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Finstere Nacht Trauer und Düsteres

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Alt 14.08.2017, 11:03   #1
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Standard Nie überwunden

Wer hätte nicht das große Los gezogen
mit einem Leben, wie das meine war?
Der Wohlstand groß, die Schattentage rar -
wer sagt, er wolle dies nicht, hat gelogen.

Warum nur war ich dennoch so verbogen,
so seltsam und der Dinge ungewahr,
die anderen so einfach sind und klar?
Wieso nur fühlte ich mich so betrogen?

Der allzu offenbare Schein kann trügen,
behütet sein bedeutet nicht, dass Leiden
dir fern bleibt und sich alle Tage fügen!

Das Leben läutert uns und macht bescheiden.
Wir lernen spät, und aus den alten Lügen
sind Kinder uns geworden, die wir kleiden.
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (14.08.2017 um 19:26 Uhr)
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Alt 14.08.2017, 12:21   #2
Walther
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lb eKy,
die selbsterkenntnis ist oft die schmerzhafteste - gerade weil der mensch sich ihr solange verweigert. diese tragik hast du gut gefaßt.
allenfalls die beiden schlußverse bedürfen noch einer kleinen feinarbeit, weil "man sich nicht selbst lernen" kann, vielleicht aber verstehen oder kennen (letzteres würde von den silben und auch dem sinn her passen).
gerne gelesen.
lg W.
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Dichtung zu vielen Gelegenheiten -
mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt
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Alt 14.08.2017, 14:07   #3
Erich Kykal
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Hi Walther!

Es ist ein Wortspiel: "Sich selber lernen" in dem Sinne, dass man sich, das eigene Wesen, seine Tiefen und Untiefen, seine Pluspunkte wie seine Mängel auslotet und sich dabei kennen"lernt".

So gesehen "lernen" wir uns das ganze Leben ... (Du musst es auf "uns" betonen, dann verstehst du, wie es gemeint ist).

In dem Gedicht verarbeite ich einerseits durchaus Autobiographisches, andererseits soll es zeigen, dass auch die leiden, die im Vergleich zu jenen, denen es offenkundig schlechter geht bis hin zu bitterer Armut, durchaus nicht glücklicher und lebensfroher sein müssen!
Solche äußeren Parameter definieren "Glück" in keinster Weise - es sei denn für extrem oberflächliche und dumme Menschen, bzw. solche, die die Kehrseite dieser Medaille nie kennengelernt haben.
Es stimmt, ich wurde gemästet, behütet und verwöhnt, hatte viele "Sachen" - aber ich hatte zu funktionieren, schrieb in meinen Ferien hauptsächlich Hefte aus mit dem Lernpensum meines ehrgeizigen Vaters, der mich nicht mal anfassen konnte, obwohl er mich liebte, und fand kaum echte Freunde. Viele Kinder nutzten meinen "Wohlstand" aus, kamen nur zum Spielen, weil ich viel und das beste Spielzeug hatte, und waren plötzlich immer unabkömmlich, wenn ich sie mal gebraucht hätte. So lernte ich, ohne Gewissensbisse zu manipulieren: Wenn man mich ausnutzte, dann konnte ich das auch!
Da meine Eltern völlig unsportlich und schon im Pensionsalter waren, als ich heranwuchs (bzw. berufstätig und viel beschäftigt waren, als ich klein war), konnten sie auch kaum etwas mit mir unternehmen, was mich interessiert hätte. Pilzesuchen ist nicht jugendfüllend ...
Also lernte ich von kleinauf, mit mir selbst auszukommen und emotionale Unabhängigkeit anzustreben. Ich mache meinen Altvorderen keinen Vorwurf: Sie wollten mein Bestes und haben sich "für mich" abgerackert, damit ich später eine solide Lebensbasis haben würde. Dass ich als Kind lieber mehr Zeit mit ihnen verbracht hätte, war ihnen nicht bewusst, und ich konnte mich zuerst nicht artikulieren, und später habe ich es einfach hingenommen, wie es war. Dennoch glaubten sie selbstlos, sie würden das Bestmögliche für mich tun. Eltern-Kind-Psychologie war damals noch kein Thema, und der Krieg hatte beide mittellos zurückgelassen. Beide waren als ehemalige Nazis ein Jahr im Gefängnis gewesen, und mein Vater hatte eigentlich lebenslanges Berufsverbot als Lehrer bekommen, aber in den späten Fünfzigern nahmen sie ihn wegen Lehrermangels dann doch wieder. Er musste allerdings bei Null anfangen - die Vorkriegsdienstjahre wurden ihm nie angerechnet!
Meine Mutter war ungebildet, aber eine praktische Frau. Sie liebte mich, aber ihre Erziehungsmethoden waren noch in der Naziära verwurzelt. Der Teppichklopfer schwebte sozusagen stets über mir, als ich im Vorschulalter war, und die Backpfeifen waren Legion ...
Als ich das erste Mal aufstampfte und bitzelte, stelle sie mich kurzerhand samt Kleidung in die Badewanne, hielt die Brause über mich und drehte das eiskalte Wasser auf ... - So lernt man, Phlegmatiker zu werden ...

Vielen Dank für die freundlichen Worte!

LG, eKy
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Alt 14.08.2017, 15:35   #4
Walther
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lb eKy,
deine schilderung ist schlüssig - und früher war erziehung durchaus "leibhaftig", auch die meine. bis ich 16 wurde und meinem vater mitteilte, daß der nächste schlag eine antwort haben würde, die sich gewaschen hat. danach war dieses kapitel abgeschlossen. ich habe diesen teil der erziehung meinem vater nie krummgenommen, selbst aber danach nie körperliche gewalt ausgeübt, weil ich sie als konfliktlösung prinzipiell ablehne (ausnahme: notwehr).
ich habe deinen einwand zu meinem vorschlag durchaus gesehen und halte deine formulierung für zwar "fast richtig" aber nicht geschmeidig genug - damit fällt sie vom rest des texts ab, und das ist schade, aber nunmal deine sache.
ein nachdenklicher kluger text - so oder so.
lg W.
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Alt 14.08.2017, 19:03   #5
Thomas
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Lieber Erich,

wieder ein schönes Sonett aus deiner Feder. In Hinblick auf den Schluss würde ich in der ersten Zeile statt:

Wer hätte nicht das große Los gezogen

sagen:

Es scheint, als hätte ich das große Los gezogen

Die Zeile:

wer sagt, er wolle dies nicht, hat gelogen.

hat leider eine starke Tonneugung, da ich nicht darum herum kommen das "nicht" zu betonen.

Walters Einwand lässt sich leicht beheben z.B. durch:

Zwar lernen wir, doch aus den alten Lügen

Liebe Grüße
Thomas
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Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller
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Alt 14.08.2017, 19:24   #6
Erich Kykal
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Hi Walther!

So verschieden sind die Geschmäcker! Ich finde die Stelle lyrisch und als sprachtechnisches Schmankerl gelungen!

Dennoch werde ich die Stelle ändern, um Missverständnissen vorzubeugen.


Hi Thomas!

Dein Vorschlag würde inhaltlich in eine Richtung lenken, in die ich nicht möchte, weil ich an dieser Stelle ein "doch" vermeiden möchte. Aber du hast mich auf eine andere, ähnliche Lösung gebracht, die meine ursprüngliche Intention nur wenig verfälscht.

Was dich an der ersten Str. stört, weiß ich nicht - ich finde meine Version jedenfalls sprachlich flüssiger und eingängiger.


Vielen Dank euch beiden für eure Tipps und Gedanken!

LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (15.08.2017 um 09:49 Uhr)
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Alt 14.08.2017, 19:46   #7
Thomas
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Lieber Erich,

es stört mich nicht, ich denke nur, dass man den Schein der Terzine hier schon anklingen lassen könnte. Es muss aber nicht sein.

Liebe Grüße
Thomas
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Alt 15.08.2017, 09:16   #8
Kokochanel
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das ist wieder einmal ein sehr starkes Stück aus deiner Feder, lieber Erich. Besonders der Schluss gefällt mir ausgesprochen gut in der Formulierung.
"und aus den alten Lügen
sind Kinder uns geworden, die wir kleiden. "- ganz stark!

Die "Erdnüsse" sind benannt worden, ich hätte mich dem angeschlossen, aber du hast ja schon gefeilt.
Respekt für dieses berührende und kluge Sonett!

LG von Koko

PS Dein erklärender und sehr persönlicher Kommentar dazu berührt mich sehr.
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Alt 15.08.2017, 09:55   #9
Erich Kykal
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Hi Koko!

Ich habe da wohl ein wenig dramatisiert. Die Ohrfeigen waren gewiss nicht Legion, sie kamen eben damals zuweilen vor, und niemand hat sich was dabei gedacht - am wenigsten ich selber! Das gehörte damals auch in gebildeten Kreisen eben dazu, wenn man schlimm gewesen war ...

Meine sozialen Defizite resultieren vielmehr aus dem Umstand, dass ich Einzelkind war und vor meiner Einschulung kaum mit Gleichaltrigen Kontakt hatte, verglichen mit anderen Kindern. Zu groß war die Sorge meines überängstlichen Vaters, ich könnte von einem Auto überfahren oder entführt werden! Also sah ich als Kleinkind nur vom Balkon zu, wie andere Kinder unten spielten - und gehörte nie dazu. Damals nahm ich das als gegeben hin, in dem Alter hinterfragt man die Eltern nicht. Als ich eingeschult wurde, war ich dann eigentlich schon eine Inselpersönlichkeit - und meine Mittelschulzeit als verachteter und gemobbter Sonderling entfernte mich anderen Menschen endgültig ...

Vielen Dank für deine lobenden und verständigen Worte!

LG, eKy
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Alt 15.08.2017, 10:26   #10
Kokochanel
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Nein, ich denke durchaus nicht, lieber Erich, dass du zu dramatisch dargestellt hast.
Ich habe deine Kindheitsgeschichte noch gut im Kopf, dass deine Eltern aus falsch verstandener Fürsorge recht grobe Fehler gemacht haben. Mit Liebe kann man vieles entschuldigen. Das soll auch so sein.
Ohrfeigen und Schläge jedoch sind keine Maßabe. Kindern Regeln beizubringen, denn sie hinterlassen immer seelische Spuren. Auch, wenn es damals so üblich war, ändert das nichts daran, dass es falsch war und bleibt.
Ich war sicherlich kein pflegeleichtes Kind, hatte immer einen starken Willen, meiine Eltern waren blutjung, 20 und 21. Dennoch habe ich nie auch nur eine Ohrfeige von meinem Vater bekommen.
Meiner Mutter ist schon mal die Hand ausgerutscht. Die Folgen davon habe ich bemerkt,ich konnte sie nie so tief lieben wie meinen Vater.

LG von Koko
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