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Alt 17.05.2017, 09:50   #1
vedena
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Registriert seit: 30.08.2010
Beiträge: 181
Standard Alte Erde


Wieder ist ein Jahr vorüber,
leere Zeiten ohne dich.
Märzenbecher blühen wieder,
Sonnenstrahlen räkeln sich.

Bilder ziehen ihre Kreise
immer um den gleichen Tag,
fünfunddreißig lange Jahre -
für die Welt ein Wimpernschlag.

Alte Erde deckt die jungen
Knospen deiner Träume zu.
Auf den Blüten tränt die Hoffnung,
doch dahinter lächelst Du.

Einmal geh ich dir entgegen,
die Gewissheit tröstet dich.
Mutter, ich bin alt geworden,
hoffentlich erkennst du mich.


(2008)
__________________
Mein Buch "Leitersprossen"

ISBN-10: 3853060501
ISBN-13: 978-3853060506 - oder per PN !
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Alt 17.05.2017, 17:41   #2
Chavali
ADäquat
 
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Ort: Mitteldeutschland
Beiträge: 12.994
Standard

Liebe Eva,

ein schönes, melancholisches Gedicht - ganz nach meinem Geschmack.
Eine Erinnerung an die Mutter, die wahrscheinlich jung verstarb.

Nun ist die Tochter in den Jahren, in denen man auch schon mal ans Abschiednehmen denkt.
Als besonders gut und intensiv empfinde ich die letzte Strophe:
Zitat:
Einmal geh ich dir entgegen,
die Gewissheit tröstet dich.
Mutter, ich bin alt geworden,
hoffentlich erkennst du mich.
Sie ist zum Niederknien traurig und schön....


Lieben Gruß,
Chavali
__________________
.
© auf alle meine Texte
Die Zeit heilt keine Wunden, man gewöhnt sich nur an den Schmerz

*
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Alt 17.05.2017, 17:56   #3
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Registriert seit: 18.02.2009
Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
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Hi Vedena!

Geht man von der Gewissheit eines Nachlebens aus, so sind diese Zeilen wunderschön in ihrer eleganten unaufgeregten schlichten Direktheit, die nicht urteilt, nur beschreibt, was war, ist und sein wird, und dabei dennoch solch eine Fülle und Tiefe von Gefühlen generiert, denkt man doch automatisch an die eigene Mutter dabei zurück.

Wie Chavali ganz richtig deutete, eine gealterte Tochter, die sich der seit 35 Jahren verstorbenen Mutter immer noch nah fühlt, ihre Wärme in allem um sich spürt und überzeugt ist, sie nach dem Tode wiederzusehen.


Was mir bei dieser Vorstellung nie so ganz logisch erschien ist die Fixierung der "seelischen Gestalt" im körperlichen Abbild zum Sterbemoment, wie sie auch hier in der - wunderschönen - letzten Strophe erkennbar wird:

Sind wir wirklich in der Vorstellung befangen, wir hätten - gesetzt den Fall, es gäbe ein Leben nach dem Tode, woran ich persönlich nicht glaube - ausgerechnet die Gestalt unseren toten Fleisches, das wir zurückließen?
Wenn wir nur Geist und Vorstellung sind, könnten wir doch JEDE Gestalt jeglichen Alters annehmen - oder überhaupt keine brauchen! Das Erkennen geliebter Seelen würde sich da doch auf einer ganz anderen Ebene abspielen als der eines optischen Eindrucks.
Liegt derlei an einem Mangel an religiösem oder philosophischem Vorstellungsvermögen, oder weil sich niemand wirklich vertiefende Gedanken dazu machen will, aus Furcht, den geliebten Glauben sonst womöglich nicht mehr halten zu können?

Nun, ich will es hier niemandem vermiesen, daher will ich die Materie (süffisanter Begriff in diesem Zusammenhang) nicht weiter durchdringen. Das Gedicht ist wunderschön und verdient es, so genommen zu werden, wie es dies wünscht.


Einzig dies:

S3Z3 - Hier würde ich statt "tränt", was für mich keine emotionale Wirkung hat, sondern nur Folge organischer Zustände ist (zB ein Auge "tränt", wenn es gereizt oder verletzt wurde), eher "weint" schreiben, was eine Beteiligung von Gefühl bestätigt.


Sehr gern gelesen!

LG, eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
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Alt 18.05.2017, 11:56   #4
juli
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Beiträge: n/a
Standard Liebe vedena :)

Oh wie schön!

Und innig, die Worte sind so klar und liebevoll.

Liebe Grüße sy

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Alt 19.05.2017, 10:12   #5
Kokochanel
Gast
 
Beiträge: n/a
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Ich sehe, liebe Vedena, in diesem Werk eine Mutter-Tochter/Sohn-Beziehung, die im Streit auseinaderging und an einem Tag finden sich die Gedanken zusammen, vielleicht Geburtstag, Weihnachten, wer weiß.
Zum realen Zusammenkommen muss jedoch noch ein Weg zurückgelegt werden. Da scheinen Verletzungen im Spiel zu sein. Liebe jedoch ist noch da...
LG von Koko
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Alt 23.05.2017, 12:19   #6
vedena
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Registriert seit: 30.08.2010
Beiträge: 181
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Hallo ihr Lieben,

vielen Dank für eure Antworten und dafür dass ihr euch mit meinem Text beschäftigt habt.

@Chavali,
du hast den Inhalt genau erspürt - wie so oft. Danke für das große Lob bezüglich der letzten Strophe.

@Erich,
ich kann deine Argumente genau nachvollziehen zumal ich selbst mit dem Leben nach dem Tod so meine Probleme habe. Ich will nicht unbedingt behaupten, nicht daran zu glauben, aber da ich (man mag es mir abnehmen oder nicht) ein ziemlicher Realist bin, kann ich sagen ich weiß es nicht. Aber - und das ist vielleicht tröstlich - wir werden ja sehen.

Du lässt mir und auch den anderen insoweit die Freiheit indem du schreibst: Das Gedicht ist wunderschön und verdient es, so genommen zu werden, wie es dies wünscht.

und dafür mein herzliches Dankeschön.

@syranie,
ich freu mich dass du die Klarheit meiner Sprache als positiv siehst - nicht immer ist das bei anderen der Fall. Merci!

@Kokochanel,
inhaltlich kommt Chavali ziemlich nahe. Ich bin aber der Meinung, dass der Leser immer die Wahl hat, den Text auf seine Weise zu betrachten und zu interpretieren.

Für euch alle:
Dieses Gedicht ist eines der wenigen von mir, das autobiografische Züge trägt. Es ist aber kein Theraphiegedicht. Die Worte sind genauso zu mir gekommen, wie bei allen anderen Texten. Ich freue mich aber mehr als sonst über die positiven Rückmeldungen, weil er eben meiner Mutter gewidmet ist.

Beste Grüße
vEdenA
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Alt 23.05.2017, 17:28   #7
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Beiträge: 8.570
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Hi Vedena!

Das Problem ist, dass wir nur dann etwas "sehen" werden (ohne Augen?), wenn es wirklich ein Leben nach dem Tode gibt! Im anderen - und wesentlich wahrscheinlicheren - Falle sieht man gar nichts mehr in Ermangelung jeglicher Hirntätigkeit!
Wenn man stirbt, wird es nur schwarz um dich - und ENDE! Keine Erkenntnis mehr, ob so oder so ... - weil es dich schlicht nicht mehr gibt.

LG, eKy
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Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
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Alt 14.07.2017, 20:27   #8
Felix
Gesperrt
 
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Ort: Hilden, NRW
Beiträge: 531
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Grüß Dich Vedena,
spät komme ich, doch hoffentlich nicht zu spät.
Selten habe ich so ein zart schwebendes, durchsichtiges, klares Gedicht gelesen. Ich bin begeistert!
Ob Leben oder eine andere Daseinsform nach unserem Tog - schön und tröstlich ist es, daran zu glauben.
Wir werden in einem Kulturkreis groß, in dem die vorherrschende Meinung ist, dass mit dem Tod nicht alles vorbei sein kann, kein Wesen, wie es mein großes Idol Goethe formuliert, einfach zu nichts zerfallen kann.
(Kein Wesen kann zu nichts zerfallen!
Das Ewge regt sich fort in allen,
Am Sein erhalte dich beglückt!
Das Sein ist ewig: denn Gesetze
Bewahren die lebendgen Schätze,
Aus welchen sich das All geschmückt.")
Wir habens oft gehört und es ist gut zu verstehen, dass wir uns dem Glauben hingeben, dass man "dort" (ein Blick Richtung Himmel sei gestattet) sich wieder sieht. Niemand "weiß", ob diese Vorstellung sich erfüllt, aber auch ich tröste mich mit dem Gedanken an ein Wiederfinden mit meiner Mutter.
Sehr berührt,
Felix
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