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Finstere Nacht Trauer und Düsteres

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Alt 28.08.2017, 11:47   #1
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Standard Schluckstube

Ein billig aufgemachtes Ecklokal,
fast schmucklos, nackt und ohne jede Seele
möbliert, bedenkenlos, ob etwas fehle -
es geht um Alkohol. Man hat die Wahl:

An Bier und Schnäpsen ist der Tresen reich
und lockt am Sein Gescheiterte und solche,
die es grad tun: Proleten, Schnorrer, Strolche -
die volle Flasche macht sie alle gleich!

Da wird im Zigarettenqualm gestritten,
gelästert, disputiert, auch Fäuste fliegen
zuweilen, denn der stumpfe Geist will siegen
und lässt im Rausche sich nicht lange bitten.

Man hat hier Meinung, ohne viel zu denken,
denn jeder will sich selber reden hören,
sich über jedes Ungemach empören,
das ihm geschah: Den lauten Trost sich schenken,

dass immer andre schuld sind am Versagen,
dem eigenen hier Auseinanderfallen.
Man sucht den Grund bei allem und bei allen -
nur bei sich selber nicht. Das sich Beklagen

gerinnt im Lauf der rauschgetönten Stunden
zu wehem Murmeln und verwaschnem Lallen,
und zwischen unbehängten Wänden hallen
die ewig unverheilten Daseinswunden.

In kaltem Neonlicht verlieren Leben
sich dort gemeinsam aus dem kranken Sinn,
und manche Seelen sterben auch darin
und atmen weiter, um das Glas zu heben ...
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (02.09.2017 um 11:27 Uhr)
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Alt 28.08.2017, 12:13   #2
juli
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Hey eKy,

Das ist so ein Schluckloch, in dem sich das "Schicksal" der Sturztrunkenen erfüllt. Sie haben die Weisheit mit dem Glase ausgeleert.

Dein Gedicht bebildert anschaulich eine Schluckstube, die es wohl überall gibt.

Und hat mich dazu veranlaßt weiterzuschreiben:

Das mitgebrachte Kind bekommt die Brause,
wenn Papa sich begießt, mit Sermon schießt -
und Korn und Cognac schon am Morgen fließt,
das Mittagsessen kommt in seiner Pause,

wenn Fäuste auf die Zähne Andrer knallen!
Es ist schon sechzehn Uhr, zu deiner Wurst,
und Papa hat noch nicht genug: hat Durst -
und seine Weisheit stürzt gekonnt zum Lallen....

Ich weiß nicht, obs ruckelt, ich habe es schnell gewortet

Sehr gerne gelesen, obwohl oder gerade weil das Thema so düster ist.

Einen schwarzen Kaffeegruß von sy

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Alt 28.08.2017, 12:30   #3
Erich Kykal
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Hi Sy!

Schön, wenn ein Text so unvermittelt inspirieren kann! Du bringst die Problematik ins Spiel, dass es manche Väter so ihren Kindern gleich vormachen, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die es später mal genauso machen!

Das Gedicht wurzelt in der Zeit vor 2002, als ich noch mitten in der Stadt Linz wohnte. Da gab es solche Schlucklöcher alle paar hundert Meter die Hauptstrasse entlang: Oft nur kaum mehr als ein Stehbeisl, oft weiße Kacheln, schmucklose Wände - ein seelenloser Ort, allein für die dort ausgeschenkte Betäubung, meist mit Second-hand-Einrichtung, abgenutzt, versifft, passend zum angezogenen Publikum!

Danke für das prompte freundliche Echo!

LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (28.08.2017 um 19:42 Uhr)
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Alt 29.08.2017, 08:54   #4
Kokochanel
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ein sehr bedrückender und doch realitätsnaher Blick auf die gerne mal so romantisch "umflorte Kneipenkultur", lieber Erich." Siehe Schlager wie: Die kleine Kneipe in unserer Straße.
Ich mag schon den Geruch nicht, der morgens aus diesen "Ställen" weht, wenn die Putzfrau die Türe aufmacht und lüftet. Beim Hundespaziergang komme ich dran vorbei. Es riecht genau nach dem, was du beschreibst. Nach Verlorenem.
Ein Mal ging ich da hinein, um bestellte Karten für eine Karnevalssitzung abzuholen. Alle Tresensitzer, oder Hänger schauten mich an, als wäre ich ein Eindringlich, irgendwie. Aber auch interessiert, endlich mal ein neues Gesicht.

Bedrückend , die Atmosphäre. Mir taten die Menschen leid. Man weiß ja nie, weshalb sie dort sitzen und mir fiel der alte Spruch aus meiner Jugend ein: "Hast du kein Zuhause?"

Ein klasse geschriebenes Werk, das mahnt. Starker Schluss:

"In kaltem Neonlicht verlieren Leben
sich dort gemeinsam aus dem kranken Sinn"

Ja, so ist es wohl.
LG von Koko

PS. Magst du mal auf meine Satire schauen" Es gibt solche Tage", wir sind uns nicht einig über den "altrosanen Blazer"
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Alt 29.08.2017, 11:03   #5
Erich Kykal
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Hi Koko!

Genau - der Geruch! Den hatte ich ganz vergessen! Eine abstoßende Mischung aus verschüttetem Bier, Erbrochenem, Pisse, kaltem Zigarettendunst, vollen Aschenbechern und Würstchen mit Kraut und Senf!

Unverwechselbar und unvergesslich! Danke für dieses Detail - für obiges Werk leider zu spät ...

LG, eKy
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Alt 22.09.2017, 16:27   #6
richmodis
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Standard Hallo, Erich Kykal,

diese sinnentleerte Szenerie in entsprechenden Schluckstuben (den Begriff kannte ich bisher nicht) finde ich sehr treffend beschrieben. Auch die Kälte eines solchen Ortes.

Wobei die meisten Kneipen in unserer Gegend sich einen gemütlichen oder persönlichen-familiären Anstrich geben wollen, z. B. durch rustikale Holzvertäfelung in den Innenräumen, billige Tischdeckchen, Stammtisch-Schildchen und durch Kneipen-Namen wie "Zum Lotti", "Beim Bernd" oder "Opas Pinte".

Der Begriff "Frühschoppen" fällt mir ein - als Rechtfertigung und Verharmlosung für ein Besäufnis bereits am frühen Morgen.

Rauchen ist in diesem Stuben nicht mehr erlaubt. Aber man darf sich dort weiter zu Tode trinken. Verkehrte Welt.

Wenn ich an so einer Kneipe vorbeigehe, empfinde ich die von dir so hervorragend beschriebene Trostlosigkeit besonders stark an schönen, warmen Sommertagen. Ich denke dann immer: Was bringt diese Gestalten - Männer wie Frauen - dazu, sich an einem solchen Tag in eine düstere Eck-Kneipe an den Tresen zu stellen und nur mal kurz vor die Tür zu gehen, um zu rauchen?

Daher gefallen mir an deinem Gedicht auch die letzten beiden Verse am besten. Man atmet noch, um da drinnen weiter das Glas heben zu können.

LG
Richmodis
richmodis ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.09.2017, 12:56   #7
Erich Kykal
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Hi richmodis!

Danke für deine - so positiven - Gedanken zu meinen Zeilen!

Eine Bar oder Kneipe ist schon eine gehobene Form der Schluckstube - sie will sich schon einen bestimmten Anschein geben oder übertüncht die eigentliche Daseinsberechtigung mit einem Programm, das sich in Dekor oder Einrichtung spiegelt. Da stecken Geld und Liebhaberei dahinter.

Eine typische Schluckstube kümmert sich nicht einmal um so eine gesellschaftliche Tarnung: Es ist ein weitgehend ungeschmückter, meist neonbeleuchteter, lieblos und undifferenziert, rein praktisch eingerichteter nackter Schankraum mit dem Charme eines Krankenhausflurs oder den weiß gekachelten Wänden einer aufgelassenen Schlachterei!
Es geht NUR und ausschließlich ums billig Saufen und trotzdem noch möglichst viel Geld damit Verdienen. Den Alkoholsüchtigen und Gescheiterten, den Betäubungswilligen und Verzweifelten ist das Interieur egal, oder es kommt ihrer deprimierten Wurschtigkeit sogar entgegen. Es ist quasi die Endstation der untersten Klassen.

Typisch übrigens dieser säuerliche Geruch nach altem Erbrochenen und schalem Bier, wie eine Mischung aus aufgelassenem Brauereilager und öffentlichem Urinal. Mich haben diese Stuben, als ich noch in der Stadt wohnte, nicht nur angeekelt, sondern auch menschlich zutiefst erschreckt.

LG, eKy
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