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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 04.09.2014, 20:43   #21
Chavali
ADäquat
 
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Hi Erich,

ich hatte dir unlängst versprochen, auf deine Todsünden im Einzelnen zurück zu kommen

Heute nehme ich mir den Hochmut vor:

Zitat:
Hochmut

Die Tür geht auf und du betrittst die Szene,
bist Lichtgestalt, die ihren Kult begründet,
ein Strom der Macht, der in die Menge mündet
und schüttelst weise deine Künstlermähne.

Du zelebrierst das ganz und gar Mondäne,
erträgst die aufgescheuchten Fotografen,
denn wie das größte neue Schiff im Hafen
erhellt dein Glanz die dämmernde Domäne.

Du weißt, es ist schon immer so gewesen:
Man ist erpicht, sich mit dir auszutauschen,
an deiner Gegenwart sich zu berauschen.

Was sind die Menschen schon vor deinem Wesen
als Buckelnde, die deiner Weisheit lauschen!
Wie leichthin kannst du doch in ihnen lesen.

Am besten gefällt mir hier der Einstieg, die erste Strophe, in der man den Hochmut am intensivsten spürt,
und die ersten beiden Zeilen der zweiten Terzetts.

Für den Protagonisten ist nichts so wichtig wie er selbst und dementsprechend fühlt er sich als Nabel der Welt.
Seine Arroganz zeigt sich im Umgang mit anderen Menschen, die er von oben herab behandelt.
Mir scheint aber, dass so ein Verhalten in vielen Fällen auch noch hofiert wird!

Sehr gut gelungen!

LG Chavali


__________________
.
© auf alle meine Texte
Die Zeit heilt keine Wunden, man gewöhnt sich nur an den Schmerz

*
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Alt 05.09.2014, 16:21   #22
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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HI, Chavi!

Natürlich hat das Werk ein paar Macken, zB der leich unreine Reim "Szene" in S1Z1 zu den anderen: "Mähne, Mondäne, Domäne".
Auch die wechselnden Innenreime der Zeilen 2 und 3 der Quartette sollen nicht unerwähnt bleiben.

Abgesehen davon (und die meisten würden derlei heutzutage gar nicht mehr als Fehler werten...) ein mehr von den generierten Bildern getragenes Werk: Nichts hat mich zueiten an der Kunstszene mehr angewidert als selbstgefällige, arrogante "Stars", die mit der Selbstverständlichkeit der Rücksichtslosen über das Schaffen anderer hinwegwitzelten. Von Respekt unter Kollegen keine Spur!
Die haben sich ein paarmal zu oft von ihren Kriechern versichern lassen, wie "göttlich" sie seien - und irgendwann haben sie - vielleicht nur zu gern - den Blödsinn geglaubt!
Besonders Schauspieler: Können oft nicht mehr als fotogen in eine Kamera zu schmachten, bilden sich aber gern ein, sie wären die Creme der Kunstszene, bloß weil sie in unserer oberflächlichen medienorientierten Welt den größten Celebrity-Faktor haben!

LG, eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (08.04.2015 um 12:07 Uhr)
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Alt 06.04.2015, 19:36   #23
Falderwald
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Servus Erich,

so, lange versprochen, jetzt komme ich endlich mal dazu.

Starten wir oben und schauen uns heute den „Hochmut“ an.

Zunächst einmal fällt auf, dass im zweiten Quartett der Binnenreim von dem der ersten Strophe abweicht, wobei der Klammerreim derselbe bleibt.
Das soll aber nicht weiter stören, da moderne Sonette heutzutage ja durchaus von der üblichen Form abweichen dürfen. Siehe es also bitte nur als Anmerkung.

Herr Hochmut trifft bei irgendeinem größeren Ereignis ein und findet sich direkt vom Rampenlicht der dortigen Öffentlichkeit umgeben. Seine wichtige Funktion ist bekannt, seine Befugnisse und Angelegenheiten reichen bis tief in die Gesellschaft hinein.
Er erscheint abwägend und dabei besonnen.

So stellt er sich in absoluter Extravaganz dar und die Motten, die sein Licht umschwirren, werden wohlwollend hingenommen, denn wie das größte Schiff im Hafen, zeigt sich auch seine Persönlichkeit den bewundernden Blicken des jeweiligen Publikums.

An dieser Stelle sei mir eine kleine, kritische Anmerkung erlaubt: „das größte neue Schiff im Hafen“ verliert mit den beiden hintereinander gestellten Adjektiven etwas an sprachlicher Eleganz. An der Stelle braucht es auch eigentlich keine solche Übertreibung. Denn Herr Hochmut hält sich vornehmend gern auch an einem exklusiven Badeort mit Yachthafen auf.
Es könnte dann beispielsweise heißen: „ die größte Hochseeyacht im Hafen“.
Die Größte ist die Größte und neu muss sie gar nicht sein, sie muss nur wie neu scheinen, denn so, wie es weiter geht...

...weiß Herr Hochmut ja, dass es schon immer so gewesen ist. Da zur Schau gestellte Statussymbole Erfolg symbolisieren, ist jeder darauf erpicht, von diesem mitzuprofitierten, also wird die Kommunikation mit seiner Persönlichkeit gesucht, weil sich davon etwas versprochen wird.

Tja, und dessen ist sich Herr Hochmut durchaus bewusst und so kann er gnädig auf die ihn umschwirrenden Motten herabsehen und sie für seine Zwecke benutzen, denn seine Menschenkenntnis hat ihn genau dort hin gebracht, wo er gerade steht.
So einfach ist das...

Das ist ein gelungenes Sonett, das Herrn Hochmut sprachlich gekonnt und treffend beschreibt und hat mir zum Einstieg in diese Reihe gut gefallen...


Gern gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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Alt 06.04.2015, 19:58   #24
Erich Kykal
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Hi, Faldi!

Ich dachte dabei an irgendeinen Promi aus der "Bussi-Bussi-Gesellschaft" oder an einen selbstgefälligen Politiker oder Rockstar, denen der ständige Applaus und das Geschleime der Unterlinge oder Groupies längst den Sinn für Realität verkleistert haben!

Das "größte neue Schiff" sollte schon so dastehen, denn beides ist nötig, um die ultimative Aufmerksamkeit zu erlangen: Liegt das größte Schiff schon lang vor Anker, ist es also nicht mehr "neu", so tritt Gewohnheit ein, das Staunen geht verloren, und ein "neues" Schiff, das nicht das "größte" ist, wird kaum genug Blicke auf sich ziehen, dass man von einer Sensation sprechen könnte.
Mag es sprachlich auch nicht ganz so elegant sein - ich möchte an dieser Stelle der Eindringlichkeit des Bildes zuliebe nichts ändern.

Bei den Todsündensonetten hielt ich mich meist an diese simple Regel: Das erste intuitive Bild, das eine Sünde für dich treffend beschreibt und verkörpert, ist oft auch gleich das beste, das dir überhaupt einfallen wird. Hier war es eben der eingebildete Künstler oder der gewiefte Manipulator.

Die Terzette bringen seine menschenverachtende und herablassende Hybris auf den Punkt: Für solche "eitle Geister" sind die Mitmenschen längst zu "Gebrauchsmaterial" verkommen - beliebig nutz- und verheizbar. Erhalten sie wirkliche Macht, werden solche Typen zu Diktatoren ...

Vielen Dank für dein Exhumieren dieser Sonette! Mögen sie so eine erweiterte Leserschaft erreichen!

LG, eKy
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Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.12.2017, 11:55   #25
juli
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Standard Hey eKy,

Es ist wieder ein Jahreswechsel. Und ich weiß nicht wohin die Welt driftet.
Ich habe mich an diese besonderen Sonette erinnert und jedes ist für sich besonders. Sie regen zum Nachdenken an, und du gibst mit deinen Gedanken, wichtiges, was zu bedenken ist.

Jahreswechsel ist immer ein Taumel mit Krachen, Knallern, Feuerwerk und dem Hoffen auf einen Neuanfang. Wenn eine kleine Sünde von allen Menschen nur beachtet werden würde, würde die Welt schon ein Fünktchen besser werden.

Ich weiß ich träume und die Menschen sind so wie sie sind.

Dennoch ich hoffe auf ein gutes Neues Jahr!

Ich wünsche dir und dem Zausel einen guten rutsch ins Neue Jahr.

Alles Gute sy.

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Alt 31.12.2017, 21:43   #26
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Registriert seit: 18.02.2009
Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
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Hi Sy!

Ich sehe erst jetzt, dass du diesen Faden erneut "geliftet" hast, liebe Sy! Vielen Dank dafür!

Eigentlich wollte ich hinterher noch einen Zyklus mit lauter positiven menschlichen Eigenschaften schreiben - aber ich musste feststellen, dass mich das überhaupt nicht reizte! Warum wohl ... !?

LG, eKy
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Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (31.12.2017 um 22:18 Uhr)
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
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