worum es dir bei dieser Sache geht, aber viele andere hier können das wahrscheinlich nicht, weshalb sie wohl auch ein bisschen ratlos vor diesem Text stehen werden.


In diesem Sinne gern gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald


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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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Alt 18.03.2017, 17:26   #3
Sanssouci
Flötist
 
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Beiträge: 198
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Hi Walther!

Vielleicht müsste man nur die Überschrift ändern: Deutschland 2017.
Spätestens ab S 4 ist doch klar, worum es geht.

Ich kann deine Gedanken sehr gut nachvollziehen.

Sorgenvolle Grüße
Sanssouci
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Alt 03.04.2017, 09:41   #4
Walther
Gelegenheitsdichter
 
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Ort: Im Wilden Süden
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Moin Falderwald, hi sanssouci,

leider hat mich die zusendungswelle beim meinem projekt zugetextet.com etwas überrollt, so daß ich etwas zeitverzögert kommentieren muß. 296 zusendungen sind ein berg. ich habe über 24 stunden gebraucht, um die texte runterzuladen und zu ordnen. wahnsinn.

in der tat liegt sanssouci richtig. es geht um deutschland 2017. die frage, an welcher stelle bereits mit welchem zungenschlag politisch gedichtet wird, ist virulent. wir hatten das in diesem forum. wir hatten das in zwei anderen foren. aus einem sind die rechtsausleger verschwunden (wie hier), aus einem bin ich gerade nach über fünf jahren mitgliedschaft wegen rechtslastigkeit ausgestiegen.

der kampf um freiheit und demokratie muß überall tatkräftig geführt werden - unser neuer Bundespräsident hat ganz recht.

danke fürs reinlesen und kommentieren!

lg W.
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Alt 03.04.2017, 18:48   #5
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Beiträge: 9.907
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Moin Walther,

genau das ist der Punkt, um den es sich dreht.
Der Text spricht aus deinen persönlichen Erfahrungen in diversen Foren, deshalb schrieb ich ja, ich kann mir schon denken, um was es dir geht.

So wären sowohl der Titel als auch die Argumentation um "Deutschland 2017" auch m. E. völlig fehl am Platze, weil der Text sich hier eben nur um eine bestimmte Minderheit dreht, nämlich um die Dichter, die sich eines gewissen Themas bemächtigen.

Deine Aussagen waren mir völlig klar, daran hatte ich weder Zweifel noch Kritik geübt, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass Titel und Fazit des Textes meiner Meinung nach eine unlogische Behauptung bzw. Schlussfolgerung enthält, weil sie sich geradezu paradox zum Rest des Textes verhalten, wo ja sehr wohl ein Sinn beschrieben wird, eben wie sich manche Leute heutzutage zu bestimmten Dingen zu äußern pflegen.

Dazu möchte ich auch gar keine Diskussion anfangen, mir geht es nur darum, dass ein Dichter objektiv bleiben sollte (was mir manchmal auch sehr schwer fällt, aber ich lerne), und stets auch in der Lage sein sollte, das Ganze aus einer anderen Perspektive zu beobachten und nötigenfalls auch noch aus einer dritten.

Und wenn er das gemacht hat, dann kann er so etwas nicht mehr schreiben, denn auch solche Gedichte verfolgen sehr wohl ein bestimmtes Ziel und haben somit aus der Perspektive des Schreibers auch sehr wohl einen Sinn.

Und bleiben wir auf dem Eiland. Hier war das genau so, denn Sinn und Zweck einiger Texte waren sehr deutlich und man musste sich mit ihnen, bzw. ihrem Autor auseinandersetzen.
Das ist geschehen, der Autor hat sich zurückgezogen und das war’s.

Wenn wir einen Autor hier hätten, der gute pornografische Gedichte verfassen könnte und wollte, und ständig im öffentlichen Bereich die Grenzen austestete, dann müsste ebenfalls aus leicht ersichtlichen Gründen reagiert werden.

Aber all jenen Texten pauschal zu unterstellen, sie würden das Ziel, den Zweck und den Wert der Lyrik missbrauchen, würde ich mich niemals wagen, denn wer hat das jemals festgelegt, was die Lyrik darf und was sie nicht darf.

Die Lyrik und somit das Gedicht ist eine Hure, die sich jedem Freier untertan macht und so etwas zu behaupten, würde sie unfrei machen.
Und wenn es nicht immer zwei Seiten einer Medaille gäbe, dann wäre das Leben ziemlich eintönig und langweilig und es gingen auch irgendwann die Themen aus.

Was darf die Lyrik und was darf sie nicht?
Woran kann man das festmachen?
Kann man das wirklich eingrenzen und beschränken?
Wen soll man von der Lyrik ausschließen?
Geschieht das auch bei Prosa?
Wären solche Zustände nicht genau jene, die andere versuchen anzustreben?
Haben wir in diesem Land nur theoretisch das Recht auf freie Meinungsäußerung?

Selbstverständlich muss man mit dem Inhalt eines Textes nicht konform gehen und man darf ihm sogar vehement widersprechen, aber niemand kann ihm seinen Sinn und Zweck absprechen.

Denn wenn sich irgendeiner anmaßen würde, solche Texte generell verbieten zu wollen oder ihnen den Sinn und Zweck der Lyrik abzusprechen, dann müsste der eigentlich mehr wissen, als alle anderen zusammen.

Als Satire wäre das vielleicht durchgegangen, aber hier?

Hier erhebt sich m. E. der große moralische Zeigefinger doch sehr deutlich und das ist meine Meinung, ohne in irgendeiner Form etwas gutheißen oder für etwas Partei ergreifen zu wollen.

Es widerspricht nur meinem Grundverständnis von Lyrik, denn die Lyrik darf alles und das soll sie auch dürfen, denn nicht nur die "Guten" haben sie für sich gepachtet, auch die "Bösen" schmieden ihre Verse. Die einen können ohne die anderen nicht sein.

Lassen wir sie zu und widersprechen ihnen, wo wir ihnen begegnen, wenn sie die jeweiligen individuellen Grenzen überschreiten.

Das ist Demokratie, das ist gelebte Demokratie, das ist genau der Zustand, der in diesem Land herrscht und den es zu erhalten gilt.


Liebe Grüße

Falderwald


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Alt 03.04.2017, 23:14   #6
Eisenvorhang
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Hallo Walther,

sehr scharfe und flüssige Zeilen.
Aber irgendwas stört mich daran und ich weiß nicht was.
Was nicht bedeuten muss, dass das Gedicht schlecht ist.
Wenn ich mich emotional löse, dann sagt mir das Gedicht sehr zu.

Ich persönlich denke: dumm ist der, der Dummes tut.
Die Frage ist, was Dummes ist.

Damit traf F.G. den Nagel auf den Kopf.


vlg

EV
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Alt 24.04.2017, 09:41   #7
Walther
Gelegenheitsdichter
 
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Hi Falderwald,

wir leben in gefährlichen zeiten. die demokratie ist in gefahr.

der poet schreibt mit wut im bauch - wir wissen, wut ist ungerecht. sie überzeichnet. da ist sie der satire verwandt, die oft ihr ausdruck ist.

deine überlegungen sind stimmig und nachvollziehbar - dennoch darf sich der gerechte zorn ein ventil suchen. er muß es sogar, damit eine diskussion in gang kommt.

lg W.
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Alt 24.04.2017, 09:45   #8
Walther
Gelegenheitsdichter
 
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Hi EV,

dumm ist eine kategorie, die durchaus mit der verblendung viel gemein hat. wer verblendet ist, wird qua definitionem dumm, weil sein gesichtsfeld eingeschränkt ist.

die politische auseinandersetzung hat längst alle bereiche erreicht: es geht um köpfe und herzen, es geht um freiheit und frieden. der kampf hat auch die poesieforen erreicht. intelligente schreiber arbeiten mit subtilen mitteln. ihnen muß das handwerk gelegt werden.

darum geht es hier. das kann man weder nett noch freundlich abhandeln. und schon gar nicht unparteiisch.

danke fürs reinlesen und mitdebattieren!

lg W.
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Alt 24.04.2017, 16:44   #9
Eisenvorhang
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Hallo Walter

Gesichtsfeld? :]]

Du meinst Sichtweise oder?
Für mich ist Dummheit: nicht mündig leben und dumm zu handeln.

Deine Erklärung leuchtet ein und nach jüngsten Erfahrungen, kann ich das uneingeschränkt bestätigen.

vlg

EV
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