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Ausflug in die Natur Natur- und Tiergedichte

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Alt 03.03.2016, 17:50   #1
Thomas
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Standard Liedergruß

Liedergruß


I.

Wehe wieder lebenspendend,
Frühlingswind, und taue Eis,
Wecke alles, alles wendend,
Knospen aus verdorrtem Reis.

Lüfte, hebt des Vogels Weise
aus der winterlichen Hyle.
Herz, nun schlage, poche leise
an die Pforte der Gefühle.

Hebe meiner Seele Lieder,
Atem in die Kehle wieder,
webe sie in meinen Hauch.

Hauch, du konntest Lehm beleben;
Frühlingswind soll mich erheben –
schönes Denken auch!



II.

Der Regen trommelt, klopft und tropft
an meine Fensterscheiben;
und wenn's mit tausend Händen klopft,
kann ruhig ich nicht bleiben --
dann zieht es mich hinaus.

Dann stapfe ich mit muntrem Schritt
durch Pfützen und durch Rinnen.
Mein Herz, es trommelt freudig mit,
schlägt an die Brust von innen,
als wollt es mit hinaus.

Und ich versteh die Bäume jetzt,
die sehnsuchtsvoll den Regen
erwarten, dass er sie benetzt,
bis sich die Wurzeln regen.
Dann treiben Zweige aus.

Die Stirn wird klar. Der Regen tropft.
Gedankenströme rinnen.
Das Blut in meinen Händen klopft.
Sie möchten was beginnen.
Sie sind auf Taten aus.

So trommle Regen immerzu,
du sollst mich mächtig treiben;
ich finde später lange Ruh;
heut' solln mich Taten treiben
in alle Welt hinaus.



III.

Federleicht mit Geistesschwingen
will ich in den Himmel dringen,
will im Reich der Phantasie
schwebend mir ein Nestlein weben.

Denn auf festgefügtem Land,
wo des Flusses breites Band
logische Mäander zieht,
Wächst mir neues Leben nie.

Ich will über Berg und Stein
schwebend Sonnen sehen,
sicher über Meere gehen,
ruhig und im Klaren sein.



IV.

Die Sonne versenkt ihr lebendiges Licht.
Der Abend blickt ruhig der Nacht ins Gesicht
und wägt schon des Tages geschäftiges Treiben
mit ewigem Maßstab: Nur Gutes wird bleiben.

Die Sterne erscheinen am nächtlichen Zelt.
Sie waren einst Sonnen für unsere Welt,
die damals am Tage die Erde bewegten,
bevor sie in ewige Ferne entschwebten.

Und weht mir ein eisiger Nachtwind ans Herz,
dann denke ich freudevoll himmelwärts,
dann schließe ich ruhig die Augen gern,
dann scheint in klarer Nacht mein Stern.

__________________
© Ralf Schauerhammer

Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller

Geändert von Thomas (04.03.2016 um 06:56 Uhr)
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Alt 03.03.2016, 18:54   #2
charis
/ Bil-ly /
 
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Beiträge: 435
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You just made my day! Danke! Was für wunderschöne und energiespendende Poesie!

Lieben Gruß
charis
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Alt 03.03.2016, 18:57   #3
Chavali
ADäquat
 
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Lieber Thomas,

das gefällt mir richtig gut!

Damit hast du hier eine Lücke gefüllt - denn in so einer Form und mit so einem ergänzendem Inhalt,
obwohl oder gerade weil die Formen so verschieden sind,
gab es hier noch kein Gedicht oder Gedichtezyklus.

Wunderschön

Lieben Gruß,
Chavali
__________________
.
© auf alle meine Texte
Die Zeit heilt keine Wunden, man gewöhnt sich nur an den Schmerz

*
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Alt 03.03.2016, 19:17   #4
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Thomas!

Wow - eine tolle Arbeit!

Meine Tipps:


I.

Wehe wieder lebenspendend Komma.
Frühlingswind und taue Eis, Komma nach "-wind".
Wecke alles, alles wendend, Hier würde ich "Wecke alle, alles ..." schreiben, bezogen auf die Knospen in Z4.
Knospen aus verdorrtem Reis.

Lüfte, hebt des Vogels Weise
aus der winterlichen Hyle.
Herz, nun schlage, poche leise
an die Pforte der Gefühle.

Hebe meiner Seele Lieder,
Atem, in die Kehle wieder, Kein Komma nach "Atem".
webe sie in meinen Hauch.

Hauch, du konntest Lehm beleben;
Frühlingshauch soll mich erheben –
schönes Denken auch! Metrisch korrekt wäre: "und das schöne Denken auch!".

S3Z4, S4Z1, S4Z2 - dreimal "Hauch"!? Zumindest den letzten würde ich ändern: "Frühlingswind" oder so.

II.

Der Regen trommelt, klopft und tropft
An meine Fensterscheiben; "an" - warum plötzlich alles vorne groß?
Und wenn's mit tausend Händen klopft, Wortwiederholung "klopft" mit Z1. Altern. dort: "pocht".
Kann ruhig ich nicht bleiben - "ruhig" hier ungünstig. Besser: "Kann ich nicht stille bleiben,"
Dann zieht es mich hinaus.

Dann stapfe ich mit muntrem Schritt Wortwiederholung "dann" mit Vorzeile. Alter.: "So ...".
Durch Pfützen und durch Rinnen.
Mein Herz, es trommelt freudig mit,
Schlägt an die Brust von innen,
Als wollt es mit hinaus.

Und ich versteh' die Bäume jetzt, Stricherl unnötig.
Die sehnsuchtsvoll den Regen
Erwarten, dass er sie benetzt,
Bis sich die Wurzeln regen.
Dann treiben Zweige aus.

Die Stirn wird klar. Der Regen tropft.
Gedankenströme rinnen.
Das Blut in meinen Händen klopft.
Sie möchten was beginnen. Altern.: "sie möchten sich beginnen,"
Sie sind auf Taten aus.

So trommle Regen immerzu,
Du sollst mich mächtig treiben;
Ich finde später lange Ruh'; Stricherl überflüssig.
Heut' soll'n mich Taten treiben Stricherl - du weißt schon! Wenn du das häßliche "solln" vermeiden willst: "Heut soll die Tat mich treiben".
In alle Welt hinaus.

Bei diesem Teil allein schreibst du vorn jeden Zeilenbeginn groß. Würd ich anpassen.

III.

Federleicht mit Geistesschwingen
will ich in den Himmel dringen,
will im Reich der Phantasie
schwebend mir ein Nestlein weben.

Denn auf festgefügtem Land,
wo des Flusses breites Band
logische Mäander zieht,
Wächst mir neues Leben nie.

Ich will über Berg und Stein
schwebend Sonnen sehen,
sicher über Meere gehen,
ruhig und im Klaren sein.

Hier keine Hoppalas, bloß die Struktur fällt auf, welche Z1 und 2 als Paarreim gestaltet, während Z3 und 4 reimlos bleiben. Nur in der letzten Str. haben wir plötzlich ABBA. Absicht?

IV.

Die Sonne versenkt ihr lebendiges Licht.
Der Abend blickt ruhig der Nacht ins Gesicht
und wäg schon des Tages geschäftiges Treiben "wägt".
mit ewigem Maßstab: Nur Gutes wird bleiben.

Die Sterne erscheinen am nächtlichen Zelt.
Sie waren einst Sonnen für unsere Welt,
die damals am Tage die Erde bewegten,
bevor sie in ewige Ferne sich legten. Wie wäre es hier mit "... die Erde belebten // ... in ewige Ferne entschwebten"?

Und weht mir ein eisiger Nachtwind ans Herz,
dann denke ich freudevoll himmelwärts, Statt des steifen "freudevoll" - "freudiger"?
dann schließe ich ruhig die Augen gern,
dann scheint in klarer Nacht mein Stern. Metrisch passender: "dann scheint mir im Dunkeln mein eigener Stern." Alternnativ: "als schiene im Dunkeln mein eigener Stern."


Sehr gern gelesen und beraten!

LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (03.03.2016 um 19:21 Uhr)
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Alt 04.03.2016, 06:59   #5
Thomas
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Ihr lieben charis, Chavali und Erich,

vielen Dank für die positiven und ermutigenden Rückmeldungen, von Erichs zahlreichen Anregungen habe ich einiges gerne übernommen.

Liebe Grüße
Thomas
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Alt 04.03.2016, 07:54   #6
wolo von thurland
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hallo thomas
warum nicht gedichte schreiben, welche niemanden zu parodien reizen?
wie du hier beweist, ist es duchaus möglich.
aus meiner sicht gibt es nur einen, den ich dringend korrigierwürdig fände: nach "hyle" einen zweiten begriff aus der griechischen philosophie einzuflechten (logisch), der erst noch durch alle möglichen modernen konnotationen kontaminiert ist, ist für mich der tropfen, welcher das fass nicht zum überlaufen bringt, aber es eintrübt. noch habe ich nicht gesehen, warum dieses "logisch" dort sinntragend sein sollte, noch riecht es für mich nach fülladjektiv, also warum nicht ein anderes finden? aber vielleicht erklärst du mir ja, warum es sinn trägt, und ich finde mich in der folge damit ab, trotz der geäusserten bedenken. nur: schon die "hyle" steckt stilistisch eine richtung ab, der du im anschluss eigentlich gar nicht nachgehst.
alles übrige sehe ich als stilistisch und formal abgerundet und stimmig an. aber einzelne vorschläge von erich kykal klingen auch in meinen ohren gut. (zB Frühlingswind oder weg mit dem "was" bei beginnen)
gut, dass das hier zu lesen war.
gruss
wolo

Geändert von wolo von thurland (04.03.2016 um 08:08 Uhr)
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Alt 04.03.2016, 16:23   #7
Thomas
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Lieber wolo,

vielen Dank für deinen Kommentar.

Parodien müssen ja auch nicht immer sein, zumal bisweilen die Gefahr besteht, dass es peinlich wird, wenn nämlich der Parodist nur teilweise versteht und sich folglich selbst parodiert.

Ich denke man muss sich über das Wort "Hyle" nicht so sehr den Kopf zerbrechen, und kann es so nehmen, wie Franz Hessel in der "Lektüre unterm Weihnachtsbaum" beschreibt. Sein Text beginnt und endet mit dem Satz "Wie schön war die Zeit, als man noch las, ohne zu verstehen!" Ich glaube, er beschreibt darin ein interessantes poetisches Prinzip. Mir gefällt der Ausdruck, weil es ursprünglich auch "Wald" bedeutet, und später allgemein "Stoff, Materie". Er passt also als Wald für die konkrete Strophe und weist auch schon auf das kosmologische Bild hin, mit dem der kleine Zyklus endet. Das Wort ist also gerade wegen der "Konnotationen" für mich interessant. Das ist nicht "logisch", aber logisch ist ja auch so ziemlich das Gegenteil von poetisch. Dein Argument, dass es stilistisch etwas hervorsticht, stimmt.

Die fast immer sehr hilfreichen Vorschläge von Erich habe ich Großteils übernommen, auch diejenigen, die nicht von mir übernommenen wurden, waren für mich hilfreich und anregend.

Liebe Grüße
Thomas
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Alt 04.03.2016, 18:15   #8
Dana
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Lieber Thomas,

ich las Dein Gedicht "Liedergruß" mehrmals und eben wieder. Jedes Mal "schießt" mir ein Kinderlied in den Kopf und ich singe es in Gedanken unaufhörlich weiter.
Das ist ein sehr patriotisches Lied in meiner Muttersprache, die ich seit Jahrzehnten nicht mehr spreche. Erstaunt war ich, dass mir der gesamte Text wieder einfiel.
Ich fand auch heraus, warum. Es sind die Melodie und der Rhythmus, obwohl inhaltlich durch nichts verbunden.
So viel zur melodischen Wirkung Deines Gedichtes.

Ich bin dennoch verzaubert vom Inhalt, das konnte ich wohl trennen.

Gefällt mir ungemein gut.

Liebe Grüße
Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 06.03.2016, 07:53   #9
Thomas
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Liebe Dana,

du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr mich dein Kommentar erfreut, denn was du sagst zeigt etwas, dass mir sehr wichtig ist. Bisher ist es mir noch nicht gelungen zu erklären, was ich meine, wenn ich sage, dass Lyrik singbar sein muss. Denn singbar bedeutet nicht, dass lyrische Texte Lieder (oder wie Lieder) sein müssen, sondern dass sie eine melodische Qualität haben. Wenn dir zu dem Text eine Melodie mit einem ganz anderen Inhalt in den Sinn kommt, dann ist es genau das. Lyrische Themen haben nicht eine Melodie, sondern eine Art melodische Landschaft, in der verschieden Pfade (als Melodien oder Vertonungen) gegangen werden können. Die Landschaft ist die Singbarkeit. Ich halte das für sehr wichtig, weil vielen Texten, die heute als Lyrik bezeichnet werden, diese Qualität fehlt. Es sind oft sehr interessante und gute Texte, aber meiner Meinung nach keine Lyrik. Hoffentlich habe ich verständlich machen können, warum mich deine Erfahrung mit dem Lied deiner Muttersprache so gefreut hat.

Liebe Grüße
Thomas
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Alt 11.03.2016, 08:40   #10
juli
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard Hallo Thomas :)

Dein Liedergedicht macht Lust darauf spazieren zu gehen. Die vielen unterschiedlichen Formen der Strophen lockern das Ganze musikalisch auf. Ich habe dein Gedicht schon mehrfach gelesen, und jedesmal gefällt mir etwas Andres. Schönes Gedicht!

Liebe Grüße sy

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