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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 14.11.2011, 19:11   #1
wüstenvogel
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 30.08.2011
Ort: Wetzlar/Hessen
Beiträge: 446
Standard 1. Meditation

Hoch oben
treibe ich dahin
reitend
auf der schillernden Seifenblase
meiner Phantasien
und Wunschbilder
streifend
durch Gefilde ungestillter Sehnsucht
flatternd
unsicher
hilflos
merke ich
wie ich abfalle
um nicht aufzufallen.

Dann finde ich mich
immer wieder
in der grauen Hektik des Alltags
der Produktion des Mehrwerts
der schon lange
keinen Wert mehr hat.

Hier heißt es:
sich stellen
ohne sich umstellen
umzingeln zu lassen
anfangen
ohne sich einfangen zu lassen
sich einlassen
ausgelassen
heiter
ohne zu hassen
noch immer zu hoffen
noch immer für das Leben
offen.

Geändert von wüstenvogel (16.11.2011 um 22:39 Uhr)
wüstenvogel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.11.2011, 21:08   #2
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Beiträge: 1.836
Standard

Hallo, wüstenvogel,

ich schätze, ich "gewöhne" mich langsam an die Art und Weise, wie du deine Werke verfasst. Wenn ich mich an den Sinnabschnitten orientiere, finde ich mich besser "zurecht", als es bei deinen ersten Gedichten hier der Fall war. Da ich selbst nur in ganz bestimmten "Ausnahmefällen" auf ein Metrum verzichte, ist es aber irgendwie auch die "Andersartigkeit", die das Lesen für mich interessant macht. (Vielleicht brauche ich auch nur etwas "Übung", jedenfalls kann ich hier die einzelnen Abschnitte besser erkennen - glaube ich mal, vorsichtig optimistisch. )

Für mich ist die erste Strophe auch die beste. Vielleicht aufgrund der Tatsache, dass in ihr die "Sprache" poetischer ist. Das bedingt der Inhalt, ja, aber dennoch - also ich finde, Strophe 1 "hat etwas", sie wirkt "lebendiger". Vom "Höhenflug" zum "Abfall", die gewählten Metaphern erzeugen bei mir sehr deutliche Assoziationen, besonders gut gefällt mir:

Zitat:
reitend
auf der schillernden Seifenblase
meiner Phantasien
und Wunschbilder
Das Ende der "Sinneinheit Strophe 1" lässt mich beim Lesen daran denken, dass Seifenblasen platzen, da ist es vielleicht sogar gut, vorher wieder "auf den Boden" zu kommen, bevor das geschieht.

Zitat:
unsicher
hilflos
merke ich
wie ich abfalle
um nicht aufzufallen.
Eindringlich, die letzte Zeile. Um nicht aufzufallen, das kenne ich irgendwoher ...

Strophe 2 und 3 wirken auf mich persönlich nicht ganz so gelungen. Ich kann aber nicht genau erklären, woran das liegt, denn es ist nicht alleine der Inhalt (obwohl dieser sicher eine Rolle spielt), es ist irgendwie etwas "Gefühltes"; die Assoziationen sind hier "vage", nicht so klar. Ich versuche, es darzustellen, es sind mehrere Faktoren.

Wenn ich Strophe 1 "aufteile", dann sieht es so aus:

Zitat:
Hoch oben
treibe ich dahin

reitend
auf der schillernden Seifenblase
meiner Phantasien
und Wunschbilder

streifend
durch Gefilde ungestillter Sehnsucht

flatternd
unsicher
hilflos

merke ich
wie ich abfalle

um nicht aufzufallen.
Hier geht jeder Sinnabschnitt "fließend" in den nächsten über, das lässt auch meine Assoziationen "mitfließen".

Zitat:
Dann finde ich mich
immer wieder
in der grauen Hektik des Alltags
der Produktion des Mehrwerts
der schon lange
keinen Wert mehr hat.
Gut, in dieser Strophe ist es hauptsächlich der "nüchterne" Inhalt, aber das ist eigentlich keine Strophe, es wirkt auf mich wie Prosa:

Zitat:
Dann finde ich mich immer wieder in der grauen Hektik des Alltags, der Produktion des Mehrwerts, der schon lange keinen Wert mehr hat.
Keine (klaren) Sinnabschnitte, nur ein prosaischer Satz - das "fühlt" sich eben für mich (ich hoffe, du bist nicht beleidigt) nicht wie eine Gedichtstrophe "an". Ich verstehe durchaus, dass der Inhalt keine allzu "poetischen" Worte "verträgt, aber es ist (für mich!) keine Gedichtstrophe, denn es fehlt mir das "lyrische Element" ...

Zitat:
Hier heißt es:
sich stellen
ohne sich umstellen
umzingeln zu lassen
Hier würde ich eine "Umstellung" für sinnvoll halten:

Zitat:
Hier heißt es:
sich stellen
ohne sich umstellen
ohne sich umzingeln
zu lassen
"Ohne sich umstellen umzingeln zu lassen" - für mich fehlt hier zu eindeutig ein "Komma", hoffentlich kann ich (ohne dass du irgendwie gekränkt bist) vermitteln, was ich meine.

Zitat:
anfangen
ohne sich einfangen zu lassen
Diesen Sinnabschnitt finde ich gut gelungen. "anfangen - einfangen", das gefällt mir. Die Wiederholungen in Strophe 3 sagen mir ebenfalls zu, sie passen zum Inhalt.

Zitat:
sich einlassen
ausgelassen
fröhlich
ohne zu hassen
Fröhlich = ausgelassen, würdest du eventuell in Betracht ziehen, ein anderes Wort anstelle von "fröhlich" einzufügen? Wenn ich auch hier eine Anregung zeigen darf:

Zitat:
sich einlassen
ausgelassen
heiter
ohne zu hassen
"Heiter" wirkt nicht ganz so "synonym" im Bezug auf "ausgelassen", wie es bei "fröhlich" der Fall ist. (Zudem bildet es eine Alliteration mit "hassen", was für mich wie ein "gemeinsamer Bezug auf Gegensätze" wirkt.)

Zitat:
noch immer zu hoffen
noch immer für das Leben
offen.
"offen" kommt ("gefühlt") etwas "isoliert" vom "Leben" bei mir an. Die Verbindung ist hier ein wenig "gerissen" ...

Zitat:
noch immer zu hoffen
noch immer offen
für das Leben.
Strophe 3 (Variante):
Zitat:
Hier heißt es:
sich stellen
ohne sich umstellen
ohne sich umzingeln
zu lassen
anfangen
ohne sich einfangen
zu lassen
sich einlassen
ausgelassen
heiter
ohne zu hassen
noch immer am hoffen
noch immer offen
für das Leben.
Insgesamt wäre das meine Anregung, von der ich keinesfalls sage, dass du sie gut finden müsstest - es soll nur eine Information sein, wie das Gedicht und die einzelnen Strophen auf mich wirken. Bitte versteh das also nicht als Kritik, sondern als Übermittlung meiner Gedanken und Eindrücke, die dein Gedicht bei mir hervorruft.

Wobei ich wirklich der Ansicht bin, dass Strophe 1 sehr schön ist, und durchaus auch ganz für sich alleine als gutes und "vollwertiges" Gedicht stehen könnte.
Vielleicht wirkt es auch deshalb auf mich, also ob Strophe 2 und 3 "schwächer" wären, denn sie ist eben "stärker".

Mir gefällt dein Gedicht, dessen kannst du sicher sein, trotz meiner Anmerkungen sehr gut, denn nur in diesen Fällen werden meine Kommentare "ausführlicher".

Die Dreiteilung des Inhalts wiederum ist stimmig in ihrer Darstellung: Der "Höhenflug" mit dem Bogen bis zum "Abfall(en lassen)"; die nüchternen Tatsachen; das "Sich-diesen-stellen", ohne die Hoffnung aufzugeben, sondern sich trotzdem die Freude am Leben zu bewahren.

Ich hoffe, mein Kommentar ist nützlich für dich, selbst wenn ich vieles (was gut möglich ist) ganz anders "sah" als du.

Gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
__________________
.

Im Forum findet sich in unserer "Eiland-Bibliothek" jetzt ein "Virtueller Schiller-Salon" mit einer Einladung zur "Offenen Tafel".

Dieser Salon entstammt einer Idee von unserem Forenmitglied Thomas, der sich über jeden Beitrag sehr freuen würde.


Stimme der Zeit ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.11.2011, 22:38   #3
wüstenvogel
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 30.08.2011
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Beiträge: 446
Standard 1. Meditation

Hallo, Stimme der Zeit, wieder vielen, vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar.
Du kannst (und sollst) ruhig kritisieren, wenn deine Kritik so konstruktiv wie gewohnt ist.
Es freut mich, dass du dich langsam an meinen Stil gewöhnst, den ich schon lange praktiziere. Das vorliegende Gedicht ist gut dreißig Jahre alt und direkt nach einer (misslungenen) Meditation geschrieben. Es bezieht sich sowohl auf den "Inhalt" der "Meditation" als auch auf das "Danach".
Jede Zeile soll möglichst einen Sinn-Abschnitt darstellen, was sicher nicht immer gelingt. Die Grenze zur Prosa ist besonders in der zweiten Strophe sehr fließend, da hast du völlig recht.

Im Original stehen "umstellen" und "umzingeln" direkt untereinander.
Dann kann man auf das Komma verzichten, denke ich.

Deinen Vorschlag, "heiter" statt "ausgelassen" zu nehmen finde ich gut.

Den Schluss möchte ich nicht verändern, denn erstens gefällt mir die doppelte Bedeutung "noch immer für das Leben" und zweitens haben fast alle meine Gedichte einen Endreim, darauf will ich in den Gedichten / nicht verzichten.
Für mich gibt es eine ganz starke Verbindung von "Leben" und "offen". Solange das Leben (noch) nicht völlig geregelt und (fremd-)bestimmt ist, solange es noch Unsicherheiten und Neues bietet, solange ist es lebenswert.

Ich habe mich sehr über deine anregende Rezension gefreut,
mach´s gut für heut.

LG

wüstenvogel
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