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Alt 07.10.2011, 21:58   #1
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Standard Nacht-Mahl

Ich gieße mir den Abend in den Becher,
trink ihn in langen Zügen langsam leer
und bin darin, als treuester der Zecher,
dem Dämmern hingegeben ohne Wehr.

Die Nacht deckt mir die Sinnentafel kühl
mit Silber wie aus mondenhellen Flüssen,
nährt mich mit unerfindlichem Gefühl
aus ihren wiesentaubeschwerten Küssen.

Wir fallen tief uns in die offnen Wunden,
als wollten wir vergessen, dass die Zeit
verloren ist, die wir uns nicht gefunden
zu großen Augenblicken in der Ewigkeit.

Dann rauche ich den Morgen in der Pfeife,
lass Nebel steigen in den neuen Erdentag
und fasse, wo ich seine Seligkeit begreife,
der meinen nach, die er mir schenken mag.
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (01.11.2011 um 20:42 Uhr)
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Alt 09.10.2011, 20:02   #2
a.c.larin
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Standard

hi erich,

ganz kurz musste ich darüber nachdenken, was eine wiesentaube mit schwert sein könnte( mit wiesentaubeschwerten Küssen) aber dann fiel ja doch der groschen bei mir....

ein sehr feine speise hast du uns da zusammengebraut! ganz noble kusine - oder wie das auf französisch heißt.

nur der titel wirft mich irgendwohin zurück in die vorstadt, wo in einem hinterhof jemand "nachmahl!" durch ein fenster plärrt und damit meint, der solcherart herbeigerufene möge sich umgehend heim begeben, denn das essen stehe ja schon auf dem tisch und werde noch unversehens kalt...

ich weiß, "abend-mahl" kann auch missverstanden werden, "ausspeisung" weckt wiederum ganz andere assoziationen.
dennoch - mir gefällt der titel einfach nicht.

abgesehen davon geht der dionysische genuss ja schon am nächsten morgen weiter, der angeblich "in der pfeife" geraucht wird. (feines bild übrigens)

kännte dir eventuell "nachtgenährt" oder vielleicht "mahl zur nacht " gefallen?
oder "sinnen- mahl"?
das fände ich besser. nur nicht dieses unselige NACHTMAHL! ("kaisermühlen-blues" lässt grüßen )

allergernst gelesen,
larin
a.c.larin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.10.2011, 08:23   #3
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Ort: Stuttgart
Beiträge: 1.836
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Moin, Erich,

ich musste über larins "Wiesentaube mit Schwert" lachen, ich konnte nicht anders, also sei nachsichtig, wenn ich das einfach erwähnen muss ...

Jetzt aber zum Gedicht:

Zitat:
Ich gieße mir den Abend in den Becher
und trinke ihn in langen Zügen leer
und bin darin als treuester der Zecher
dem Dämmern hingegeben ohne Wehr.
Die ersten beiden Verse finde ich wirklich sehr schön, denn die Idee dafür muss man erst mal haben. Wobei mir, jetzt im "Nachhinein", einfällt, dass wir ja etwas "in vollen Zügen" genießen. Fein gemacht! Der Abend ist der "Tagesausklang", ich mag die Abenddämmerung auch sehr. Schließlich kommt man abends "zur Ruhe", das Tagespensum an Arbeit ist geleistet, es ist Zeit, "abzuschalten" und sich zu entspannen.

Zitat:
Die Nacht deckt mir die Sinnentafel kühle
mit Silber wie aus mondenhellen Flüssen,
nährt mich mit allem, was ich tiefer fühle
in ihren wiesentaubeschwerten Küssen.
Silbernes Mondlicht und nächtliche Sinnesfreuden - ja, darin kann viel tiefgefühlter Genuss liegen. Ganz besonders, wenn die "Tafel" mit "wiesentaubeschwerten" Küssen "gedeckt" ist.

Zitat:
Wir fallen tief uns in die offnen Wunden,
als wollten wir vergessen, dass die Zeit
verloren ist, die wir uns nicht gefunden
zu seltnen Augenblicken in der Ewigkeit.
Hier wechselt der Inhalt zum "wir". Das ist das Einzige, was mich inhaltlich ein wenig "irritiert", denn das kommt so "plötzlich". Es ist auch nur Strophe 3, in der es enthalten ist. Ansonsten ist das Gedicht "allein" aus der Perspektive des LI heraus geschrieben. Ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel, aber es wirkt eben, als ob das LD nur für - na ja, du weißt schon - "vorhanden" bzw. seine Gegenwart nur dann "wahrgenommen" wird. Das passt irgendwie nicht ins "Gesamtkonzept". Das LD als ein weiteres "Genußmittel"? Hm ...

Wobei das gegenseitige Heilen "offener Wunden", die der Tag "geschlagen" hat, sehr poetisch dargestellt ist! Die Strophe an sich ist gelungen, das "Finden seltener Momente in der Ewigkeit" eine schöne Vorstellung; nur im Zusammenhang mit den anderen bekommt sie einen "Beigeschmack" ...

Zitat:
Dann rauche ich den Morgen in der Pfeife,
lass Nebel steigen in den neuen Tag
und fasse, wo ich seine Seligkeit begreife,
der meinen nach, die er mir schenken mag.
Offen gestanden finde ich "Dann rauche ich den Morgen in der Pfeife" hier irgendwie lustig, aber ich verstehe durchaus, wie es gemeint ist. Hier symbolisiert es "Gelassenheit". Das LI erwartet den Tag, und ihm ist der Morgen gerade "herzlich gleichgültig", was offenbar nicht immer der Fall ist. (Wenn ich nachdenke, wirkt es so auf mich.) Der "Nebel" macht die "Konturen des Tages" weicher, dann kann man sich ihm leichter und mit einer positiveren Stimmung "stellen". Ein genussvoller Abend, eine genussvolle Nacht - und das LI ist noch "erfüllt" davon, so dass es dem "Alltag" wohl heiterer als sonst entgegensieht.

Was larins Anmerkungen zum Titel betrifft, nun, irgendwie hat sie recht. Von ihren Vorschlägen gefällt mir "Sinnen-Mahl" am besten, aber ich würde "Sinnes-Mahl" daraus machen. Als Vorschlag von mir: Wie wäre es mit "Sinnes-Tafel"? Das LI "isst und trinkt" ja von der "gedeckten Sinnentafel". Mir persönlich sagt nur "Sinnen-" als Titel nicht so zu, ich würde "Sinnes-" wählen. (Im Gedicht dagegen finde ich es durchaus passend.)

Gerne "mitgetafelt" und gerne kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
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.

Im Forum findet sich in unserer "Eiland-Bibliothek" jetzt ein "Virtueller Schiller-Salon" mit einer Einladung zur "Offenen Tafel".

Dieser Salon entstammt einer Idee von unserem Forenmitglied Thomas, der sich über jeden Beitrag sehr freuen würde.


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Alt 10.10.2011, 20:16   #4
Dana
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Lieber eKy,

im Gegensatz zu meinen Vorgängerinnen kann ich dem Titel mehr abgewinnen, schon ob der Rubrikwahl. Wegen der Rubrik erhielt ich Bilder, die mich beim Aufenthalt in Kneipen schon immer fasziniert haben. (Ich habe noch nie allein eine Kneipe betreten - für mich ist sie immer ein Ort zum Gruppentreffen oder mindestens zu zweit.)
Aber wenn ich dann doch dort gewesen bin, lenkten mich jene "Einzelgänger" total ab. Ich beobachtete, staunte und hinterfragte. Meistens waren es Herren oder Männer - ich habe nie eine Frau in der Position beobachtet.

Sie saßen einfach da, bestellten einen Drink nach dem anderen und die Bestellung selbst ergab die einzige "wörtliche Rede". Sie schauten meist nicht in die Runde, sondern:

Zitat:
Zitat von Erich Kykal
Ich gieße mir den Abend in den Becher
und trinke ihn in langen Zügen leer
und bin darin als treuester der Zecher
dem Dämmern hingegeben ohne Wehr.
Erst hier merke ich, dass nirgendwo die Rede von Kneipe ist. Ich lasse meine Zeilen trotzdem stehen, weil ich mich von dem Bild nicht trennen kann.
Auch über das "einfallende Wir" nicht. Denn auch das passierte. Es kam jemand dazu, sie redeten (ich weiß nicht was - vielleicht fielen sie sich in die Wunden) - bis einer ging. Danach erst der andere. Ohne Händedruck, ohne "Verabredung".

Bei mir stellte sich immer ein falsches oder begründetes Mitgefühl ein. Ich sah Einsamkeit, eine die sich nie suchend zeigte.

Die letzte Strophe bestätigt mir die Leere

Zitat:
Zitat von Erich Kykal
Dann rauche ich den Morgen in der Pfeife,
lass Nebel steigen in den neuen Tag
und fasse, wo ich seine Seligkeit begreife,
der meinen nach, die er mir schenken mag.
und deutet bereits den nächsten Abend an. Er wird wieder dort sitzen und hoffen, mit eben jener für mich faszinierenden und unerklärbaren Alleinsitzung.

Gern gelesen und das, was ich beobachtet habe in wunderbarer Lyrik hier bei dir gefunden.

Liebe Grüße
Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 11.10.2011, 21:33   #5
Erich Kykal
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Hi, larin, Stimme, Dana!

Schöne Zeilen zu den meinen, danke!

Ich wollte - schon so viele herkömmliche Naturgedichte geschrieben habend - die Nacht als Mahl in mehreren Gängen, als Sinnengenuss der besonderen Art darstellen, aber auch Dana's Kneipenvergleich gefällt mir. Es könnte auch in der Stadt sein...

Der Titel ist mir relativ wurscht, da könnt ihr euch streiten, die "Sinnestafel" von Stimme gefällt mir auch sehr gut.

Das "wir" in S3 meint eigentlich die Nacht und mich, wurde andernorts aber auch als Liebesakt mit einer Frau (mit der zuvor gespeist wurde) interpretiert, was mir auch sehr gefällt.

Das Morgenpfeiferl wäre dann die obligate Rauchpause nach dem Sex, sozusagen. Passt auch wieder...

LG, eKy
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Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.10.2011, 06:50   #6
horstgrosse2
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@Erich

Moin, Zitat:
Die Nacht deckt mir die Sinnentafel kühle
mit Silber wie aus mondenhellen Flüssen,
nährt mich mit allem, was ich tiefer fühle
in ihren wiesentaubeschwerten Küssen.

Metapher: „Sinnentafel kühle“

Echt originell, nur „Sinnentafel“ lenkt mich Richtung ausgeweidet, abgeschlachtet usw. die „Tafel“ ist daran schuld.

Sinnenkissen? Sinnenhort? Das Gedicht ist sehr gut nur hier,

Zitat:
Wir fallen tief uns in die offnen Wunden,
als wollten wir vergessen, dass die Zeit
verloren ist, die wir uns nicht gefunden
zu seltnen Augenblicken in der Ewigkeit.

Ich glaube, das könnte man besser schreiben, nicht ganz so pathetisch.

Zitat:
„Wir fallen tief uns in die offnen Wunden,“// klingt mir nach Schuldzuweisung und so.
Wir fallen tief in unsre offnen Wunden,

vielleicht eher so:

Wir fallen tief in unsre offnen Wunden,
dort wollen wir beweinen, all die Zeit
die leblos war, die wir uns nicht gefunden
zu seltnen Augenblicken in der Ewigkeit.

Nö Erich, mein Kommentar ist keine Kritik, vielleicht eine Nachdenkinsel.
Grüße.
horstgrosse2 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.10.2011, 21:36   #7
Erich Kykal
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Hi, hg!

Nö, ist schon recht so.

Zu deinen Gedanken:

Ich weiß nicht, wie du bei "Tafel" auf ausgeweidet kommst - eine Tafel ist ein schön gedeckter Tisch, zumindest in diesem Sinnzusammenhang.

Deine Version "wir fallen tief in unsre offnen Wunden" impliziert automatisch, dass jeder in seine eigenen Wunden fällt - zumindest ist die erwünschte Gegenseitigkeit dieses Aktes nicht ausreichend fixiert.

Ich sehe auch keine Schuldzuweisung darin. Jeder hat sozusagen Lebenswunden, bildhaft hier auch die Nacht. Meine sind seelischer Natur, die Dunkelheit mag für sich selbst als solche stehen.
Sieht man in dieser Str. das Beisammensein 2er Menschen, impliziert die Wendung ein gegenseitiges Sichöffnen und im anderen versenken, um ebendiese Wunden zu schließen...
Du siehst, die Sichtweise hängt sehr vom Ausgangspunkt der Überlegung ab.

Dennoch Danke für dein Hinterfragen.

LG, eKy
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