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Alt 23.02.2016, 20:04   #1
Chavali
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Es war nicht vorauszusehen. Nichts deutete darauf hin.
Er schrieb die Noten, die sich zu einer gewaltigen Melodie zusammenfügten, in kurzer Zeit.
In seinem Geiste hörte er sie; das Donnern, das auf- und Niederwellen des Chores, die Streicher,
die seine Lieblinge waren.

Er war besessen von der Musik. Freundschaften gingen auseinander, seine Ehe zerbrach, die Tochter kannte ihn nicht mehr.
Er vergrub sich völlig in seine Musik.

Sein Instrument war eine Geige, eine Stradivari. Niemand in der Familie wusste genau, wo sie herkam,
wer sie vererbte.
Vater hatte sie, ja, Großvater auch, aber davor?
Er konnte Großvater nicht mehr fragen und Vater hatte zwar auch gespielt, aber er hatte nicht diese Leidenschaft
seiner Vorfahren geerbt.
Und er hatte sicher auch keine Ahnung von dem Wert des Instrumentes.

Und nun hatte er, der Sohn, die Geige.
Er hatte herausgefunden, was für eine Violine das war, von der er die schönsten, reinsten Töne entlockte.
Wie alt sie war und wer sie gebaut hatte und wie sie in seine Familie kam.
Er wollte seinen Vorfahren nacheifern, die noch bei Hofe den ersten Kapellmeister stellten.

Mit den meisten der Kommilitonen der Musikschule verstand er sich recht gut; die ihn nicht mochten, denen ging er aus dem Wege.
Einigen war er zu ehrgeizig, doch seine Kollegen, die Mentoren, waren begeistert von ihm - jedenfalls sagten
sie ihm das.
Und dann war da noch dieses Mädchen. Sie wusste, dass er verheiratet war, aber das schien sie nicht zu stören.
Sie himmelte ihn an und er genoss es.

Er hatte ein außergewöhnliches natürliches Talent, das er auch gut in Szene zu setzten wusste.
Seine Besessenheit steigerte sich von Tag zu Tag. Er ließ das Instrument nicht aus den Augen und es war
kaum vorstellbar, dass er es, wenn auch nur kurze Zeit, außer Acht lassen würde.
Deshalb war es umso unverständlicher, was dann geschah.

Es deutete also nichts daraufhin, was er vor einer Woche abends in seinem Zimmer vorfand:
Seine Stradivari - zertreten und zertrampelt und verbogen und gesplittert auf dem Fußboden.

Er klaubte schweigend diese grausame Zerstörung ein und schloss die Tür hinter sich.
Niemals mehr hörte oder sah man wieder etwas von ihm.
Er war und blieb verschollen und mit ihm jede Spur.

Und niemals hat man herausgefunden, wie es zu dieser Tragödie kam.
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Geändert von Chavali (13.01.2017 um 20:39 Uhr) Grund: tppfhlr
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Alt 23.02.2016, 20:41   #2
ginTon
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Hi chavilein...

interessanter Text irgendwie. Er baut erst Spannung auf und endet dann
in einer Tragödie. Ich lasse ihn mal die Tage nochmal auf mich wirken und
dann komme ich nochmal drauf zurück. Für jetzt hat er mir schon einmal
sehr gut gefallen.

liebe Grüße ginnie
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Ohne dich, gehe ich [N]irgendwo hin!

Alles, was einmal war, ist immer noch, nur in einer anderen Form. (Hopi)


nichts bleibt, nichts ist abgeschlossen und nichts ist perfekt... (Wabi-Sabi)
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Alt 24.02.2016, 16:21   #3
Chavali
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Zitat:
interessanter Text irgendwie. Er baut erst Spannung auf und endet dann
in einer Tragödie.
Hi ginnie,

also liest es sich gut? Man erwartet so ein Ende ja nicht...
Zitat:
Ich lasse ihn mal die Tage nochmal auf mich wirken und
dann komme ich nochmal drauf zurück.
Ja, das mach mal.
Mal sehen, wie er dann auf dich wirkt.
Zitat:
Für jetzt hat er mir schon einmal
sehr gut gefallen.
Das freut mich, danke dir!

Lieben Gruß,
chavi
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Alt 29.02.2016, 19:41   #4
Agneta
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eine ergreifende ujnd packende Geschichte, liebe Chavali.
Der, der sein Instrument so liebt, der ist mit ihm verwachsen. Eine Beziehung, die sonst keiner nachvollziehen kann. Das hast du gut beschrieben.
Das tragische, offene Ende gefällt und entspricht der amerikanischen KG. Auch die Fokussierung auf einen Teil seiner Persönlichkwit. Der Fremde kommt uns nah und bleibt doch genauso fremd wie allen anderen auch.

Wenn du es nur als beschriebenden Text stellen willst, kannst du es so lassen.
Wenn du eine amerik. KG haben möchtest, würde ich das hier kürzen:

"Niemals mehr hörte oder sah man wieder etwas von ihm.
Er war und blieb verschollen und mit ihm jede Spur.

Und niemals hat man herausgefunden, wie es zu dieser Tragödie kam.".

Ich würde es vielleicht etwas poetischer fassen. Etwa so:
Nach:
"Er klaubte schweigend diese grausame Zerstörung ( die Bruchstücke zusammen)ein und schloss die Tür hinter sich. Der Hund schaute ihm lange nach. Er wusste, er würde ihn nie wiedersehen.
Nur ein Beispiel.-
LG von Agneta
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Alt 04.03.2016, 14:35   #5
Chavali
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Liebe Agneta,

du findest, der Schluss ist ein wenig zu trocken geraten?
Kann sein, wenn ich recht darüber nachdenke...

Dein Vorschlag dafür gefällt mir ganz gut als Anregung danke dir.

Zitat:
eine amerik. KG
Was habe ich mir darunter vorzustellen?


Lieben Gruß,
Chavali

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Alt 10.03.2016, 20:52   #6
Agneta
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da müsste ich jetzt eine Abhandlung über die Struktur einer amerikanischen KG schreiben...
Das Synonym für amerik. KG ist wohl Hemingway mit seinen KG, "Der alte Mann und das Meer".

LG von Agneta
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Alt 14.03.2016, 16:17   #7
Chavali
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Zitat:
Zitat von Agneta Beitrag anzeigen
da müsste ich jetzt eine Abhandlung über die Struktur einer amerikanischen KG schreiben...
Das Synonym für amerik. KG ist wohl Hemingway mit seinen KG, "Der alte Mann und das Meer".

LG von Agneta
Nun, Agneta,
um dieses Vergnügen komme ich leider herum - du hast dich löschen lassen aus einem Grund,
den ich nicht nachvollziehen kann, aber seis drum

verständnislos,
Chavali
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Alt 27.11.2016, 19:25   #8
Felix
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Hallo Chavali,
ich habe mal ein bisschen rumgestöbert und bin auf Deine Kurzgeschichte gestoßen. Du schilderst - durchaus nachvollziehbar - das immer inniger werdende Verhältnis eines Geigers mit seinem Instrument. Zweimal hatte ich die Möglichkeit, eine Stradivari zu hören (einmal D. Garret in Düsseldorf, mehrere Male Baiba Skride aus Lettland). Letztere habe ich kennen gelernt, da war sie zarte 16 Jahre, aber ihr musikalisches Genie stand da schon außer Frage. Es ist nun nicht so, dass ich das beurteilen könnte (genauso wenig kann ich den Klang einer hochklassigen Geige bei Stradivari oder einem anderen Geigenbaumeister erkennen), aber ich hatte die Gelegenheit, mich mit dieser Künstlerin zu unterhalten, hatte sie mal am Bahnhof abgeholt und wollte - man ist ja schließlich Kavalier - ihren länglichen Koffer tragen. Sie hat den regelrecht umarmt -alles durfte ich tragen, aber nicht diesen gepolsterten Koffer. Da war sie drin, ihre heiß geliebte Stradivari. Wie sie beim Spiel mit diesem Instrument verschmolz, das war unbeschreiblich. Deswegen kann das "Ende" so eines Instruments (durch Zerstörung, wie in Deiner KG) schlimmer sein als eine Amputation beider Beine.
Eine Minibemerkung: Ein Musiker spricht nie von einer "echten" Stradivari.
Er/sie - der Musiker/die Musikerin und die Stradivari sind "schlimmer" als ein Ehepaar, sie gehören zusammen und Baiba Skride sprach immer nur von ihrer Stardivari (die ihr, zumindest damals, gar nicht gehörte, sondern irgendeiner großen Versicherungsgesellschaft, die - damit die Geige nicht "stirbt" - das Instrument für begrenzte Zeit an Preisträger/innen ausleihen.
Siehst Du - das hast Du mit Deiner KG angerichtet.
Liebe Grüße,
Felix
Felix ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.01.2017, 16:29   #9
Chavali
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Hallo Felix,

ich freue mich sehr, dass du dir die Mühe gemacht hast, die Story zu lesen und zu kommentieren.
Da hast du ja selbst erlebt, wie verrückt und besessen auch (im positiven Sinne) manche Musiker sein können.
Zitat:
Ein Musiker spricht nie von einer "echten" Stradivari.
Das ist ein guter Hinweis, danke dir! Das überflüssige Wort habe ich sofort gelöscht.
Nun ist es ja so: Wir hatten zwar in unserer Familie renommierte Geiger - mein Großvater und ein Onkel -
aber dennoch ist die Geschichte reine Fantasie - so oder ähnlich mag sie sich irgendwo auf der Welt vielleicht
mal abgespielt haben....


Danke nochmals
Chavali
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Alt 10.01.2017, 11:48   #10
juli
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Standard Liebe Chavali :)

Du beschreibst hier eine Liebe zu einer Geige. Ersteinmal möchte ich dir sagen, dass die kurze Geschichte mir gefällt, weil sie kurz ist Meist höre ich schnell auf, wenn mich nichts packt

Hier habe ich bis zu Ende gelesen und ich sehe eine Liebesgeschichte zwischen einem Menschen und seinem Instrument. Du beschreibst kurz das eine verheiratete Frau den Geiger toll findet, das wird jedoch nicht zum Hauptthema ( ist wohl keine leidenschaftliche Liebe), daher vermute ich, dass die Leidenschaft mit dem Geiger durchgeht und er seine Zuneigung zu seiner Stradivari nicht mehr aushält und sie zerstört.

Auch könnte ich mir vorstellen dass der Geiger ein Wahnsinniger ist, und der Letzte sein möchte, der das Intrument besitzt.

schenke dem: Er vergrub sich völlig in seine Musik.

Liebe Grüße sy

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