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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 02.05.2012, 23:22   #1
fee
asphaltwaldwesen
 
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Ort: österreich
Beiträge: 961
Standard Wald- und Wiesenpoet

Ich muss mich heute ausradieren
aus jedem Buch, aus jeder Zeile
und jedem Ort. Will eine Weile
und wie ich war, nicht existieren.

Was war es, das ich wohl verloren,
dass ich es suchte zwischen Worten?
Wo dachte ich mich zu verorten?
Hab ich mich selbst heraufbeschworen?

Wenn ja - wozu? Für welches Wirken?
Was meinte ich so zu bewegen?
Und wen? Es macht mich fast verlegen;
all mein Gefasel über Birken,

poetisch hingehauchte Wälder,
kaum sichtbar mehr vor lauter Bäumen -
Geblubber bloß von Seelenschäumen.
Der-Weisheit-letzter-Schluss-Vermelder,

den wähnte ich mich unbefangen.
Inzwischen ist die Zeit vergangen:
ich bin nicht mehr total naiv,
und such verzweifelt das Motiv,
um jetzt mit Schreiben anzufangen.





.fee ´12
__________________
"Gedichte sind Geschenke an die Aufmerksamen" Paul Celan

Geändert von fee (03.05.2012 um 07:39 Uhr)
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Alt 03.05.2012, 16:35   #2
Thomas
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Benutzerbild von Thomas
 
Registriert seit: 24.04.2011
Beiträge: 3.375
Standard

Liebe fee,

das Gedicht drückt treffend eine Frage aus, die man sich immer wieder stellt: Was ist das Motiv für mein Dichten. Wenn man glaubt eines gefunden zu haben, kommt es wieder abhanden, wodurch sich alles Bisherige relativiert. Aber das ist doch gut so, weil man sich ja weiter entwickelt.

Trotz der 'verzweifelten Suche' denkst du das wohl auch. Ich glaube auch, dass sich der Blick weitet. Der Kerl, für den man schreibt, wird immer umfassender, d.h. es werden immer mehr Menschen in größeren Zeiträumen, die man als internes Auditorium gewinnt.

Für mein Dichten ist dieses Auditorium wichtig, aber für dieses Auditorium ich meine Dichten vielleicht gar nicht wichtig. Deswegen beziehe ich den Wert nicht darauf, sondern bewerte das Dichten danach, wie es mir hilft, die Welt zu begreifen und darin möglichst sinn- und freudevoll zu leben.

Jetzt habe ich recht wenig über dein Gedicht gesagt, sondern nur, über die Gedanken, die es bei mir hervorgerufen hat (auch ein kleines Gedicht über Dichtermotive ist dabei). Erst habe ich gedacht, die Birke, der Wald und die Bäume kämen zu plötzlich, aber nach dem zweiten Lesen glaube ich, das du das absichtlich so machst.

Ein gutes und anregendes Gedicht in der Denkerklause!

Liebe Grüße
Thomas
Thomas ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.05.2012, 17:32   #3
fee
asphaltwaldwesen
 
Registriert seit: 31.03.2009
Ort: österreich
Beiträge: 961
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Zitat:
Zitat von Thomas Beitrag anzeigen
Für mein Dichten ist dieses Auditorium wichtig, aber für dieses Auditorium ich mein Dichten vielleicht gar nicht wichtig. Deswegen beziehe ich den Wert nicht darauf, sondern bewerte das Dichten danach, wie es mir hilft, die Welt zu begreifen und darin möglichst sinn- und freudevoll zu leben.
damit hast du dann ja doch eine ganze menge zu meinem gedicht gesagt, lieber thomas!

und wie ich sehe, auch etwas eigenes in reimform dazu eingestellt.

ich glaube auch, dass man in erster linie für sich selbst das dichtet, was man eben dichtet. DASS man dichtet jedoch, ist für die außenwelt insofern schon wichtig, weil man vielleicht so den impuls dazu gibt, sich auch selbst mal zu be-schreiben und dadurch wiederum impulsgeber zu sein uswusf...

die welt zu begreifen und anderen durch die eigene brille wiederzuvermitteln - das ist aufgabe von kunst. eine eigentlich philosophische angelegenheit, wie ich es sehe. nur auf einer anderen vermittlungsebene oder -schiene.


danke für deine zeilen und liebe grüße,

fee
__________________
"Gedichte sind Geschenke an die Aufmerksamen" Paul Celan
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Alt 04.05.2012, 16:29   #4
a.c.larin
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Beiträge: 4.893
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hallo fee,

ich denke auch, das man zuallerserst für sich selber dichtet. um der erkenntnis oder des selbstausdruckes willen, um eindrücke zu verarbeitungen oder festzuhalten, doch vor allem dichtet man wohl, weil das dichten an sich spaß macht. wenn das gehirn gut beschäftigt ist, merkt man das an einem gewissen innerrn "summen" - dem sogenannten "flow"-effekt. den suchen wir natürlich alle herzustellen, den dabei werden auch vermehrt endorphine ausgeschüttet.

und dann kommt noch eine klitzekleine kleinigkeit dazu: gelegenheit macht liebe! die tatsache, dass ein forum ja zumindet die möglichkeit eröffnet , publikum zu haben, ermuntert zu weiteren taten! (wir produzieren uns halt alle gerne. motto: eindruck schinden - aber wie? )

ein einfaches psycholigosche prinzip: verhalten, das verstärkt wird ( mittels rückmeldung= beachtung) verstärkt sich. und schon speichelt das pawlosche dichterhündchen noch ein paar verslein......
nebenbei passiert hinrnphysiologisch noch etwas: je mehr man dichtet, desto besser kann es das gehirn! (weil bei allem, was das gehirn tut, nervenzellen in schwung gebracht werden und auch neue synapsen wachsen. na, wenn das kein grund ist, der verkalkung entgegenzuwirken....)

natürlich gibts da auch gewisse rückschläge: je mehr man in die materie eindringt, desto größer ist die gefahr, dass man die unbefangenheit verliert.
und dann kommt sie daher, die quälende motiv - frage.
es wurde doch alles schon mal gesagt , oder etwa nicht?

klar doch - es wurden ja auch schon mal knödel gekocht und spagettis gewickelt.
manche sachen kann man aber wieder und weider tun.
und deshalb: auf in wald und wiese!
sie warten nur auf die versierten!

besser gar nicht erst suchen: finden heißt die devise!

und auch zu den dichterischen jugendsünden sollte man sich bekenne dürfen: es sind die wegmarken der eigenen entwicklung!

liebe grüße,
larin
__________________
Cogito dichto sum - ich dichte, also bin ich!
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Alt 05.05.2012, 16:09   #5
wüstenvogel
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 30.08.2011
Ort: Wetzlar/Hessen
Beiträge: 446
Standard Wald und Wiesenpoet

Hallo fee,

ab und zu mal das, was man gerne tut, in Zweifel zu ziehen, ist sicher nicht falsch.

Wem nützen all deine "schönen Worte auf blütenweißem Papier?" - Die Antwort ist ganz einfach -dir!
Schon das allein würde ausreichen.

Ich habe oft versucht, mir schreibend über viele Dinge klar zu werden.
Meistens hat das ganz gut funktioniert.

Gottseidank gibt es in den verschiedenen Foren die Möglichkeit, seine Werke einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren und Reaktionen darauf zu erhalten.

Das wäre ein weiteres Motiv.

Wenn wir dir jetzt alle sagen, dass wir gerne mit dir zusammen durch die Wälder und Wiesen streifen - dann sollten deine Zweifel ausgeräumt sein, meine ich.

In diesem Sinne und mit vielen lieben Grüßen

wüstenvogel
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Alt 05.05.2012, 17:15   #6
fee
asphaltwaldwesen
 
Registriert seit: 31.03.2009
Ort: österreich
Beiträge: 961
Standard

liebe larin, lieber wüstenvogel,


euren antworten entnehme ich, dass die letzte zeile ev. nicht genügend hervorhebt, dass nicht das schreiben an sich vom LyrIch in frage gestellt wird, sondern das motiv dafür, es zu tun und auf welche weise.

ich bedanke mich recht herzlich für die aufmunternden worte, lieber wüstenvogel! die sind schon gut angekommen und ich werde sicherlich nicht damit aufhören, mit euch durch wälder und wiesen zu streifen, weil ich weiß, hier bin ich gut aufgehoben.


Zitat:
wir produzieren uns halt alle gerne.

....
gewisse rückschläge: je mehr man in die materie eindringt, desto größer ist die gefahr, dass man die unbefangenheit verliert.
und dann kommt sie daher, die quälende motiv - frage.
es wurde doch alles schon mal gesagt , oder etwa nicht?
ja, so ist das wohl, liebe larin.

und ich denke, alles, was du so klug hier erwähnst, gehört mit dazu. sich in frage zu stellen ist, wie auch wüstenvogel schon richtig erwähnte, nie falsch. worüber sich also den kopf zerbrechen? (und das vor allem ja nicht zum ersten mal).

sich zu produzieren, sich darzustellen nach außen - ich hab das thema oft mit meinen schülern besprochen "der mensch, einerseits individuum, andrerseits möchte er sich in einer menge aufgehoben fühlen". das thema "mode" ist dazu ein guter anlass. wir alle versuchen über unsere kleidung signale zu setzen. und gehen dabei immer diese grenze von herausstechen und konformismus entlang. manchmal ein stück weit vor dieser grenzlinie, manchmal dahinter, manchmal genau auf ihr. je nach bedarf.

die gedichte sind also wie das "rote halstuch", das mich - getragen zu jeans und weißem t-shirt (um nicht zu sehr aus der reihe zu tanzen) - dann doch ein klein wenig (und im rahmen) aus der menge herausheben soll. etwas, das, wenn man ja weiß, dass rote halstücher jetzt gar nicht sooo gewagt sind (oder der aktuelle modisch-letzte schrei zwar gewagt, aber dafür schon wieder einheitslook und damit "gängig" ist), wie ein paradoxon wirkt.

ich bin dichter - damit hab ich etwas für mich gewählt als ausdrucksmittel, das in gewisser weise "introvertiert" wirkt (weil doch viel innenschau damit verbunden ist), das aber durch das veröffentlichen zu einer eher exhibitionistischen handlung wird. das zarte dichterseelchen also eigentlich das einer rampensau?
wenn ja, ist es eine sehr sanfte, leise rampensau.

mein text ist eigentlich eher anlässlich eines dieser momente entstanden, wo man sich neu gestalten muss, um einer inneren entwicklung auch nach außen raum und gestalt zu geben. wie eine häutung einer larve sozusagen, wenn es zeit wird fürs nächste stadium der entwicklung.

ich hatte das bereits einmal und auch damals hab ich radikal altes abgestriffen. es hat dazu geführt, (behaupte ich mal), dass ich zwar viel weniger dichte, aber die qualität der texte für mich spürbar dichter geworden ist.

von einem solchen prozess handelt auch mein text. die "alten wald- und wiesengedichte" sind zwar noch immer teil von einem - in einer essenz ihrer aussage und in ihrem versuch, etwas zu fassen. doch sie sind noch nicht "angekommen". oder besser gesagt "ich hab mich von ihnen ein stück weit entfernt", "bin voraus". jetzt muss erst wieder alles zusammenfinden, um sich stimmig anzufühlen.

ein prozess, der vielleicht schmerzhafter nach außen hin aussieht, als er ist. es ist veränderung. meist auch gar nicht so "unerwartet" oder unabsehbar, wie man das vielleicht manchmal empfindet. sie hat sich schon angekündigt. jetzt ist nur der letzte alte chitin-panzer abgestreift und man fühlt sich ein wenig weich und verletzlich, bis die neue hülle (= orientierung) wieder stabil trägt und stützt.

mein alter panzer waren ganz viele halbgare gedichte, die ich ausgemistet habe. von sechs jahren schreiberei sind ca. 75 bis 80 texte übriggeblieben, die ich zeitlos gut und als "stimmig" empfinde. ich fand dieses ergebnis und die tatsache, dass ich gar nicht geplant hatte, rigoros auszumisten, schon sehr spannend - auch für mich selbst.

die wälder und wiesen werden auch weiterhin bedichtet. bloß aus leicht anderer perspektive vermutlich.

nach all dem klugen blabla von mir möchte ich noch loswerden, dass mich das echo auf mein gedicht sogar erstaunt in seiner intensität. es freut mich auch sehr. danke nochmals!!!



eure fee
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Geändert von fee (05.05.2012 um 17:18 Uhr)
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