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Feuilleton Essays, Aufsätze, Abhandlungen etc. |
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29.03.2017, 17:24 | #1 | |
heimkehrerin
Registriert seit: 19.02.2017
Ort: im schönen Österreich
Beiträge: 389
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Zitat:
Das sehe ich auch so, lieber Thomas, und ich kenne auch jene Einwürfe von lyrischen Mitstreitern, die die "gängigsten" Reime wie eben Herz - Schmerz aus Prinzip für schlecht befinden und sich daher daran stoßen. Deren Problem, würde ich mal ganz salopp sagen. Wenn das Gedicht gut gemacht ist und das Reimpaar stimmig ist - warum sollte dann krampfhaft nach einem Ersatz gesucht werden?! Ich verstehe es auch nicht. Wenngleich ich aber sehr wohl verstehe, wenn solche Reime in schlecht gemachten Gedichten bekrittelt werden. Ich denke aber auch, dass diese Kritik dann am eigentlichen Problem des jeweiligen Gedichtes vorbeigeht. Ich zähle mich persönlich also nicht zu den "Herz-Schmerz-Phobikern", obwohl man dieses Reimpaar wirklich oft ganz grässlich missbraucht findet in so manchen "Lyrik-Versuchen". Spannendes Thema, das mich auch schon öfter beschäftigt hat. Danke fürs Eröffnen des Fadens. Lieber Gruß, fee |
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29.03.2017, 18:18 | #2 |
Gast
Beiträge: n/a
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der satirische Spruch ist gut, Thomas GGG
@Erich ich erinnere mich an das Aufkommen der naiven Kunst, von der meine Tante immer ein großer Fan war. Das Wohnzimmer hing voller Drucke in dem Stil. Ich habe gedacht: ok, es muss ja nicht unbedingt der röhrende Hirsch sein, aber das muss es nun auch echt nicht sein. Lach von Koko |
30.03.2017, 15:28 | #3 |
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 24.04.2011
Beiträge: 3.375
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Liebe Koko und Fee, lieber Erich,
es freut mich sehr, dass ihr euch dies Frage interessiert und ihr euch äußert. Mir ist gerade noch eine weitere Stimme untergekommen, die ich euch zitieren möchte. Hier ist sie: Wie ich in der Musik hören und empfinden, in den bildenden Künsten schauen und empfinden will, so will ich in der Poesie, wo möglich, alles Drei zugleich. Von einem Kunstwerk will ich, wie vom Leben, unmittelbar und nicht erst durch die Vermittlung des Denkens berührt werden; am vollendetsten erscheint mir daher das Gedicht, dessen Wirkung zunächst eine sinnliche ist, aus der sich dann die geistige von selbst ergibt, wie aus der Blüte die Frucht. – Der bedeutendste Gedankengehalt aber, und sei er in den wohlgebautesten Versen eingeschlossen, hat in der Poesie keine Berechtigung und wird als toter Schatz am Wege liegen bleiben, wenn er nicht zuvor durch das Gemüt und die Phantasie des Dichters seinen Weg genommen und dort Wärme und Farbe und wo möglich körperliche Gestalt gewonnen hat. – An solchen toten Schätzen sind wir überreich. Die Lyrik insbesondere anlangend, so ist nach meiner Kenntnis unserer Literatur, die Kunst "zu sagen, was ich leide", nur Wenigen, und selbst den Meistern nur in seltenen Augenblicken gegeben. Der Grund ist leicht erkennbar. Nicht allein, dass die Forderung, den Gehalt in knappe und zutreffende Worte auszuprägen, hier besonders scharf hervortritt, da bei dem geringen Umfange schon ein falscher oder pulsloser Ausdruck die Wirkung des Ganzen zerstören kann; diese Worte müssen auch durch die "rhythmische" Bewegung und die Klangfarbe des Verses gleichsam in Musik gesetzt und solcherweise wieder in die Empfindung aufgelöst sein, aus der sie entsprungen sind; in seiner Wirkung soll das lyrische Gedicht dem Leser – man gestatte den Ausdruck – zugleich eine Offenbarung und Erlösung, oder mindestens eine Genugtuung gewähren, die er sich selbst nicht hätte geben können, sei es nun, dass es unsere Anschauung und Empfindung in ungeahnter Weise erweitert und in die Tiefe führt, oder, was halb bewusst in Duft und Dämmer in uns lag, in überraschender Klarheit erscheinen lässt. Heine sagt sehr richtig: "Ein Lied ist das Kriterium der Ursprünglichkeit." Die meisten unserer sogenannten Dichter aber sind ihrem eigentlichen Wesen nach Rhetoriker mit mehr oder minder poetischem Anstrich und der lyrischen Kunst so gut wie ganz unmächtig. – Theodor Storm, Husum, 7. Juni 1870. Aus dem Vorwort seines "Hausbuch aus deutschen Dichtern seit Claudius". Vielleicht müssen wir mit unseren Zeitgenossen etwas gnädiger umgehen, wenn wir erkennen, dass das Problem nicht neu ist. Ich finde die Charakterisierung "Rhetoriker mit poetischem Anstrich" so treffend, dass es mich fast wurmt, nicht selbst darauf gekommen zu sein. Sehr schön finde ich auch: "Diese Worte müssen auch durch die 'rhythmische' Bewegung und die Klangfarbe des Verses gleichsam in Musik gesetzt und solcherweise wieder in die Empfindung aufgelöst sein, aus der sie entsprungen sind", es ist genau das, was ich versuche auszudrücken, wenn ich sage Lyrik müsse "sangbar" sein. Liebe Grüße Thomas
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller |
30.03.2017, 16:10 | #4 |
TENEBRAE
Registriert seit: 18.02.2009
Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
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Hi Thomas!
Meine Rede! Ich versuche immer so zu schreiben! Entscheidend sind Sprachfluss und Wortklangmelodie - es muss schwingen, sich wiegen, tanzen ... Takt und Sprachmelodie müssen Hand in Hand gehen, und der klangliche Impetus dem Inhalt angemessen sein. Ich nenne es gern "die lyrische Einheit". Nie darf ein deutlicher moralischer Zeigefinger geschwungen werden, nie darf doziert, belehrt und geschulmeistert werden, noch nicht mal geklugscheißert! Die Conclusio muss den Leser überraschen, ein Aha-Erlebnis bieten - oder den Text zumindest sinnvoll zusammenfassend und sprachlich elegant abrunden. Hier einige in meinen Augen wirklich geniale Conclusios von Rilke: Aus dem Stundenbuch, Teil III Denn sieh: sie werden leben und sich mehren und nicht bezwungen werden von der Zeit, und werden wachsen wie des Waldes Beeren den Boden bergend unter Süßigkeit. Denn selig sind, die niemals sich entfernten und still im Regen standen ohne Dach; zu ihnen werden kommen alle Ernten, und ihre Frucht wird voll sein tausendfach. Sie werden dauern über jedes Ende und über Reiche, deren Sinn verrinnt, und werden sich wie ausgeruhte Hände erheben, wenn die Hände aller Stände und aller Völker müde sind. Letztes Sonett an Orpheus Stiller Freund der vielen Fernen, fühle, wie dein Atem noch den Raum vermehrt. Im Gebälk der finstern Glockenstühle lass dich läuten. Das, was an dir zehrt, wird ein Starkes über dieser Nahrung. Geh in der Verwandlung aus und ein. Was ist deine leidendste Erfahrung? Ist dir Trinken bitter, werde Wein. Sei in dieser Nacht aus Übermaß Zauberkraft am Kreuzweg deiner Sinne, ihrer seltsamen Begegnung Sinn. Und wenn dich das Irdische vergaß, zu der stillen Erde sag: Ich rinne. Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin. Der Schwan Diese Mühsal, durch noch Ungetanes schwer und wie gebunden hinzugehn, gleicht dem ungeschaffnen Gang des Schwanes. Und das Sterben, dieses Nichtmehrfassen jenes Grunds, auf dem wir täglich stehn, seinem ängstlichen Sich-Niederlassen - : in die Wasser, die ihn sanft empfangen und die sich, wie glücklich und vergangen, unter ihm zurückziehen, Flut um Flut; während er unendlich still und sicher immer mündiger und königlicher und gelassener zu ziehn geruht. Römische Fontäne Zwei Becken, eins das andere übersteigend aus einem alten runden Marmorrand, und aus dem oberen Wasser leis sich neigend zum Wasser, welches unten wartend stand, dem leise redenden entgegenschweigend und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand, ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend wie einen unbekannten Gegenstand; sich selber ruhig in der schönen Schale verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis, nur manchmal träumerisch und tropfenweis sich niederlassend an den Moosbehängen zum letzten Spiegel, der sein Becken leis von unten lächeln macht mit Übergängen. Der Fremde Ohne Sorgfalt, was die Nächsten dächten, die er müde nichtmehr fragen hieß, ging er wieder fort; verlor, verließ -. Denn er hing an solchen Reisenächten anders als an jeder Liebesnacht. Wunderbare hatte er durchwacht, die mit starken Sternen überzogen enge Fernen auseinanderbogen und sich wandelten wie eine Schlacht; andre, die mit in den Mond gestreuten Dörfern, wie mit hingehaltnen Beuten, sich ergaben, oder durch geschonte Parke graue Edelsitze zeigten, die er gerne in dem hingeneigten Haupte einen Augenblick bewohnte, tiefer wissend, dass man nirgends bleibt; und schon sah er bei dem nächsten Biegen wieder Wege, Brücken, Länder liegen bis an Städte, die man übertreibt. Und dies alles immer unbegehrend hinzulassen, schien ihm mehr als seines Lebens Lust, Besitz und Ruhm. Doch auf fremden Plätzen war ihm eines täglich ausgetretnen Brunnensteines Mulde manchmal wie ein Eigentum. Diese letzte ist meine absolute Lieblingsconclusio! Das liest sich in einem durch, findet doch Rhythmus, schmiegt sich erst ins Ohr, dann an die Seele, kitzelt Herz wie Verstand! In der fast lapidaren Beiläufigkeit der inhaltlichen Aussage kommt so viel zum Tragen, soviel Liebe für's Detail zum Ausdruck: Die geradezu buddhistische Gleichmut, mit der dieser der Heimat fremd Gewordene die Welt bereist und durch ein besitzloses Leben geht, das gerade darum ALLES besitzen kann, was es sieht - auf eine Weise, die sich nur dem Weisen erschließt. Absolut genial! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. Geändert von Erich Kykal (31.03.2017 um 15:30 Uhr) |
30.03.2017, 17:16 | #5 |
heimkehrerin
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Ich sehe das etwas differenzierter - vermutlich, weil ich Kunsterziehung studiert habe und seit ich mich auch noch mit Lyrik beschäftige, viele Parallelen zwischen Wort- und Bildkunst sehe. Sowohl in deren Wirkungsweisen als auch den Mitteln und Techniken zu deren Erzeugung.
Ich denke nicht, dass ein Gedicht nur dann "gut" ist, wenn es "sangbar" ist. Und meiner Meinung nach darf sich auch "Poesie mit rhetorischem Anstrich" (oder auch das Umgekehrte) zur Lyrik zählen. Konzeptkunst ist auch nicht per se "schlecht", weil sie sich dem Betrachter ohne Zusatzinformation nicht komplett oder leicht erschließt. Und wer sagt, dass immer alles "geglättet" und "gefällig" daherkommen muss um zu "berühren". Ja, die Berührung fühlt sich dann definitiv anders an als bei einem lieblichen, runden (vorzugsweise gegenständlichen) Gemälde mit leicht zugänglichem Inhalt (dasselbe gilt für Gedichte, die quasi "geschriebene Gemälde" sind) - aber auch wenn sie mehr im Intellektuellen ankert als im Sentimentalen, ist sie deshalb nicht weniger wertvoll als Berührung. So wie eben manche eher Kopfmenschen sind und andere ihrem Bauchgefühl den Vorrang geben. Beides ist gleichermaßen richtig und wichtig. Warum sollte es also deshalb nicht auch Lyrik für beide Rezensenten-Gemüter geben? In der bildenden Kunst klappt das ja auch. Und auch dort halte ich von Vergleichen und versuchten Wertungen wenig. Schlecht Gemachtes, Kitsch und oberflächliches Gehabe anstatt Gehalt findet man in allen Sparten gleichermaßen. Ebenso wie Gelungenes (und das halte auch ich für eher rar und bin da ebenfalls der Meinung: wenn es vom Künstler nicht gefühlt wurde und dem Ablauf des "Kopf-Herz-Hand" folgt, kann es nicht authentisch sein und daher auch nicht berühren. Und das setze ich gleichermaßen für alle Kunstrichtungen an). Jegliches Kunstwerk, das hier und jetzt gestaltet wird (ob schriftlich oder bildlich), ist immer ein Spiegel seiner Zeit - oder sollte es sein. Heute noch einen "waschechten Goethe" rauszuhauen, verleugnet völlig die Zeit, in der wir leben und wird daher immer eigenartig berühren. Egal, wie technisch perfekt es gemacht ist. Die röhrenden Hirsche, in akademischem Stil gemalt, mit Öl und (künstlicher) Krakelüre entlarvt man ja auch eindeutig als irgendwie "unecht", oder? Anders verhält es sich bei den modernen Klassikern - diese heute noch in Anleihen in zeitgenössischen Werken zu finden, zeigt, dass die kulturellen Wurzeln, aus denen jede Stilepoche entwächst, noch weiterwirken. Wer weiß, wie Lyrik im 22. Jahrhundert aussehen wird... |
31.03.2017, 07:36 | #6 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Beiträge: 3.375
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Lieber Erich,
mit Freude habe ich die schönen Beispiele deines Lieblingsdichters gelesen. Es ist meiner Meinung nach richtig, was du sagst, wenn man es nicht allein auf Rilke bezieht und nicht verabsolutiert. Das versucht, wie ich es verstehe, auch Fee auszudrücken. Liebe Fee, ich stimme dir zu, man darf die Dinge nicht zu eng sehen, und es bringt nichts, sich in die Rolle des Richters zu begeben und bestimmten Dingen den Wert abzusprechen. Mir geht es um Klarheit der Begriffe. Das ist es auch, was mir an Theodor Storms Zitat gefallen hat. Viele gute Dichter haben sich übrigens ähnlich geäußert. Mir fallen z.B. Schillers "Ästhetische Briefe" ein, wo er dem Dichter sagt: "In der schamhaften Stille deines Gemüts erziehe die siegende Wahrheit, stelle sie aus dir heraus in der Schönheit, dass nicht bloß der Gedanke ihr huldige, sondern auch der Sinn ihre Erscheinung liebend ergreife... Lebe mit deinem Jahrhundert, aber sei nicht sein Geschöpf; leiste deinen Zeitgenossen, aber was sie bedürfen, nicht was sie loben…" Wenn die fragst: "Wer weiß, wie Lyrik im 22. Jahrhundert aussehen wird...", dann kann das wohl keiner konkret beantworten. Es gibt meiner Meinung nach trotzdem eine Antwort darauf, und gerade diese ist es, welche mir so am Herzen liegt. Die Antwort ist die gleiche, wie die auf die Frage: "Warum empfinden wir heute noch z.B. eine Jahrhunderte alte chinesische Vase (vielleicht nur eine Scherbe davon) als schön, wieso eine griechische Statue (vielleicht nur den Torso davon) als schön? Es geht um eine zeitlose Qualität, denn wir kennen die Zeitumstände, in denen diese Vase, bzw. diese Statue entstanden ist, nicht mehr, bzw. können sie selbst mit großer Mühe kaum nachvollziehen. Natürlich macht Dichten vor allen Dingen Freude, und man kommt zu nichts, wenn man diese Frage immer nur als Warntafel vor sich her trägt. Aber ganz aus den Augen verlieren, oder gar negieren, darf man diese Frage auch nicht, wenn man etwas einigermaßen Gutes zustande bringen will. Um jedes Missverständnis auszuschließen: Es geht nicht darum rückwärtsgewandt das Heil in der Nachahmung früherer Künstler zu suchen, sondern sich mit diesen auseinanderzusetzten, um von ihnen zu lernen. Was man dabei lernen kann sind nicht bestimmte Formen und Tricks, es ist das Geheimnis zeitlos Gutes zu schaffen. Von diesem Standpunkt aus, wird dir hoffentlich das Storm-Zitat etwas verdaulicher erscheinen. Liebe Grüße Thomas P.S.: Auf der "Sangbarkeit" von Lyrik (nicht Dichtung allgemein!) bestehe ich.
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller |
31.03.2017, 09:57 | #7 | ||||||
heimkehrerin
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Beiträge: 389
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Zitat:
Zitat:
Und ebenso 1:1 auf die bildenden Künste umzulegen. Und wenn Schiller vor gut 200 Jahren (!) sagte Zitat:
Meint er es in letzterem Sinne, dann kann man das so nicht mehr in die heutige Zeit transferieren. Abgesehen davon sind wir nun mal alle Geschöpfe des Jahrhunderts, in dem wir leben. Und sämtliche Kunstwerke sind es ebenfalls. Schöpfungen ihrer Zeit. Sogar dann, wenn jemand bewusst versucht, die "guten alten Zeiten" wiederzubeleben. Selbst dann ist das Ausdruck einer Verdrossenheit über die Gegenwart und somit kulturelles Zeugnis des aktuellen Jahrhunderts - schlicht durch das Verleugnen desselben durch die Flucht zurück in "bessere Zeiten". Zitat:
Versteh mich bitte nicht falsch - ich lese sehr gerne Rilke, Hesse, Trakl, ab und zu Goethe, Theodor Kramer, Heine und Co und empfinde deren richtig guten Gedichte auch als sehr zeitlos schön - aber dass die Sprache und Inhalte ihre zeitliche Herkunft oft nicht verleugnen können, wirst du mir sicher nicht absprechen (und das ist ja auch in keinster Weise negativ). Dennoch - diese Werke sind auch für mich zeitlos schön. Aber die Sprache ist ebenso als bildnerisches Mittel dem Wandel der Zeit unterworfen wie es die Bildsprachen und Medien der Maler, Bildhauer und Graphiker sind. Die arbeiten ja auch heute alle nicht mehr mit den alten Mitteln um ihre Botschaften zu "bilden". Stilelemente großer Vorbilder wieder aufzugreifen und in die Kunst der heutigen Zeit so zu transferieren, dass sie nicht wirken als wären sie bloß auf Zeitreise gegangen und hier ein wenig "fremd" - DAS ist die Herausforderung für Künstler heutzutage. Dann darf sich ein Werk "eigenständig" nennen. Aber das sagst du ohnehin selbst. Zitat:
Zitat:
Und wikipedia sagt: "Dichtung bezeichnet einen künstlerischen Schaffensprozess, der je nach Definition auf die poetische Gattung der Lyrik beschränkt ist oder auch andere Kunstformen wie Musik und Malerei mit einschließt." Welche Unterscheidung meinst du also? Nicht, dass wir noch aneinander vorbei reden. Lieber Gruß, fee |
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31.03.2017, 13:16 | #8 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Beiträge: 3.375
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Liebe Fee,
es ist wirklich keine Zeitverschwendung, wenn du herausfindest, was Schiller genau meinte. Ich habe die "Ästhetischen Briefe" schon mehr als ein Dutzend Male gelesen und finde immer noch Neues und Interessantes. Das erste Problem bei Schiller ist, dass man den ganzen Unsinn, der über ihn 200 Jahren lang geschrieben wurde, vergessen muss, um ganz einfach nur ihn zu lesen, diesen idealistischen Realisten. Das zweite Problem ist, dass man vor dem Anspruch, den er an den Dichter – und sich selbst – stellt, nicht erstarrt und deswegen blockiert. Natürlich verlieren diese alten Kunstwerke "einen Teil" ihrer Aussage, das Wunderbare ist aber, dass sie überhaupt noch eine Aussage haben. Meine Behauptung ist, dass dieses das Wesentliche ist, genau wie das Körnchen Gold in der Schaufel voll Sand. Ich habe es ja schon wiederholt gesagt, natürlich verändert sich die Sprache, aber das ist ganz nebensächlich, denn es geht mir ja nicht um den Sand, sondern um das Goldkörnchen, also darum, wie sich das Universelle auf neue Weise darstellt. Wiki ist ja manchmal hilfreich, hier etwas diffus. Bezogen auf die Sprache ist die Unterscheidung in die drei Gattungen Drama, Epos, Lyrik verwirrend, wenn man nicht nachschaut, was Goethe seinerzeit damit meinte (nämlich poetische "Haltungen", das ist nichts für Schubladendenker). Es führte (falsch verstanden) dazu, Gedicht mit Lyrik gleichzusetzten. Ein Gedankengedicht z.B. kann (sollte?) lyrisch sein, muss es aber nicht. Auf Lyrik im engeren Sinne, wie ich es verstehe, trifft genau das zu, was Theodor Storm in dem Zitat sagt. Deswegen freue ich mich darüber. Liebe Grüße Thomas P.S.: Wir sind nun ein wenig vom Thema des Gedichts abgekommen, was aber gar nichts schadet. Übrigens möchte ich noch anmerken, dass der Umgang mit den "Alten" meiner Meinung nach auch so aussehen kann, dass man einem Dichter, den man sehr schätzt einfach nacheifert (und vielleicht sogar übertrifft), das ist besser, als sich kreativ zu gebärden und unbedingt Neues zu machen, weil Neues ja nicht unbedingt, nur weil es so schön neu ist, auch Gutes sein muss – neu und gut, das gefällt mir. Oder, mindestens ein Goldkörnchen muss in dem Sand sein, den man dem Leser ins Auge streut.
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller Geändert von Thomas (31.03.2017 um 18:10 Uhr) |
01.04.2017, 14:32 | #9 |
Schaumgeboren
Registriert seit: 27.05.2016
Beiträge: 5
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Lieber Thomas et al.,
eine - zur Abwechslung mal - recht interessante Grundsatzdebatte, die hier los getreten wurde, auch wenn, meiner Auffassung nach, der ursprüngliche Vergleich, um "Abgegriffen-Sein" zu veranschaulichen etwas schwammig ist. Die von Dir, Thomas, kürzlich angesprochene zeitlose Qualität ist für mich z. B. ein Zeichen höchster Handwerkskunst, einem Unikats-Status gleichend, den z. B. der Herz/Schmerz-Reim mitnichten beanspruchen kann. Er ist abgegriffen, wohl gleich einer antiken Statue, die aber trotz allen "Abgegriffen-Seins" einen künstlerischen Höchstwert beanspruchen kann. Weiterhin ist es, denke ich, wichtig zu differenzieren, ob man etwas Bleibendes oder etwas Einzigartiges schaffen möchte - oder beides? In meinem Augen ist es die künstlerische Maxime, beides zu schaffen; das lyrische Schaffen im Rahmen der Dichtung ist für mich höchstes Kunsthandwerk, das für mich mindestens höchsten ästhetischen, sprachlichen und wissenschaftlich/technischen Ansprüchen (im Rahmen der Formgebung) genügen muss; ich schrieb einmal vereinfacht: Für mich besteht die Kunst der Lyrik - das eigentliche Handwerk - darin, ein Versmaß/eine Form zu bedienen, ohne die Schönheit der geschriebenen und gesprochenen Sprache anzutasten. Damit habe ich, nebst der "offiziellen" Definition, die ich im Übrigen nicht einmal kenne, mein Verständnis von Lyrik geschaffen, für welches ich einstehe und welchem ich nachstrebe. Und ich denke, im Rahmen eines solchen, individuellen Verständnisses, findet auch die von Dir angesprochene Bewertung des Herz/Schmerz-Reimes (z. B.) statt, wie - meines Erachtens nach - überhaupt vieles in der Lyrik auf Individualität fußt, worin sich für mich auch die unfassbare Vielfalt der Lyrik begründet. Was meine Auffassung von Lyrik betrifft, so stoßen mir in den von Dir angeführten Versen Schillers ganz andere Teile auf als der Herz/Schmerz-Reim, die aber, wie auch Du bereits einräumtest, wohl dem damaligen Duktus entsprechen. Heute sehe ich dagegen im sprachlichen Bereich andere Möglichkeiten, verwehre mich gegen Ellipsen, Apokopen, das Dativ-e und dergleichen, da sie heutzutage - für mich(!) - ein Ausdruck von unzureichender Wortgewandtheit und Finesse sind und meist die Sprache brechen und enthaupten, um eine Form zu bedienen, die eigentlich weit über den Möglichkeiten des Schreibers liegt. Der andere Dichter mag entgegnen: Das siehst Du falsch - grad meine trickreiche Anwendung verschiedener Kniffe ist doch ein Ausdruck meiner sprachlichen Finesse; und genau da wird - in meinen Augen - die Grundsatzdebatte in Kreisbahnen verlaufen. Und genau das macht - in meinen Augen - auch die fundierte Diskussion über anderer Leute Werke schwierig. Man kann sich selbst in seinem sich aufgezwungenen Rahmen wohl bemängeln, aber kenne ich den Rahmen des anderen? Was in der Lyrik auch schwierig ist, ist die Tatsache, dass jedes Werk ein Unikat ist. Um die Brücke zu schlagen: Der Herz/Schmerz-Reim kann diesen Status nicht beanspruchen, aber vermutlich jegliches Werk, in dem er enthalten ist. Ergo kann er, in meinen Augen, zu einem lyrischen Kunstwerk gehören, oder eben nicht - nächstes Problem, wie definiert der entsprechende Schreiber ein lyrisches Kunstwerk? Da die ganze Thematik stark von Individualität (und mE weniger von Zeitgeist, in der heutigen Zeit ist ja alles vertreten) geprägt ist - in diesem Sinne kommt ein anderer meiner Grundsätze zum Tragen: Leben und leben lassen. Der eine findet die oft genutzten Reime abgegriffen und verbraucht und somit schlecht und der andere nicht; und ich lasse beide sein. Das war jetzt bestimmt alles verwurschtelt und nicht wirklich fundiert, aber wenigstens konnte ich mich zu dem Thema auch mal auslassen. Danke für die Gelegenheit und beste Grüße, Aphrodite |
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