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Alt 18.10.2015, 23:03   #1
wolo von thurland
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Standard Ist Metrum mehr als die Leinwand? Shakespeare-Sonett 12

Liebe Freunde und Skeptiker

Zum Teil werde ich hier in Metrikfragen auf eine Weise belehrt, welche mich nicht befriedigt. Einige erinnern sich vielleicht an meinen Scherz mit Goethes Knittelvers.
Diesmal zitiere ich ganz offen Shakespeare. Mit dem gleichen Ziel: Meinungen zu erfahren, klüger zu werden oder im anderen Fall meine eigene Meinung verstehbarer zu machen.

Ist "Metrum" mehr als die Leinwand, auf die der Dichter seine Verse malt?, lautet meine Frage. Will heissen: Zeigt dieses Sonett von Sh. nicht eben gerade, dass der grosse Meister bewusst mit dem Metrum spielte, den 5-hebigen Iambus im Interesse der Variation auch mal durchbrach? (oder anders: auf die Leinwand seine Pinselstriche nach eigenem ästhetischem Empfinden setzte. Oder ist es vielleicht so, dass der Meister Sh. ein Verständnis von "Betonung" hatte, welches mir schlicht nicht gegeben ist? Und was denn für eines?

Unten nun das Sonett mit Fettschriftmarkierung jener Zeilen, welche mMn klar das Metrum brechen. (an anderen Stellen, wo mMn nicht wirklich ein Verstoss gegen das Metrum vorliegt, habe ich nur Klammern gesetzt).
Wäre toll, wenn ich eure Meinung erfahren dürfte.
Gute nNcht
wolo

1 When I doe count the clock that tels the time,
XxxXxXxXxX

2 And see the braue day sunck in hidious night,
xXxXXXxXxxX

3 When I behold the violet past prime,
XxxXxXxxxX

4 And sable curls or siluer'd ore with white:
xXxXxXx(x)XxX
5 When lofty trees I see barren of leaues,
XXxXxXX(x)xX

6 Which erst from heat did canopie the herd
xXxXxXxxxX

7 And Summers greene all girded vp in sheaues
xXxXxXxXxX

8 Borne on the beare with white and bristly beard:
XxxXxXxXxX
9 Then of thy beauty do I question make
XxxXx(X)xXxX

10 That thou among the wastes of time must goe,
xXxXxXxXxX

11 Since sweets and beauties do them-selues forsake,
xXxXx(X)xXxX

12 And die as fast as they see others grow,
xXxXx(X)xXxX
13 And nothing gainst Times sieth can make defence
xXxXXXxXxX

14 Saue breed to braue him, when he takes thee hence.
xXxXxXXXx(X)

Geändert von wolo von thurland (19.10.2015 um 11:40 Uhr)
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Alt 18.10.2015, 23:34   #2
Agneta
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die erste Zeile hat, Wolo genau das, was ich an anderer Stelle mit Akzentuierung meinte.
das verstärkende do (count),
was ja nur als poetische Verstärkung geht, ansonsten müsste es ja heißen ( I count)
ist typisch für SHP..
Somit wird hier das I betont. Sozusagen: wenn ich die Zeit angebe, nicht die Uhr...
DAS genau meinte ich mit Metrum passend zum Inhalt setzen( als Stil-Mittel). Dennoch ist der Jambus hier richtig.
Das Gedicht ist metrisch ok, bis auf die Zeile
"when lofty trees...
hier habe ich mit der Betonung von barren, was normalerweise auf bar betont wird eine Unebenheit.
Ob das nun um SHP Zeiten noch anders betont wurde oder einene dialektale Unebenheit ist,weiß ich nicht, da diachronische Sprachforschung im Englischen nicht zu meinen Studiengängen gehörte.
Ansonsten hätte SHP hier, was ich mir nicht vorstellen kann, einen Holperer drin.
Meine bescheidene Meinung, aber wir haben ja hier Spezialisten, die dir deine Fragen sicherlich umfassend beantworten können, falls ihr Englisch dafür ausreicht...
LG von Agneta

Geändert von Agneta (18.10.2015 um 23:38 Uhr)
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Alt 19.10.2015, 10:18   #3
Claudi
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Hallo Wolo,

ich tendiere (außer in V5 und V14) eher zu Deiner Lesart. Zwar kenne ich mich mit Shakespeare nicht besonders aus, es scheint mir aber, als habe er hier die versetzte Betonung als metrische Lizenz ausgiebig genutzt. Eine solche Lizenz ist z.B. auch V3: violet past prime (XxxxX).

Aber - huch, was sehe ich denn da?

5 When lofty trees I see barren of leaues,
xXxXxXXxxX

Das kommt mir doch bekannt vor! Ich vergleiche:

ein auto schleicht auf samtpfoten vorbei
xXxXxXXxxX

Sensationell!

LG Claudi
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Rasple die Süßholzwurzel so fein, dass es staubt, in den reichlich
Abgestandenen Quark; darüber verträufele Wermut,
Bis aus dem Rührwerk, Burps! endlich das Bäuerchen kommt.
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Alt 19.10.2015, 10:30   #4
wolo von thurland
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Einer, von dem ich in den Dichter-"Netzen" immer wieder eine Menge lernen kann (oder könnte, nähme ich mir genügend Zeit), ist "ferdi".
Er hat unter dem unten stehenden link auf die Frage, welche ich hier stelle, eine interessante Antwort gegeben, welche ich persönlich für lesenswert halte.

https://www.gedichte.com/showthread....760#post924760

Hallo Claudi
Bei V5 widerrufst du also?
Bei V14 kann das "he" unmöglich eine Senkung sein. Gut, da ist ein langer Vokal, aber danach folgt nur ein Plosionslaut. Und der lange Vokal wird ja so lang, weil er eben von der Bedeutung her stark gestresst wird. (scythe ist nämlich feminin, habe noch eigens nachgeschaut).
Danke für dein Interesse!
wolo

Hallo Agneta
Mal zur ersten Zeile:
Wir sind uns einig, dass das doe einen Akzent setzt.
Nun sage ich weiter: Das I trägt keinen Akzent.
Demnach kann man diesen Vers so darstellen, wie ich es getan habe.
Oder vielleicht so: xx(X)XxXxXxX
Auf jeden Fall spielt er gleich zu Anfang in freier Weise mit Rhythmus und Metrum.
Danke für deine Auseinandersetzung mit meinem "Problem".
wolo

Geändert von Chavali (19.10.2015 um 21:51 Uhr) Grund: Doppel- bzw Dreifachpost :-))
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Alt 19.10.2015, 11:02   #5
Claudi
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Du erinnerst Dich an meine Anmerkung zur Silbengewichtung abhängig von ihrer Funktion bzgl. des Aussagewertes? Genau das käme hier m.E. zum Tragen. Als Personalpronomen gehört "he" funktionsmäßig eher in die Senkung. Die Vokallänge rangiert hier für mich erst in zweiter Reihe (und anscheinend auch für Shakespeare, aber dafür lege ich meine Hand nicht ins Feuer). Und sooo lang ist das "e" in "he" ja auch gar nicht. Die Aussprache von "I" empfinde ich z.B. als länger.

Bei mehreren Einsilbern in Reihe kann man als grobe Richtschnur Moritz' Prosodie der einsilbigen Wörter verwenden. Natürlich schaue ich immer auf den Einzelfall, aber so ungefähr kommt es mit der Gewichtung eigentlich immer hin. Wenn eine Wortart in der Liste über einer anderen Wortart steht, ist ein Wort der ersten Wortart lang/betont gegenüber einem Wort der zweiten Wortart:

Substantiv / Adjektiv
Verb
Interjektion
Adverb
Hilfsverb
Konjunktion
Pronomen
Präposition
Artikel


Was soll ich denn widerrufen? Das "nicht saubere" Metrum? Das war doch in ein Kompliment gewickelt! Willste noch ein Blümchen dazu? Bitteschön!


Edit: Hallo Thomas, wir hatten uns gerade überschnitten. Bzgl. der Leinwand schließe ich mich Dir an. Das Metrum ist nur der Untergrund, und Dichten ist nicht "Malen nach Zahlen".

LG Claudi
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Geändert von Claudi (19.10.2015 um 11:49 Uhr)
Claudi ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.10.2015, 11:52   #6
wolo von thurland
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Nein, es geht auch ohne Blume.
Ich hatte verstanden, dass du Vers 5 nicht so wie ich lesen tust, zuerst, und dann deine Meinung änderst. Das nannte ich widerrufen (korrekter wäre: widerruft haben).
Vers 3 hatte ich übrigens markiert, nur leider die X-e statt den Text. Er ist ein krasses Beispiel (könnte die französische Betonung von violet etwa eine Rolle spielen?). Auch mit dem happigen "past".

Aber nun zu Vers 14:
O.k., o.k., nett, was du anmerkst. Aber es bringt nichts Neues. Ich sag ja, dass das he nur so viel Gewicht erhält, weil es "him" meint, den Ungenannten, den nicht Benennbaren (denn wenn man ihn ruft, dann kommt er).

Danke für die Moritzsche Liste. Sie würde aber, ist sie denn irgendwie sinnvoll, ebenfalls die Sicht unterstützen, dass in diesem Vers das "he" herausragend betont wird und deshalb der Iambus an dieser Stelle klar durchbrochen. Oder?

LG wolo
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Alt 19.10.2015, 12:46   #7
Claudi
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V5 lese ich auftaktig. Das ist der Unterschied. Den Hebungsprall hatte ich von Anfang an so gelesen, da gibt es nichts zu widerrufen.

Zitat:
Danke für die Moritzsche Liste. Sie würde aber, ist sie denn irgendwie sinnvoll, ebenfalls die Sicht unterstützen, dass in diesem Vers das "he" herausragend betont wird und deshalb der Iambus an dieser Stelle klar durchbrochen. Oder?
Nein, Pronomen steht doch ziemlich weit unten. Sowohl das Verb, als auch die Konjunktion wiegen schwerer. Aber jetzt verstehe ich erst, was Du bzgl. "he" meintest. Das entspräche dann der Akzentuierung, die Agneta in V1 und V3 dem "I" zuschreibt? Ja, wäre möglich. Wie gesagt, mit Shakespeare kenne ich mich nicht aus. Aber im Zweifelsfall wäre V5, den bis jetzt alle als rhythmischen Holperer anerkannt haben, ja auch für sich alleine schon ein Indiz für die Leinwandthese. Und darum ging es ja vordergründig.

LG Claudi
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Geändert von Claudi (19.10.2015 um 13:11 Uhr)
Claudi ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.10.2015, 13:17   #8
wolo von thurland
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vordergründig? deute hier keine hintergründe an, sonst wird's schwierig. ;-)

aber entschuldige, du hast natürlich recht. für mich stand dieses pronomen he so hoch oben über allem, dass ich nur das subsantiv "dahinter" sah.
blinder eifer...

lg wolo

edit:

"he" hat ein geschlossenes i. geschlossene vokale haben per se ein gewisses gewicht, egal, wie kurz du sie sprichst, meine ich.

wenn du "auftaktig" ins Spiel bringst, liegst du m.e. voll daneben. man kann jeden iambus-vers als "auftaktig" bezeichnen. ein auftakt kann aber aus einer halben, einer viertel-, einer achtel-, einer sechzehntel-note bestehen, nicht wahr... "auftaktig" heisst damit gnichts oder nicht viel.

Geändert von wolo von thurland (19.10.2015 um 14:26 Uhr)
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Alt 20.10.2015, 16:27   #9
Claudi
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... sagt der Mensch, dem die Verslehre egal ist.

Ja, der Jambus ist ein Maß mit Auftakt. Ich sehe ihn in V5 verwirklicht, Du offenbar nicht, wenn Du den Vers doppelt betont beginnen lässt. Auch das wäre (rein theoretisch) so eine metrische Lizenz im jambischen Vers.

Ich meine, der Vers beginnt stinknormal mit Auftakt (= unbetont). Viertel- Achtel- und Hundertachtundzwanzigkommafünftelnoten habe ich dabei nicht berücksichtigt. Ist das Dein Ernst?

Aber jetzt lass uns bitte über deutsche Gedichte reden. Da gibts bestimmt jede Menge guter Beispiele. Wenn ich Zeit habe, suche ich mal mit.

LG Claudi
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Claudi ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.10.2015, 16:41   #10
wolo von thurland
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mit ist verslehre nicht egal, wenn sie rational betrieben wird und nicht als glaubensbekenntnis!

ob ein iambischer Vers xX oder XX beginnnt, spielt in meinen Augen keine Rolle. wie lange dieser auftakt klingt, ist dabei nebensächlich. aber. man kann diese länge durchaus in notenwerten angeben.
ich denke nicht, dass es hier grund gibt, mich nicht ernst zu nehmen.

aber lass uns über deutsche gedichte reden. hier ein rilke-sonett, das mit dem iambus spielt, wie shakespeare es getan hat. du findest darin sicher alle möglichen "auftakte". aber wenn du schon begriffe aus der musik verwendest, spotte nicht über notenwerte. wie war es doch mit lyrik, mit sonetten? hatte das nicht alles mal was mit musik zu tun?

o.k.,o.k., lassen wir rilke sprechen:

Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung!
O Orpheus singt! O hoher Baum im Ohr!
Und alles schwieg. Doch selbst in der Verschweigung
ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor.

Tiere aus Stille drangen aus dem klaren
gelösten Wald von Lager und Genist;
und da ergab sich, daß sie nicht aus List
und nicht aus Angst in sich so leise waren,

sondern aus Hören. Brüllen, Schrei, Geröhr
schien klein in ihren Herzen. Und wo eben
kaum eine Hütte war, dies zu empfangen,

ein Unterschlupf aus dunkelstem Verlangen
mit einem Zugang, dessen Pfosten beben, –
da schufst du ihnen Tempel im Gehör.

Schönes Sonett, nicht? Sogar mit der ach so schlimmen Gruppierung von drei unbetonten Silben! Was wird da Agneta denken! (dunkelstem Verlangen)
Und jeder Menge "metrisch unsauberer" Zeilenanfänge (unterstrichen), z.B. wenn man die Moritzsche Liste zu Rate zieht oder aus andern Gründen.
Trotzdem ein Sonett?

Schönen Abend
wolo

Geändert von wolo von thurland (20.10.2015 um 16:46 Uhr)
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